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des Bundesrats, sei es der Landeszentralbehörde,
sei es der Polizeibehörde, weit mehr noch als bis-
her eine konkrete Ausgestaltung erfahren. Nament-
lich für die Verarbeitung von Giften bedarf es
noch weiterer Vorschriften. Zur Erhaltung der
gleichen Konkurrenzbedingungen für die Industrie
verdient die Reglung durch den Bundesrat den
Vorzug. Insbesondere sollten die Polizeibehörden
auch von ihrem Recht, anzuordnen, daß besondere
Ankleide= und Waschräume eingerichtet (§ 120b)
und „den Arbeitern zur Einnahme von Mahl-
zeiten außerhalb der Arbeitsräume angemessene, in
der kalten Jahreszeit geheizte Räume unentgeltlich
zur Verfügung gestellt werden“ (§ 120d), mehr
Gebrauch machen — namentlich auch, um so den
jugendlichen Arbeitern während der Pausen
(§136) im Interesse von Gesundheit und Sitt-
lichkeit angemessene Aufenthaltsräume zu sichern.
Da spätere Einrichtungen und Anderungen in An-
lage und Betrieb zum Schutz der Arbeiter in der
Regel schwierig und kostspielig sind, so sollte für
alle gewerblichen Neuanlagen und Anderungen
die vorherige Genehmigung der Baupläne (nach
Vorbild der §§ 16 und 24) nach Prüfung durch
die Gewerbeaufsichtsbeamten unter Maßgabe von
Normativbestimmungen vorgeschrieben werden. —
Zur Verhütung sittlich bedenklicher Abhängigkeits-
verhältnisse der Arbeiterinnen gegenüber Vor= und
Mitarbeitern sollte (nach Vorbild der Bundes-
ratsverordnung für Anfertigung von Zigarren)
gesetzlich bestimmt werden, daß Arbeiterinnen und
jugendliche Arbeiter in unmittelbarem Verhältnis
zum Betriebsunternehmer stehen müssen und ein
Annehmen und Ablohnen derselben durch andere
Arbeiter oder für deren Rechnung nicht gestattet
ist. Bei der Verschiedenheit der Verhältnisse und
dem raschen Wechsel der Technik wird der Weg
der Verordnung immer seine Ergänzung finden
müssen durch die besondere polizeiliche Verfügung
im einzelnen Fall. Dieses Recht polizeilicher Ver-
fügung sollte dem Gewerberat direkt zustehen
(nicht, wie es bisher entgegen den Bestimmungen
des 8 139b der Gew.O. durch „Anweisung“ vor-
geschrieben ist, der Polizei allein vorbehalten sein).
Da die ganze Durchführung dieser Vorschriften
überhaupt wesentlich der Gewerbeinspektion ob-
liegt, so sollte diese durch Erhöhung der Zahl unter
gesteigerter Hinzuziehung von weiblichen Beamten
und Arbeitern weiter ausgebaut und insbesondere
auch durch entsprechend ausgebildete Arzte erwei-
tert werden. Krankenkassen, Berufsgenossenschaften
und Invalidenanstalten könnten endlich durch Vor-
träge, Schriften, statistische Erhebungen usw. auf
die Gefährdungen der Gesundheit hinweisen und
auf entsprechende Einrichtungen drängen.
Im allgemeinen bricht sich das Gefühl der Ver-
antwortung und die Einsicht, daß Gesundheit und
Arbeitsfrische wichtige Faktoren auch für den wirt-
schaftlichen Erfolg des Geschäfts bilden, immer
mehr Bahn, und zeichnen sich die neuen Fabrik-
anlagen vielfach durch hohe, lichte, gut ventilierte
Schutzgesetze,
gewerbliche. 958
Arbeitsräume aus. Die Anlage von Bade= und
Wascheinrichtungen, von Umkleideräumen, von
Sälen und Gartenanlagen zum Aufenthalt wäh-
rend der freien Zeit, zum Einnehmen der Mahl-
zeiten, sorgfältigere Anlage der Abtritte (mit Ver-
schluß und Wasserspülung), künstliche Ventilation
der Arbeitsräume durch Exhaustoren oder Impul-
soren mit Wasserabkühlung oder zerwärmung,
Vorrichtungen zur Absaugung von Staub und
ungesunden Gasen — alle diese Anlagen werden
in industriell entwickelten Gegenden häufiger.
Auch die Fürsorge für bessere Nahrung: Menagen
zur Gewährung eines billigen und guten Essens,
Verabreichung von Kaffee oder Suppe, von
Bier usw. — gleichzeitig zur Verdrängung des
Branntweins — sind dankenswerte Bestrebungen,
für die das öffentliche Interesse wächst.
II. Schutz der jugendlichen Arbeiter. Be-
stimmungen zum Schutz der jugendlichen Arbeiter
weisen mehr oder weniger alle Kulturstaaten auf.
Dieselben bezwecken in erster Linie den Schutz der
Gesundheit. In den Jahren der Entwicklung muß
eine zu frühzeitige, anstrengende, überlange Be-
schäftigung die Gesundheit schädigen, zumal in
Arbeitsräumen, die selbst für Erwachsene gefährlich
sind. Dann legt aber auch die Rücksicht auf die
Ausbildung und Erziehung Schranken auf. Kör-
perlich übermüdete Kinder werden mit wenig Er-
folg dem Volksschulunterricht beiwohnen. Das
Hauptinteresse nimmt die Arbeit in Anspruch.
Dazu kommen die sittlichen Gefahren der Zu-
sammenarbeit mit Erwachsenen, zumal bei un-
genügender sittlicher Aufsicht. Die Jugend stellt
die nationale Arbeitskraft der Zukunft dar: die
Ausbeutung und die damit gegebene vorzeitige
Inanspruchnahme und körperliche und geistige
Verkümmerung der Jugend ist auch eine schwere
wirtschaftliche Schädigung.
Die deutsche Gew. O. (§5 135/139a) unter-
scheidet: 1) „Kinder“ (unter 14 Jahren);
2) „iunge Leute“ (von 14/16 Jahren). Beide
Kategorien werden zusammengefaßt unter dem ge-
meinsamen Begriff: „Jugendliche Arbeiter".
Die Beschränkungen in der Beschäftigung
jugendlicher und weiblicher Arbeiter, welche früher
nur für Fabriken und den diesen gleichgestellten
Betrieben galten, sind durch die Gew.O.-Novelle
vom 28. Dez. 1908 auf alle Betriebe aus-
gedehnt, in denen in der Regel mindestens zehn
Arbeiter beschäftigt sind. Außerdem finden sie
auf Hüttenwerke, Zimmerplätze und andere Bau-
höfe, auf Werften sowie Werkstätten der Tabak-
industrie auch dann entsprechende Anwendung, wenn
in ihnen in der Regel weniger als zehn Arbeiter
beschäftigt werden, ferner auf Ziegeleien und über
Tag betriebene Brüche, sobald in ihnen mindestens
fünf Arbeiter beschäftigt werden (8 154). Werk-
stätten, in welchen durch elementare Kraft (Dampf,
Wind, Wasser, Gas, Luft, Elektrizität usw.) be-
wegte Triebwerke nicht bloß vorübergehend zur
Verwendung kommen, unterstehen ebenfalls den