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sächlicher, kein rechtlicher Unterschied. Bürger
einer Gemeinde ist, wer das Bürgerrecht erworben
hat. Gemeindebehörden sind der auf vier Jahre
gewählte Gemeinderat (alle zwei Jahre scheidet die
Hälfte aus) und der Gemeindevorstand (Bürger-
meister und sein Stellvertreter, in Orten von mehr
als 2000 Einw. noch aus ein oder mehreren
Beigeordneten oder Stadträten). In Gemeinden
von nicht mehr als 300 Einwohnern kann die
Gemeindeversammlung an Stelle des Gemeinde-
rats treten. Für die Gemeindewahlen gewährt
ein Einkommen bis zu 500 M eine Stimme, je
weiteren vollen 500 M eine weitere Stimme. In
den Händen des Gemeindevorstands liegt das ge-
samte Polizeiwesen. ,
Im Großherzogtum bestehen 19 Amtsgerichte,
die Landgerichte Weimar, Eisenach und (für den
Neustädter Kreis) das mit Reuß j. L. gemein-
schaftliche Landgericht Gera (Staatsverträge vom
18. Mai 1878 und 27. Dez. 1906), ferner das
gemeinschaftliche thüringische Oberlandesgericht
Jena (Staatsverträge vom 19. Febr. 1877 und
27. Nov. 1903). Die Bezirke der zum gemein-
schaftlichen Oberlandesgericht Jena gehörigen Land-
gerichte sind in vier Schwurgerichtsbezirke zusam-
mengelegt: 1) die Bezirke der Landgerichte Alten-
burg, Gera und Greiz (Sitzungen in Gera), 2) der
Bezirk des Landgerichts Meiningen, 3) die Bezirke
der Landgerichte Rudolstadt und Weimar, 4) die
Bezirke der Landgerichte Gotha und Weimar (bei
3 und 4 Sitzungen abwechselnd). Die Straf-
anstalten (Gräfentonna, Hassenberg usw.) werden
von den thüringischen Staaten gemeinsam benutzt.
Eine staatliche Bank ist die Landeskreditkasse.
Für das gesamte Großherzogtum besteht eine
Handelskammer (seit 1900), eine Handwerks-
kammer (seit 1900) und eine Landwirtschafts-
kammer (seit 1909).
Die Verhältnisse des Staatsvermögens ent-
behren einer endgültigen Reglung. Es ist zu
unterscheiden zwischen Kammer= und Landschafts-
vermögen. Das Kammergut enthält eine Mischung
öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Bestand-
teile. Nach der Verordnung vom 4. Mai 1854
ist dessen Eigentümer der jeweilige Großherzog,
doch ist die Verwaltung bis auf einen dem groß-
herzoglichen Haus zur eignen Verwaltung über-
lassenen Teil (Krongut) Sache der Staatsverwal-
tung. Die Einkünfte fließen in die Staatskasse,
aus welcher der Großherzog die Zivilliste (1,02
Mill. M) erhält. Das Landschaftsvermögen da-
gegen ist reines Staatsgut. Der Wirtschaftsplan
des Landes ist ein dreijähriger. In der Finanz-
veriode 1908/10 balancieren die jährlichen Ein-
nahmen (2,9 Mill. aus Grundbesitz, 0,5 Mill.
aus Zinsen, 3,1 Mill. aus Einkommensteuer) und
Ausgaben (3,9 Mill. Staatsverwaltung, 2,3 Mill.
Kirchen und Schulen) mit je 10,62 Mill. M. Die
Staatsschuld (1909:2,4 Mill. M) wird, ab-
gesehen vom fiskalischen Grundbesitz durch das
Kapitalvermögen mehr als gedeckt.
Sachsen-Weimar-Eisenach.
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Diegroßherzoglichen Truppen bilden das 5. thü-
ringische Infanterieregiment Nr 94 (Großherzog
von Sachsen), das der 38. Division des XI. Armee-
korpszugeteiltist(Militärkonventionen mit Preußen
von 1867 und 15. Sept. 1873).
Neben dem „Hausorden der Wachsamkeit oder
vom weißen Falken“ (gestiftet 1732, 3 Klassen)
bestehen Medaillen für Wissenschaft, Kunst usw.
Das Wappen ist geviert, im Herzen trägt es
den königlichen gekrönten sächsischen Rautenkranz-
schild, die oberen zwei Felder sind für Thüringen
und Meißen, das dritte (gespaltene) für Henne-
berg und Neustadt, die vierte (gespaltene) für
Blankenhain und Tautenburg. Landesfarben
sind Schwarz, Gold, Grün.
4. Kirche und Schule. Oberste Behörde
für die evangelische Landeskirche ist für
die rein kirchlichen und geistlichen Angelegenheiten
der kollegialisch eingerichtete Kirchenrat unter dem
Vorsitz des Leiters des Kultusdepartements, für
die äußern kirchlichen und die gemischten kirchlichen
Angelegenheiten das Kultusdepartement. Der
Kirchenrat trat 1849 an Stelle des Oberkonsi=
storiums, er wurde neu geregelt durch die Syn-
odalordnung vom 29. März 1873 und die Ver-
ordnung vom 25. Nov. 1874. Die Verfassung
der Kirchengemeinden beruht auf der Kirchen-
gemeindeordnung vom 24. Juli 1895.
Sachsen-Weimar-Eisenach war ursprünglich ein
rein protestantisches Land. Durch die beiden in-
folge des Wiener Kongresses mit Preußen ge-
schlossenen Verträge von 1815 (vgl. Sp. 869)
kam der katholische Teil des Eisenacher Oberlands
hinzu, der bis zur Säkularisation der reichs-
unmittelbaren geistlichen Herrschaft Fulda unter-
standen hatte. Durch Zuzug bildeten sich im Lauf
des 19. Jahrh. auch in den rein protestantischen
Teilen katholische Gemeinden. Die 14 Pfarreien
mit mehreren Kuratien und Kaplaneien (1910:
21 Geistliche) sind zum Dekanat Geisa vereinigt,
das zur Diözese Fulda gehört. Ordensnieder-
lassungen haben die Barmherzigen Schwestern
aus Fulda und die Grauen Schwestern der
hl. Elisabeth aus Breslau. Für männliche Orden
ist die Niederlassung verboten. Die Verhältnisse
der katholischen Kirche wurden im staatskirchlichen
Sinn geregelt durch das Gesetz vom 7. Okt. 1823,
das durch die Gesetze vom 6. Mai 1857 und
10. April 1895 einige unwesentliche Abände-
rungen erfuhr. „Zur Wahrung und Ausübung
der Rechte des Staats, welche sich in Ansehung
der katholischen Kirche, ihrer Güter und Diener,
aus der weltlichen Oberaufsicht und Polizeigewalt
ergeben“, besteht eine dem Staatsministerium
unterstellte „Immediatkommission für das katho-
lische Kirchen= und Schulwesen"“. An diese sind
alle Sachen zu bringen, in welchen die Kenntnis-
nahme, Zustimmung, Bestätigung usw. von seiten
des Staats ausdrücklich vorbehalten ist; aus-
genommen sind Erlasse usw. „in dem rein dog-
matischen Fach“ und in der innern, den Staat