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trachtet und behandelt zu werden. Es ist dabei
ganz gleichgültig, auf welcher sozialen Rangstufe
der Mensch stehe; ob König oder Bettler, ob reich
oder arm, als Person sind sie alle gleich, haben
daher auch das Recht, diese Gleichheit für sich in
Anspruch zu nehmen. Der Grund hiervon liegt
in der Gleichheit der Natur in allen menschlichen
Persönlichkeiten. Daß damit die Ungleichheit der
Menschen in Bezug auf erworbene Rechte nicht
ausgeschlossen sei, liegt auf der Hand. Es handelt
sich ja hier bloß um die persönliche Gleichheit,
nicht um die Gleichheit der erworbenen Rechts-
stellung. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit wird
durchbrochen durch die gerechte Berücksichtigung
der natürlichen und sozialen Verschiedenheit der
Menschen (z. B. Alter, Geschäftsunfähigkeit, Ge-
schechh). #
4. Ein weiteres angebornes, aus der Persön-
lichkeit fließendes Recht ist das Recht des Menschen
auf sein Leben (körperliche Integrität) sowie das
Recht der Selbsterhaltung. Der Mensch hat
von Natur aus das Recht auf sein Leben. Nie-
mand ist berechtigt, ihm dasselbe willkürlich und
aus eigner Machtvollkommenheit zu rauben oder
auch nur in Gefahr zu bringen. Wer ihm dieses
Recht abspricht und für sich die Befugnis in An-
spruch nimmt, ihn nach eigner Willkür direkt oder
indirekt zu töten, der betrachtet und behandelt den
Menschen nicht mehr als Person, sondern als
Sache, deren Existenz oder Nichtexistenz allerdings
seiner Willkür anheimgegeben ist, vorausgesetzt,
daß sie in seinen Eigentumskreis gehört. Mord
und Tötung stehen also im Widerspruch mit einem
angebornen, natürlichen Recht des Menschen.
Hat aber der Mensch als Person das Recht auf
sein Leben, dann hat er der Gesellschaft gegenüber
auch das Recht, sein Leben zu erhalten und die
Mittel sich zu beschaffen, welche zur Erhaltung
seines Lebens erforderlich sind. Niemand hat das
Recht, ihn in der Beschaffung dieser Mittel zu
verhindern. Allerdings ist der Mensch auch in
der Beschaffung der Mittel zur Selbsterhaltung
an die Gesetze der göttlichen und menschlichen
Ordnung gebunden: auf unrechtmäßige Weise
darf er die gedachten Mittel sich nicht zu beschaffen
suchen; aber innerhalb der Grenzen jener Gesetze
uunn er das Recht der Selbsterhaltung frei aus-
üben.
5. Ein angebornes, aus der Persönlichkeit
fließendes Recht ist endlich das Recht auf intellek-
tuelle Entwicklung und auf religiös-sitt-
liche Lebensführung, auch das Recht auf
freie Betätigung der geistigen und leib-
lichen Kräfte innerhalb der von der Rechts-
ordnung gezogenen Schranken. Als vernünftig
freie Persönlichkeit muß nämlich der Mensch in all
seinem Tun und Lassen durch vernünftige Er-
wägung sich leiten lassen, nicht etwa durch den
blinden Instinkt und Trieb. Eine solche vernünf-
tige Lebensführung ist aber nur dadurch möglich,
daß seine intellektuellen Kräfte zu einer derartigen
Person.
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Entwicklung kommen, daß er wirklich sein Tun
und Lassen nach vernünftiger Erwägung ordnen
kann. Folglich muß der Mensch als Person das
Recht auf intellektuelle Entwicklung haben. Es
kann daher einerseits niemand gestattet sein, ihn
daran zu hindern und sie ihm unmöglich zu
machen, anderseits haben diejenigen, deren Ob-
sorge der Mensch in den ersten Stadien seines
Lebens durch göttliche Fügung anvertraut ist, die
strenge Pflicht, für eine genügende intellektuelle
Entwicklung und Ausbildung desselben zu sorgen.
Die Grundbedingung zur Erreichung der persön-
lichen Endbestimmung des Menschen ist Religion
und Sittlichkeit. Folglich hat der Mensch als
Person auch das Recht auf eine religiöse und sitt-
liche Lebensführung. Dieses Recht schließt ein
Dreifaches in sich. Fürs erste hat der Mensch das
Recht auf religiös-sittliche Bildung. Er kann
nämlich nicht sein Tun und Lassen den Normen
der Religion und Sittlichkeit gemäß gestalten,
wenn er nicht in den religiösen und sittlichen
Wahrheiten unterrichtet, wenn er nicht für das
sittlich-religiöse Leben erzogen wird. Darum ver-
letzen diejenigen ein natürliches Recht des Men-
schen, welche, falls sie die erziehliche Autorität über
einen Menschen in den ersten Stadien seines Da-
seins nach göttlicher Anordnung besitzen, die reli-
giös-sittliche Erziehung desselben vernachlässigen
oder ihn gar in eine Lage bringen, in welcher die
sittlich-religiöse Bildung und Erziehung für ihn
vollständig unmöglich wird. Fürs zweite hat der
Mensch das Recht auf Teilnahme an dem reli-
giösen Kultus, die eine von Gott dem Menschen
auferlegte Pflicht ist. Darum hat er auch das
Recht zu dieser Teilnahme. Wenn jemand das
etwaige Dienstverhältnis, in welchem ein anderer
zu ihm steht, dazu benutzt, um ihn an der Teil-
nahme an dem religiösen Kultus zu hindern, so
verletzt er damit ein religiöses Recht des letzteren.
Fürs dritte endlich hat der Mensch als Person das
natürliche Recht auf die sittliche Integrität seines
Leibes. Die Vergewaltigung eines Menschen zu
einer unsittlichen Handlung ist nicht bloß eine
verabscheuungswürdige Tat, sondern auch eine
schwere Rechtsverletzung.
6. Der Begriff der Person wird auch auf eine
einheitlich organisierte Gesamtheit von Menschen
übertragen, diese wird dann moralische Per-
son genannt. Auf eine Gesamtheit von mensch-
lichen Persönlichkeiten zu einem bestimmten ein-
heitlichen Zweck unter einer leitenden und ge-
bietenden Autorität, einen Verband, kann der
Begriff der Person deshalb übertragen werden,
weil ein solcher Verband ein rechtlich geordnetes
und als Einheit rechtsfähiges Wesen ist. Soll
nun ein solcher Verband als moralische Person
existenzberechtigt sein, so darf sie weder nach dem
Zweck, den sie verfolgt, noch nach den Mitteln,
die sie zu dem gedachten Zweck gebraucht, mit
den Gesetzen der göttlichen und menschlichen Ord-
nung sich in Widerstreit setzen. Ist aber diese