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über die Anwendung der ordentlichen Staats-
einkünfte und läßt nur zu Anfang jedes ordent-
lichen Landtags einen Bericht über den Stand der
Staatshaushaltung mitteilen, um die Vertretung
wissen zu lassen, daß die Staatseinkünfte zum
Besten und Nutzen des Landes verwendet worden
sind. Reichen die ordentlichen Einkünfte nicht aus,
so muß von der Volksvertretung eine außerordent-
liche Steuer bewilligt werden. Nur über zwei Arten
von Staatseinkünften darf nicht ohne Zustimmung
des Landtags disponiert werden: über die Netto-
einkünfte und disponiblen Mitteln der finnischen
Staatsbank und über die Einkünfte aus außer-
ordentlichen Steuern.
Der Kaiser-Großfürst hat das Recht, ohne
Zustimmung des Landtags gewisse Verfügungen
und Verordnungen zu erlassen (das ökonomische
oder administrative Gesetzgebungsrecht des Mon-
archen).
Das finnische Bürgerrecht ist von dem rus-
sischen gesondert; es wird erworben durch Geburt,
Legitimation, Verheiratung und Naturalisation.
Die finnischen Bürger genießen als russische Unter-
tanen in Rußland eo ipso alle den übrigen Unter-
tanen zustehenden Bürgerrechte, während die rus-
sischen Untertanen in Finland nicht ohne weiteres
das finnische Bürgerrecht besitzen (den Ausländern
gegenüber allerdings bedeutende Privilegien, be-
sonders in zivilrechtlichen Verhältnissen), nur ein
beschränktes Recht zum Staatsdienst und weder
aktives noch passives Wahlrecht zu Gemeinde= und
Landtagswahlen haben (soweit nicht durch spezielle
Verordnungen anders bestimmt wurde; die volle
Gleichstellung der russischen mit den finnischen
Bürgern ist durch ein Gesetz, das nach Auflösung
des finnischen Landtags [8. Okt. 1910) auf kaiser-
lichen Befehl der Reichsduma vorgelegt werden
soll, vorgesehen).
Die oberste Verwaltung übt im Namen des
(Kaiser-) Großfürsten der Senat aus, dessen Vor-
sitz der Generalgouverneur führt. Der Senat be-
steht aus zwei Abteilungen, einer juristischen (10
Mitglieder, die zugleich das oberste Gericht bilden)
und einer Verwaltungsabteilung (11 Mitglieder)
für die Leitung der allgemeinen Verwaltung des
Landes. Das Plenum des Senats versammelt sich
zur Ausarbeitung von Gesetzentwürfen oder um
dem Großfürsten Ratschläge zu geben hinsichtlich
der Beschlüsse des Landtags in Gesetzessachen. Der
Senat wird vom Großfürsten auf 3 Jahre er-
nannt, das Mandat kann erneuert werden. Der
Generalgouverneur, der zugleich der Oberbefehls-
haber der in Finland liegenden Truppen ist, hat
den Gang der Arbeiten des Senats zu verfolgen,
für die Ausführung der Beschlüsse des Zaren zu
sorgen, die Reskripte des Kaisers dem Senat zu
übermitteln, Adressen des Senats entgegenzuneh-
men und dem Staatssekretariat für Finland zu
übermitteln (wenn nötig, mit einem Avis); er ist
der Chef der ausführenden Behörde, er wacht über
die öffentliche Sicherheit, strikte Anwendung der
Rußland.
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Befehle der Regierung, über Achtung der Gesetze
usw. Zur Behandlung der Angelegenheiten, welche
die Entscheidung des Kaisers erfordern, besteht
das Staatssekretariat für Finland, das aus dem
Ministersekretär, einem Adjunkten, die beide vom
Kaiser ernannt werden, und der Kanzlei seiner
Majestät für Finland zusammengesetzt ist. Der
Staatssekretär berichtet über alle finnischen An-
gelegenheiten außer den militärischen; in Ange-
legenheiten, die auch das Reich berühren, muß er
den zuständigen Reichsminister vor seinem Bericht
befragen. Er ist der Vermittler der Korrespondenz
mit den russischen Ministern über Angelegenheiten,
die Rußland und Finland gemeinsam oder die
Sphäre der Amtstätigkeit russischer Minister be-
rühren, und für die auswärtigen Sachen Finlands,
soweit nicht bereits die Verordnung des russischen
Ministerrats im Sommer 1908, wonach alle fin-
nischen Angelegenheiten zuerst von den russischen
Ministern geprüft werden sollen, und das neue
Finlandgesetz andere Bestimmungen trifft. Für
die Lokalverwaltung ist das Land in acht Provinzen
(Län) eingeteilt, an deren Spitze Gouverneure
stehen, die vom Großfürsten ernannt werden. Die
Provinzen zerfallen in Vogteien, deren Beamte
vom Generalgouverneur auf Vorschlag des Senats
ernannt werden.
Für die Justi zverwaltung bestehen als
Gerichte erster Instanz Kreisgerichte (60 für das
Land) und Rathausgerichte für die Städte, als
Gerichte zweiter Instanz die drei Hofgerichte zu
Abo, Wasa und Wiborg. Die höchste Instanz bil-
det der Senat. Der Prokurator übt die Aussicht
über die Gerichtsorgane und über die Vollstreckung
der Strafen aus. Die Gemeindeangelegenheiten
der Städte werden von der Bürgerschaft durch ge-
wählte Magistrate geregelt; die Landgemeinden
sind ähnlich organisiert, doch steht hier der Regie-
rung ein größeres Aussichtsrecht zu.
Staatskirche ist die lutherische Kirche; es
bestehen 1 Erzbistum und 3 Bistümer mit 45
Propsteien und 512 Pfarreien. Die russisch-ortho-
doxe Kirche genießt dieselben Rechte wie die luthe-
rische, andere Konfessionen sind nur geduldet. Für
die Katholiken (an 1000) bestehen zwei Missions-
pfarreien in Abo und Helsingfors. Die Organi-
sation des auf hoher Stufe stehenden Schulwesens
(1900 nur 26 261 Analphabeten) geht vom Staat
aus, die Volksschulen sind aber Kommunalanstal=
ten. 1909 gab es 1 Universität (Helsingfors), 1
Polytechnikum, 1908: 66 Lyzeen (26 staatlich),
31 Realschulen, 7 Seemanns-, 122 landwirtschaft-
liche, 21 Handels= und Industrie-, 114 Hand-
werker-, 57 von Privaten oder Kirchen unter-
haltene, 12 Blinden-, 4045 Volksschulen usw.
Die Schulpflicht dauert vom 7. bis 15. Jahr.
1908 erschienen 92 schwedische, 223 finnische, 9
schwedische und finnische, 2 deutsche, 2 russische
Zeitungen und Zeitschriften. Z
Wehrpflicht. Seit 1878 hatte Finland ein
eignes Wehrpflichtgesetz und ein eignes, rein fin-