Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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trachtet und behandelt zu werden. Es ist dabei 
ganz gleichgültig, auf welcher sozialen Rangstufe 
der Mensch stehe; ob König oder Bettler, ob reich 
oder arm, als Person sind sie alle gleich, haben 
daher auch das Recht, diese Gleichheit für sich in 
Anspruch zu nehmen. Der Grund hiervon liegt 
in der Gleichheit der Natur in allen menschlichen 
Persönlichkeiten. Daß damit die Ungleichheit der 
Menschen in Bezug auf erworbene Rechte nicht 
ausgeschlossen sei, liegt auf der Hand. Es handelt 
sich ja hier bloß um die persönliche Gleichheit, 
nicht um die Gleichheit der erworbenen Rechts- 
stellung. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit wird 
durchbrochen durch die gerechte Berücksichtigung 
der natürlichen und sozialen Verschiedenheit der 
Menschen (z. B. Alter, Geschäftsunfähigkeit, Ge- 
schechh). # 
4. Ein weiteres angebornes, aus der Persön- 
lichkeit fließendes Recht ist das Recht des Menschen 
auf sein Leben (körperliche Integrität) sowie das 
Recht der Selbsterhaltung. Der Mensch hat 
von Natur aus das Recht auf sein Leben. Nie- 
mand ist berechtigt, ihm dasselbe willkürlich und 
aus eigner Machtvollkommenheit zu rauben oder 
auch nur in Gefahr zu bringen. Wer ihm dieses 
Recht abspricht und für sich die Befugnis in An- 
spruch nimmt, ihn nach eigner Willkür direkt oder 
indirekt zu töten, der betrachtet und behandelt den 
Menschen nicht mehr als Person, sondern als 
Sache, deren Existenz oder Nichtexistenz allerdings 
seiner Willkür anheimgegeben ist, vorausgesetzt, 
daß sie in seinen Eigentumskreis gehört. Mord 
und Tötung stehen also im Widerspruch mit einem 
angebornen, natürlichen Recht des Menschen. 
Hat aber der Mensch als Person das Recht auf 
sein Leben, dann hat er der Gesellschaft gegenüber 
auch das Recht, sein Leben zu erhalten und die 
Mittel sich zu beschaffen, welche zur Erhaltung 
seines Lebens erforderlich sind. Niemand hat das 
Recht, ihn in der Beschaffung dieser Mittel zu 
verhindern. Allerdings ist der Mensch auch in 
der Beschaffung der Mittel zur Selbsterhaltung 
an die Gesetze der göttlichen und menschlichen 
Ordnung gebunden: auf unrechtmäßige Weise 
darf er die gedachten Mittel sich nicht zu beschaffen 
suchen; aber innerhalb der Grenzen jener Gesetze 
uunn er das Recht der Selbsterhaltung frei aus- 
üben. 
5. Ein angebornes, aus der Persönlichkeit 
fließendes Recht ist endlich das Recht auf intellek- 
tuelle Entwicklung und auf religiös-sitt- 
liche Lebensführung, auch das Recht auf 
freie Betätigung der geistigen und leib- 
lichen Kräfte innerhalb der von der Rechts- 
ordnung gezogenen Schranken. Als vernünftig 
freie Persönlichkeit muß nämlich der Mensch in all 
seinem Tun und Lassen durch vernünftige Er- 
wägung sich leiten lassen, nicht etwa durch den 
blinden Instinkt und Trieb. Eine solche vernünf- 
tige Lebensführung ist aber nur dadurch möglich, 
daß seine intellektuellen Kräfte zu einer derartigen 
Person. 
  
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Entwicklung kommen, daß er wirklich sein Tun 
und Lassen nach vernünftiger Erwägung ordnen 
kann. Folglich muß der Mensch als Person das 
Recht auf intellektuelle Entwicklung haben. Es 
kann daher einerseits niemand gestattet sein, ihn 
daran zu hindern und sie ihm unmöglich zu 
machen, anderseits haben diejenigen, deren Ob- 
sorge der Mensch in den ersten Stadien seines 
Lebens durch göttliche Fügung anvertraut ist, die 
strenge Pflicht, für eine genügende intellektuelle 
Entwicklung und Ausbildung desselben zu sorgen. 
Die Grundbedingung zur Erreichung der persön- 
lichen Endbestimmung des Menschen ist Religion 
und Sittlichkeit. Folglich hat der Mensch als 
Person auch das Recht auf eine religiöse und sitt- 
liche Lebensführung. Dieses Recht schließt ein 
Dreifaches in sich. Fürs erste hat der Mensch das 
Recht auf religiös-sittliche Bildung. Er kann 
nämlich nicht sein Tun und Lassen den Normen 
der Religion und Sittlichkeit gemäß gestalten, 
wenn er nicht in den religiösen und sittlichen 
Wahrheiten unterrichtet, wenn er nicht für das 
sittlich-religiöse Leben erzogen wird. Darum ver- 
letzen diejenigen ein natürliches Recht des Men- 
schen, welche, falls sie die erziehliche Autorität über 
einen Menschen in den ersten Stadien seines Da- 
seins nach göttlicher Anordnung besitzen, die reli- 
giös-sittliche Erziehung desselben vernachlässigen 
oder ihn gar in eine Lage bringen, in welcher die 
sittlich-religiöse Bildung und Erziehung für ihn 
vollständig unmöglich wird. Fürs zweite hat der 
Mensch das Recht auf Teilnahme an dem reli- 
giösen Kultus, die eine von Gott dem Menschen 
auferlegte Pflicht ist. Darum hat er auch das 
Recht zu dieser Teilnahme. Wenn jemand das 
etwaige Dienstverhältnis, in welchem ein anderer 
zu ihm steht, dazu benutzt, um ihn an der Teil- 
nahme an dem religiösen Kultus zu hindern, so 
verletzt er damit ein religiöses Recht des letzteren. 
Fürs dritte endlich hat der Mensch als Person das 
natürliche Recht auf die sittliche Integrität seines 
Leibes. Die Vergewaltigung eines Menschen zu 
einer unsittlichen Handlung ist nicht bloß eine 
verabscheuungswürdige Tat, sondern auch eine 
schwere Rechtsverletzung. 
6. Der Begriff der Person wird auch auf eine 
einheitlich organisierte Gesamtheit von Menschen 
übertragen, diese wird dann moralische Per- 
son genannt. Auf eine Gesamtheit von mensch- 
lichen Persönlichkeiten zu einem bestimmten ein- 
heitlichen Zweck unter einer leitenden und ge- 
bietenden Autorität, einen Verband, kann der 
Begriff der Person deshalb übertragen werden, 
weil ein solcher Verband ein rechtlich geordnetes 
und als Einheit rechtsfähiges Wesen ist. Soll 
nun ein solcher Verband als moralische Person 
existenzberechtigt sein, so darf sie weder nach dem 
Zweck, den sie verfolgt, noch nach den Mitteln, 
die sie zu dem gedachten Zweck gebraucht, mit 
den Gesetzen der göttlichen und menschlichen Ord- 
nung sich in Widerstreit setzen. Ist aber diese
	        
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