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und Schweden, 1844 nach Italien. Aus den von
ihm geführten Tagebüchern ersieht man, wie ein
empfänglicher Sinn für die Schönheiten der Natur
und großes Interesse für Kunst und Wissenschaft
ihn auf seinen Reisen geleiteten. Sehr bald trat
bei ihm auch die Reigung hervor, sich am öffent-
lichen Leben zu beteiligen, und so finden wir ihn,
da in den vierziger Jahren des 19. Jahrh. sehr
häufig in der Form von Gesang= und Turn-
vereinen sich Bestrebungen politischer Natur gel-
tend machten, an der Spitze solcher Gesellschaften.
Als es sich dann 1848 um die Wahl zur preußi-
schen Nationalversammlung handelte, fiel die
Wahl auf Schulze als Mann des öffentlichen
Vertrauens. Bei dieser Gelegenheit erhielt er auch
die zusätzliche Bestimmung seines Namens durch
Hinzufügung des Namens seiner Vaterstadt be-
hufs Unterscheidung von Namensvettern.
Bedeutungsvoll für Schulzes ganze Zukunft
sollte es werden, daß die Nationalversammlung
ihn zum Vorsitzenden der Kommission zur Prüfung
der Notstände im Handwerker= und Arbeiterstand
wählte; denn hier fanden seine Kenntnisse der
kleinbürgerlichen Verhältnisse, die er als Patri-
monialrichter im engeren Kreis erworben, große
Bereicherung und Erweiterung durch die Allgemein-
heit des gebotenen Stoffs. Infolge seiner politi-
schen Tätigkeit, besonders aber durch die Rolle,
welche er 1849 in einem Steuerverweigerungs-
prozeß spielte, wo er nur durch seine glänzende
Verteidigung der Verurteilung entging, hatte
Schulze das Mißfallen der Regierung erregt, und
so wurde er, als in Preußen die Patrimonial=
gerichtsbarkeit aufgehoben wurde, zuerst auf Warte-
geld gesetzt und dann als Kreisrichter nach Wreschen
in der Provinz Posen beordert. Widerwillig nahm
er diese Versetzung an und suchte ein Jahr später
um Urlaub zur Stärkung seiner Gesundheit nach.
Zuerst wurde ihm der Urlaub verweigert, dann
aber auf ein zweites Ersuchen gewährt unter der
Bedingung, daß er nicht in die Heimat reise.
Schulze kümmerte sich um dieses Verbot nicht.
Als er dann wegen Unbotmäßigkeit zu einer Geld-
strase verurteilt wurde, legte er seine Stelle nieder,
trat aus dem Staatsdienst aus und kehrte nach
Delitzsch zurück, wo er dann als Gehilfe eines
Rechtsanwalts und durch anderweitige freie Tätig-
keit für sich und seine Familie den Unterhalt zu
gewinnen suchte.
Die eingetretene Wendung seines Geschicks und
die mehr oder weniger doch erzwungene Anderung
seines Lebensberufs führte Schulze demjenigen
Wirkungskreis nunmehr näher, welcher später seine
eigentliche Lebensaufgabe werden sollte. Bereits
in den Notzeiten der Jahre 1846 und 1847 hatte
er die Anregung zur Gründung einer Bezugs-
vereinigung für Getreide im Interesse der kleinen
und unbemittelten Leute gegeben. Im Jahr 1849
gründete er eine Kranken= und Sterbekasse und
bald darauf eine Vereinigung der Tischler sowie
eine solche der Schuhmacher zum gemeinsamen
Schulze-
Delitzsch. 948
Einkauf der in den betreffenden Gewerben erfor-
derlichen Rohstoffe. Die Einrichtung wurde so
getroffen, daß die Mitglieder sich mit Einlagen
beteiligten, und soweit das erforderliche Betriebs-
kapital dadurch nicht zu beschaffen war, unter ge-
meinschaftlicher Garantie Anlehen machten, sowie
daß aus den Überschüssen des Geschäftsbetriebs
ein Reservekapital angesammelt wurde. In den
Jahren 1848 und 1849 war man sodann in
Küstrin und Elbing mit der Gründung eines
Vorschußvereins und einer Handwerkerbank vor-
gegangen, und so gab Schulze 1850 auch die
Anregung zur Gründung eines solchen Instituts
in Delitzsch, welches aber seiner ganzen Anlage
nach nicht als Genossenschaft, sondern als Wohl-
tätigkeitsverein betrachtet werden muß, indem der
Fonds desselben durch geschenkweise Beiträge und
zinsfreie Darlehen aufgebracht wurde und sich
von andern ähnlichen Einrichtungen damaliger
Zeit nur dadurch unterschied, daß auch die der
Vorschüsse Bedürftigen zu fortlaufenden Monats-
beiträgen herangezogen wurden.
Als Schulze von Wreschen wieder nach Delitzsch
zurückkehrte, sah er bald, daß der Delitzscher Vor-
schußverein sich durchaus nicht seinen Erwartungen
entsprechend entwickelt habe, machte zugleich aber
auch die Wahrnehmung, daß der gleichzeitig mit
dem Delitzscher in Eilenburg gegründete Verein
eine bedeutende Wirksamkeit aufwies. Auch blieb
ihm die Ursache dieser verschieden gearteten Er-
scheinungen nicht verborgen; sie lag in der durch-
aus voneinander abweichenden Grundlage beider
Institute. In Eilenburg hatte man das Prinzip
der Selbsthilfe im ganzen Umfang zur Anwen-
dung gebracht, hatte von zinsfreien Zuschüssen
oder Geschenken etwaiger Wohltäter abgesehen
und nur auf Grund der Solidarhaft der Mit-
glieder das ganze benötigte Kapital angeliehen.
Um das Interesse der Mitglieder rege zu erhalten,
wurden aus dem Gewinn des Vereins den Mit-
gliedern auf ihre Einlagen Dividenden gewährt,
die ganze Verwaltung wurde auf Gehalt und Be-
soldung gestellt. Schulze besann sich keinen Augen-
blick, als er die Wirkung dieser Einrichtungen in
Eilenburg kennen gelernt hatte, den Delitzscher
Verein nach diesen Grundsätzen umzugestalten.
Zugleich trat er aber auch an andern Orten für
die Anwendung und Einführung des genossen-
schaftlichen Prinzips ein. Man muß in der Tat
Schulzes Mut bewundern, aus den damaligen
kleinen und allein stehenden genossenschaftlichen
Gebilden in einer Zeit allgemeiner wirtschaftlicher
und politischer Verzagtheit Veranlassung zu neh-
men, mit Überzeugung und Begeisterung den
Mittelstand auf die in ihm liegende Kraft hinzu-
weisen.
Bereits 1853 waren Schulzes Ansichten über
die Bedeutung des Genossenschaftswesens so weit
gediehen, daß er mit seinem „Assoziationsbuch für
deutsche Handwerker und Arbeiter“ hervortreten
konnte, mit welchem er die umfassende Agitation