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Kinder zu schützen, beruht auf den angebornen
Rechten der Kinder selbst.
Die Rechte, welche eine Persönlichkeit besitzen
kann, sind nun entweder von der Art, daß sie mit
und in der Persönlichkeit von selbst gesetzt sind, so
daß sie von der Person gar nicht trennbar sind,
oder sie sind von der Art, daß sie von einer Person
erst durch irgend eine rechtmäßige Handlung ge-
wonnen werden können — angeborne und er-
worbene Rechte. Die letzteren setzen die ersteren
voraus, d. h. die angebornen Rechte sind früher
als die erworbenen, wie die Person als solche früher
ist als der Akt der Rechtserwerbung von seiten
der Person.
2. Das erste angeborne Recht, das
eigentliche Urrecht des Menschen, ist das Recht,
von allen als Person, als rechtsfähiges Wesen
anerkannt und behandelt zu werden (Recht auf
Persönlichkeit). Ist nämlich der Mensch wesentlich
Person, dann muß er auch das Recht haben, als
Person zu leben, und niemand kann berechtigt
sein, ihn als bloße Sache zu betrachten und zu
behandeln. Auch die Gesellschaft hat kein Recht,
den einzelnen Menschen bloß als ihr Organ zu
betrachten und zu behandeln; auch sie hat seine
Persönlichkeit unter allen Umständen zu achten
und darf nie an derselben rühren.
Dieses Urrecht des Menschen auf Persönlichkeit
wird aufgehoben durch die Sklaverei. Der
Sklave gilt nicht als Person, sondern als bloße
Sache (mancipium). Er gehört zum Sacheigen-
tum des Herrn, ist ein Inventarstück im Hausrat
des letzteren, wie ein Pferd oder ein anderes Haus-
tier. Und wie jedes andere Inventarstück durch
die Erwerbstitel des Kaufs, der Schenkung, der
Erbfolge usw. in das Eigentum des Herrn über-
geht, so wird es auch mit dem Sklaven gehalten.
Er wird gekauft, verkauft, verschenkt, vererbt. Wie
es endlich im Belieben des Herrn liegt, mit seinem
Sacheigentum zu verfahren, wie er will, so kann
auch der Herr den Sklaven behandeln, wie es ihm
beliebt; dieser hat jenem gegenüber kein Recht,
und jener hat ihm gegenüber keine Pflicht. So
wurde wenigstens im Altertum der Sklave ge-
dacht. Mit dem Urrecht auf Persönlichkeit fielen
auch alle anderweitigen Rechte; der Sklave war
rechtlos.
Wir treffen das Institut der Sklaverei nicht
bloß bei kulturlosen Völkern, sondern auch in dem
hochgebildeten römischen Reich. Die heidnischen
Religionen und der Islam haben sich damit ab-
gefunden und dasselbe sanktioniert. Auch die an-
tike Philosophie hatte dagegen nichts einzuwenden.
Und doch liegt das Urrecht des Menschen der Ver-
nunft so nahe, daß es unbegreiflich erscheinen
muß, wie dasselbe für die Sklaven gar keine An-
wendung finden konnte. Erst das Christentum
hat Hand angelegt an dieses furchtbare Institut
und hat den Sklaven das angeborne Recht auf
Persönlichkeit wieder zurückgegeben. Durch das
Christentum wurde das Institut der Sklaverei erst
Person.
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innerlich, im Prinzip gebrochen. Mit dem
christlichen Prinzip, daß vor Gott kein Unterschied
besteht zwischen Sklaven und Freien, daß die christ-
liche Liebe allen, auch den Sklaven, sich zuwenden
müsse. konnte das andere Prinzip, daß der Sklave
rechtlos und eine bloße Sache sei, nicht mehr zu-
sammen bestehen. Außerlich freilich konnte das
Institut der Sklaverei erst allmählich beseitigt
werden. Es war mit der antik heidnischen Gesell-
schaftsordnung derart innerlich verwachsen, daß
eine plötzliche Freierklärung aller Sklaven gleich-
bedeutend gewesen wäre mit dem Umsturz der
ganzen bestehenden Gesellschaftsordnung. Erst als
im Laufe der Zeit der christliche Geist in der Ge-
sellschaft mehr und mehr erstarkte, gelang es auch,
das Institut der Sklaverei in seinem äußern Be-
stand allmählich zu beseitigen.
3. Weitere angeborne Rechte sind das Recht
auf persönliche Freiheit und das Recht auf per-
sönliche Gleichheit. Das Recht auf persönliche
Freiheit ist das Recht auf Selbständigkeit in
Bezug auf das eigne persönliche Tun und Lassen.
Gerade darin offenbart sich ja die Persönlichkeit,
daß ein persönliches Wesen nach eignem Ermessen
über sein Tun und Lassen verfügt, während ein
unpersönliches Wesen der Willkür eines andern
anheimgegeben ist. Ist also der Mensch ein per-
sönliches Wesen, so muß er auch das Recht haben,
nach eignem Ermessen über sein Tun und Lassen
zu verfügen, so daß er in dieser Beziehung nicht
der Willkür anderer anheimgegeben ist. Widrigen-
falls würde er wiederum zur bloßen Sache herab-
sinken. Freilich darf aber diese persönliche Frei-
heit, worauf der Mensch als Person ein Recht
hat, nicht als eine absolute, als eine unbeschränkte
betrachtet werden. Sie ist vielmehr wesentlich be-
schränkt vor allem durch die Gesetze der göttlichen
und menschlichen Ordnung, unter welchen der
Mensch steht, denen zu gehorchen er verpflichtet ist.
Auch durch das soziale Zusammenleben der Men-
schen wird die persönliche Freiheit eingeengt. Soll
nämlich ein solches Zusammenleben möglich sein,
so ist der einzelne in seinem persönlichen Tun und
Lassen durch gar viele Rücksichten gebunden, über
welche er sich nicht hinwegsetzen darf. Ubrigens
kann und darf der Mensch seine persönliche Frei-
heit erst dann zur Geltung bringen, wenn er zu
einer derartigen geistigen Reife gediehen ist, daß
er sich vernünftig zu leiten vermag. Im Stand
der Unreife, der Unmündigkeit, oder wenn er gar
nicht im Gebrauch seiner Vernunft stünde, würde
ihm der freie Gebrauch des Rechts auf persön-
sönliche Freiheit vielmehr zum Schaden als zum
Nutzen gereichen, während jedes Recht wesentlich
für ihn den Charakter eines Gutes hat, daher auch
sein Bestes fördern muß.
Unter dem Recht auf persönliche Gleichheit
versteht man das Recht des Menschen, sich als
menschliche Persönlichkeit mit allen übrigen Men-
schen auf gleiche Stufe zu stellen und von allen
als in dieser Beziehung ihnen gleichstehend be-