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eine selbständige Ackernahrung bilden, nach dem
Tod des Besitzers auf einen Erben, den sog.
„Anerben“, zu veranlassen; bei der Übergabe sollte
der Ertragswert, nicht der Verkaufswert der Be-
rechnung zugrunde gelegt werden. Bezüglich der
Verschuldung hatte Schorlemer die sehr richtige
Auffassung gewonnen, daß in sehr vielen Fällen
die Überschuldung der ländlichen Besitzer daher
rühre, daß im Erbgang die Übernahme der Höfe
gegen eine zu hohe Taxe erfolgt, was besonders
in sog. guten Jahren häufig der Fall war, bei dem
Niedergang der Preise für landwirtschaftliche Er-
zeugnisse aber seine Rückwirkung ausüben mußte.
Zur Sicherung gegen die Folgen unvorher-
gesehener Unglücksfälle schenkte Schorlemer dem
Versicherungswesen große Aufmerksamkeit.
Eswurden im Interesse der Mitglieder des Bauern-
vereins besondere Verträge mit Versicherungs-
gesellschaften abgeschlossen, und zwar gegen Feuers-
gefahr, Hagelschäden und für Todesfall; für Haft-
pflichtversicherung wurde ein besonderer Versiche-
rungsverein gegen Haftpflicht für die Landwirte
der Provinz Westfalen gegründet. Wohl zuerst
war es in Westfalen der Fall, daß man in bäuer-
lichen Kreisen auch der Lebensversicherung ein
wirklich größeres Interesse entgegenbrachte, wenn-
gleich Raiffeisen schon früher die Bedeutung der
Lebensversicherung auch für die Landwirte sehr
energisch betont hatte und bereits dem Gedanken
näher getreten war, eine eigne Lebensversicherungs-
gesellschaft für die landwirtschaftlichen Kreise zu
gründen. Mehr Anklang fand die Sache erst in
Westfalen in Verbindung mit dem dort geltenden
Anerbenrecht, indem nur die Lebensversicherung
die Mittel zur Abfindung der Nebenerben zu
bieten imstande ist. Sowohl für Befriedigung
des Real= wie auch des Personalkredits wurde
Fürsorge getroffen und damit wucherischer Aus-
beutung der Landwirte entgegengewirkt.
Die erste Anregung zur Errichtung der „West-
fälischen Landschaft“ ging von Schorlemer
aus in Verbindung mit Landrat v. Borries.
Beide sahen ein, daß nur durch ein Pfand-
briefinstitut das landwirtschaftliche Realkredit-
bedürfnis befriedigt werden könne. Auch die
Schaffung dieses Instituts stieß auf Widerstand
beim Oberpräsidenten v. Kühlwetter, der von der
Ausgabe von Pfandbriefen seitens einer land-
schaftlichen Anstalt zur Beleihung der Höfe eine
Schädigung der Kreissparkassen befürchtete. Auf
die persönlichen Vorstellungen Schorlemers im
preußischen Ministerium kam jedoch der damalige
Landwirtschaftsminister Friedenthal im April 1877
selbst nach Münster und überzeugte sich, daß die
erhobenen Bedenken gegenüber den außerordent-
lichen Vorteilen des zu gründenden Instituts
nicht ins Gewicht fallen könnten. So wurde zur
Eründung der Westfälischen Landschaft geschritten.
Zur Reglung des ländlichen Personalkredits sind
unter der Agide des Westfälischen Bauernvereins
in einer großen Anzahl Gemeinden örtliche Spar-
Schorlemer-Alst.
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und Darlehnskassenvereine auf Grundlage des Ge-
setzes betreffend Erwerbs= und Wirtschaftsgenossen-
schaften als gerichtlich eingetragene Genossenschaften
errichtet worden. Sie haben in der „Länd-
lichen Zentralkasse“ in Münster ihren Rück-
halt für den Geldausgleich und besitzen in dem
„Verband ländlicher Genossenschaf-
ten der Provinz Westfalen“ eine geordnete Revi-
sionsstelle. Für den Ankauf landwirtschaftlicher
Bedarfsartikel, wie Dünger, Futtermittel, Saat-
gut usw., sowie für den Absatz landwirtschaftlicher
Erzeugnisse, wie Getreide, Vieh u. dgl., ist durch den
Bauernverein eine Anzahl bäuerlicher Bezugs-
und Absatzgenossenschaften gegründet
worden, welche als ihren Mittelpunkt ein groß-
kaufmännisches Unternehmen in der Westfälischen
Zentralbezugs= und Absatzgenossenschaft besitzen.
In Gemeinschaft mit dem landwirtschaftlichen
Provinzialverein für Westfalen und Lippe hat der
Bauernverein auch eine Prüfungsstation und An-
kaufsstelle für landwirtschaftliche Maschinen und
Geräte ins Leben gerufen, welche auch mit einer
mechanischen Reparaturwerkstätte und einer Lehr-
werkstätte für Landschmiede und -schlosser ver-
bunden wurde. Weiter besitzt der Verein ein Bau-
amt zur Beratung der Landwirte für zweckmäßige
Anlage ihrer Baulichkeiten sowie ein Forstamt
zur Erteilung von Rat für die Bewirtschaftung der
Wälder, ein Rechtsbureau und Grundbuchamt zur
Aufklärung in Rechtsfragen und zur Regulierung
des Grundbuchs. Eine treffliche, ideal gedachte
Einrichtung sind endlich die vom Verein ins Leben
gerufenen Vergleichs- und Schiedsämter, welche
im Fall von Streitigkeiten unter den Landwirten
oder zwischen diesen und Außenstehenden die Ein-
tracht wiederherzustellen und gerichtliche Prozesse
mit ihren Unkosten, ihrem Zeitverlust und ihrer
dauernden Feindschaft zu verhindern bestimmt
sind. Wie Schorlemer sich für die Gründung der
landwirtschaftlichen Mittelschulen in Lüdinghausen
und Herford bemühte und durch frühzeitige Ein-
richtung von Düngerkontrollen den Grund für die
agrikultur-chemische Versuchsstation in Münster
legte, so war sein Sinnen auch immer darauf ge-
richtet, für die Söhne und Töchter der kleinen
Landwirte geeignete Fortbildungsschulen zu
schaffen, welche ohne Verbildung der jugendlichen
Gemüter die für den späteren Lebensberuf nötigen
Kenntnisse vermitteln sollten. Dieser Anschauung
entsprechend war die Sorge des Bauernvereins
auch dem niederen landwirtschaftlichen Bildungs-
wesen zugewandt.
Von großem Einfluß war Schorlemers Tätig-
keit auch außer dem Bauernverein in andern Kör-
perschaften, denen er angehörte. So wurde er
schon 1863 in das preußische Landesökonomie-
kollegium berufen, 1865 stellvertretender Vor-
sitzender des landwirtschaftlichen Hauptvereins für
den Regierungsbezirk Münster und 1867 erster
Vorsitzender dieser Körperschaft, 1870 Direktor
des landwirtschaftlichen Provinzialvereins für