Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Der Mangel aller dieser Bestimmungen ist, daß fie 
schablonenhaft wirken. Mehr zum Ziel führen 
würde eine Reglung dahin, daß die Beschäftigung 
von einem Zulassungsschein abhängig ge- 
macht würde. Dieser Zulassungsschein würde auf 
Antrag von der Gemeindebehörde auszustellen sein, 
und zwar, da die Verhältnisse wechseln, immer je 
auf bestimmte Zeit. Voraussetzung der Zulassung 
müßte sein: 1) Das wirtschaftliche Bedürfnis der 
Nachsuchenden. Die Prüfung dieser Voraussetzung 
würde wohl der Armenverwaltung oder einer „so- 
zialen Kommission“ zugewiesen werden können. 
Insbesondere würde diese Prüfung sich auch dahin 
zu richten haben, ob sich nicht eine andere, zweck- 
mäßigere und genügend lohnende Beschäftigung 
bietet. Wir sind überzeugt, daß sich in den meisten 
Fällen solche anderweitige Beschäftigung beschaffen 
lassen würde, zumal wenn auch der Rat und die 
Hilfe freier gemeinnütziger und charitativer Vereine 
in Anspruch genommen würde. 2) Das Gesund- 
heitsattest eines approbierten Arztes resp. des 
Kreisphysikus, daß sie ohne Gefährdung ihrer Ge- 
sundheit die bestimmte Arbeit auch verrichten kann. 
Dabei würde auch die Art der Arbeit, die Dauer 
der Arbeitszeit usw. in Betracht kommen. 3) Der 
Nachweis, daß für ausreichende Pflege und Auf- 
sicht der Kinder gesorgt ist. — Wenn Rücksichten 
auf Erwerb und „Sittlichkeit“ (Befürchtung der 
Hinausschiebung der Heirat oder wilder Ehen) von 
einer solchen Beschränkung „verheirateter Frauen“ 
zurückhalten sollten, dann sollte sie wenigstens für 
„Mütter“, welchen noch die Sorge für der Aufsicht 
und Pflege bedürftige Kinder obliegt, gesetzlich 
festgelegt werden. (Vgl. Zeitschrift „Arbeiterwohl“ 
1898.) 
Nicht minder dringend, aber leichter erreichbar 
ist die Forderung einer tüchtigen Ausbildung 
der Arbeiterinnen für ihren zukünftigen Be- 
ruf als Hausfrau und Mutter. Diese Forderung 
wird um so bedeutungsvoller, je stärker die Zahl 
der gewerblich beschäftigten Mädchen anwächst. Be- 
trug doch die Zahl der im Hauptberuf gewerbs- 
tätigen Frauen und Mädchen 
  
  
in 1882 # 1895 10907 
n 
Industree 1128 976 1 521 133 2109924 
Handel und Verkehr 298 110 579 608 931 373 
Auf die Fabriken allein und die ihnen gleichge- 
stellten Unternehmungen kamen 1909: 1357256 
Arbeiterinnen. Aus diesen rekrutieren sich in erster 
Linie die Frauen und Mütter unseres Arbeiter- 
stands. Hier find vor allem die Notstände groß. 
Die tagtägliche Beschäftigung in der Fabrik läßt 
sich mit dem weiblichen Beruf schwer verbinden. 
Das Gemütsleben verarmt und verödet in der 
Fabrik, der Sinn für die stille Häuslichkeit und 
die Arbeiten des häuslichen Herdes erstirbt. Letz- 
tere überläßt das Fabrikmädchen meistens seiner 
Mutter oder der Schwester, welcher der Haushalt 
obliegt; so bleiben die Arbeiten und Sorgen der 
Häuslichkeit ihm absolut fremd. Und wenn nun 
ein solches Mädchen heiratet, was muß das für ein 
Familienleben geben? Es kann nicht kochen, nicht 
nähen, nicht flicken, nicht putzen, versteht nichts vom 
Haushalten, kurz es fehlt ihm alles, um dem Mann 
das häusliche Heim angenehm zu machen. Die 
Flitterwochen gehen schnell vorüber, und der Mann 
sieht bald ein, wie unglücklich seine Wahl war. Er 
Schutzgesetze, 
gewerbliche. 968 
wird dem Haus immer mehr entfremdet. Will er 
ein ordentliches Essen haben, muß er ins Wirts- 
haus gehen; im Wirtshaus findet er eine freund- 
liche Stube, freundliche Mienen, während zu Haus 
alles in Unordnung verkommt. Die Frau empfindet 
die häusliche Entfremdung recht bald, vielleicht 
kommt es zu bösen Auftritten häuslichen Zwistes, 
vielleicht erträgt sie es in stillem Kummer. Mit der 
Zahl der Kinder mehren sich die häuslichen Sorgen, 
und gar bald hält das bittere Elend seinen Einzug. 
Weder Mann noch Frau haben es gelernt, zu spa- 
ren, zu wirtschaften; beiden fehlt der Heroismus, 
die Armut zu tragen, und anstatt inniger zusam- 
menzuhalten, geht jetzt der Mann erst recht seiner 
Wege. Armes Weib — arme Kinder! Und ärmer 
ist noch der Mann, der die Verantwortung für eine 
Familie auf seiner Seele trägt! Der Ursprung des 
Unglücks aber liegt in der Fabrik, die dem Mäd- 
chen nicht Zeit und Gelegenheit geboten, sich für 
seinen ersten und wichtigsten Lebensberuf vorzu- 
bilden. Die beste Lösung der Aufgabe würde es 
sein, wenn das Fabrikmädchen vor der Verheiratung 
ein oder zwei Jahre in den Gesindedienst einträte: 
daß es sich an häusliche Ordnung und Arbeit ge- 
wöhnte und das Glück und die Bedeutung des Fa- 
milienlebens wieder schätzen lernte. Allein einerseits 
fehlt dem Mädchen wie den Eltern die nötige Ein- 
sicht, einer solchen Stellung gegenüber dem leich- 
teren, reichlicheren Verdienst in der Fabrik den 
Vorzug zu geben; anderseits hält es schwer, bei dem 
Mangel häuslicher Vorbildung in einer ordent- 
lichen Familie überhaupt in Stellung zu kommen. 
Deshalb bleibt als normaler Weg allein die Grün- 
dung von Haushaltungsschulen (Koch-, Wasch-, 
Bügel-, Näh-, Flick= und Strickunterricht), sei es 
nun, daß die Arbeitgeber diesen Unterricht einrich- 
ten, sei es, daß gemeinnützige Vereine oder Ver- 
bände die Organisation in die Hand nehmen. Na- 
mentlich bietet sich auch für die Frauen der besitzen- 
den Stände hier ein dankbares Arbeitsfeld, indem 
sie materielle Unterstützung bieten, mit Rat und 
Tat und persönlicher Teilnahme den Unterricht 
fördern oder vielleicht gar selbst mithelfen. — Ein- 
zelne Arbeitgeber haben aus eigner Entschließung 
den Unterricht in die Stunden des Fabrikbetriebs 
verlegt und die Teilnahme in bestimmtem Umfang 
obligatorisch gemacht, der beste Weg, um das Ziel 
zu sichern. Zuspruch und Prämien allein reichen 
gerade bei den Mädchen, welchen der Unterricht am 
nötigsten ist, nicht aus. — Mit gutem Erfolg ist 
schon seit Jahren in den Elementarschulen der 
Handarbeitsunterricht (mit theoretischer Haushal- 
tungskunde) eingeführt. In einer großen Reihe von 
Städten sind auch Kochkurse für die Oberklassen der 
Mädchenschulen eingerichtet. Soll jedoch eine 
dauernde Wirkung gesichert sein, so bedarf es der 
fortdauernden praktischen übung resp. der Wieder- 
auffrischung in den späteren Lebensjahren, wo mehr 
Ersohrung, Ernst und Interesse entgegengebracht 
werden. 
  
  
Für die Gehilfinnen im Handelsgewerbe ist nun 
schon 1900 die Bestimmung (Gew.O. § 120) 
Gesetz geworden, daß durch Ortsstatut der Ge- 
meinde oder eines weiteren Kommunalverbands 
auch der Besuch einer Haushaltungsschule zur 
Pflicht gemacht werden kann. Dieselbe Bestim- 
  
mung sollte nach der Regierungsvorlage von 1908
	        
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