967
Der Mangel aller dieser Bestimmungen ist, daß fie
schablonenhaft wirken. Mehr zum Ziel führen
würde eine Reglung dahin, daß die Beschäftigung
von einem Zulassungsschein abhängig ge-
macht würde. Dieser Zulassungsschein würde auf
Antrag von der Gemeindebehörde auszustellen sein,
und zwar, da die Verhältnisse wechseln, immer je
auf bestimmte Zeit. Voraussetzung der Zulassung
müßte sein: 1) Das wirtschaftliche Bedürfnis der
Nachsuchenden. Die Prüfung dieser Voraussetzung
würde wohl der Armenverwaltung oder einer „so-
zialen Kommission“ zugewiesen werden können.
Insbesondere würde diese Prüfung sich auch dahin
zu richten haben, ob sich nicht eine andere, zweck-
mäßigere und genügend lohnende Beschäftigung
bietet. Wir sind überzeugt, daß sich in den meisten
Fällen solche anderweitige Beschäftigung beschaffen
lassen würde, zumal wenn auch der Rat und die
Hilfe freier gemeinnütziger und charitativer Vereine
in Anspruch genommen würde. 2) Das Gesund-
heitsattest eines approbierten Arztes resp. des
Kreisphysikus, daß sie ohne Gefährdung ihrer Ge-
sundheit die bestimmte Arbeit auch verrichten kann.
Dabei würde auch die Art der Arbeit, die Dauer
der Arbeitszeit usw. in Betracht kommen. 3) Der
Nachweis, daß für ausreichende Pflege und Auf-
sicht der Kinder gesorgt ist. — Wenn Rücksichten
auf Erwerb und „Sittlichkeit“ (Befürchtung der
Hinausschiebung der Heirat oder wilder Ehen) von
einer solchen Beschränkung „verheirateter Frauen“
zurückhalten sollten, dann sollte sie wenigstens für
„Mütter“, welchen noch die Sorge für der Aufsicht
und Pflege bedürftige Kinder obliegt, gesetzlich
festgelegt werden. (Vgl. Zeitschrift „Arbeiterwohl“
1898.)
Nicht minder dringend, aber leichter erreichbar
ist die Forderung einer tüchtigen Ausbildung
der Arbeiterinnen für ihren zukünftigen Be-
ruf als Hausfrau und Mutter. Diese Forderung
wird um so bedeutungsvoller, je stärker die Zahl
der gewerblich beschäftigten Mädchen anwächst. Be-
trug doch die Zahl der im Hauptberuf gewerbs-
tätigen Frauen und Mädchen
in 1882 # 1895 10907
n
Industree 1128 976 1 521 133 2109924
Handel und Verkehr 298 110 579 608 931 373
Auf die Fabriken allein und die ihnen gleichge-
stellten Unternehmungen kamen 1909: 1357256
Arbeiterinnen. Aus diesen rekrutieren sich in erster
Linie die Frauen und Mütter unseres Arbeiter-
stands. Hier find vor allem die Notstände groß.
Die tagtägliche Beschäftigung in der Fabrik läßt
sich mit dem weiblichen Beruf schwer verbinden.
Das Gemütsleben verarmt und verödet in der
Fabrik, der Sinn für die stille Häuslichkeit und
die Arbeiten des häuslichen Herdes erstirbt. Letz-
tere überläßt das Fabrikmädchen meistens seiner
Mutter oder der Schwester, welcher der Haushalt
obliegt; so bleiben die Arbeiten und Sorgen der
Häuslichkeit ihm absolut fremd. Und wenn nun
ein solches Mädchen heiratet, was muß das für ein
Familienleben geben? Es kann nicht kochen, nicht
nähen, nicht flicken, nicht putzen, versteht nichts vom
Haushalten, kurz es fehlt ihm alles, um dem Mann
das häusliche Heim angenehm zu machen. Die
Flitterwochen gehen schnell vorüber, und der Mann
sieht bald ein, wie unglücklich seine Wahl war. Er
Schutzgesetze,
gewerbliche. 968
wird dem Haus immer mehr entfremdet. Will er
ein ordentliches Essen haben, muß er ins Wirts-
haus gehen; im Wirtshaus findet er eine freund-
liche Stube, freundliche Mienen, während zu Haus
alles in Unordnung verkommt. Die Frau empfindet
die häusliche Entfremdung recht bald, vielleicht
kommt es zu bösen Auftritten häuslichen Zwistes,
vielleicht erträgt sie es in stillem Kummer. Mit der
Zahl der Kinder mehren sich die häuslichen Sorgen,
und gar bald hält das bittere Elend seinen Einzug.
Weder Mann noch Frau haben es gelernt, zu spa-
ren, zu wirtschaften; beiden fehlt der Heroismus,
die Armut zu tragen, und anstatt inniger zusam-
menzuhalten, geht jetzt der Mann erst recht seiner
Wege. Armes Weib — arme Kinder! Und ärmer
ist noch der Mann, der die Verantwortung für eine
Familie auf seiner Seele trägt! Der Ursprung des
Unglücks aber liegt in der Fabrik, die dem Mäd-
chen nicht Zeit und Gelegenheit geboten, sich für
seinen ersten und wichtigsten Lebensberuf vorzu-
bilden. Die beste Lösung der Aufgabe würde es
sein, wenn das Fabrikmädchen vor der Verheiratung
ein oder zwei Jahre in den Gesindedienst einträte:
daß es sich an häusliche Ordnung und Arbeit ge-
wöhnte und das Glück und die Bedeutung des Fa-
milienlebens wieder schätzen lernte. Allein einerseits
fehlt dem Mädchen wie den Eltern die nötige Ein-
sicht, einer solchen Stellung gegenüber dem leich-
teren, reichlicheren Verdienst in der Fabrik den
Vorzug zu geben; anderseits hält es schwer, bei dem
Mangel häuslicher Vorbildung in einer ordent-
lichen Familie überhaupt in Stellung zu kommen.
Deshalb bleibt als normaler Weg allein die Grün-
dung von Haushaltungsschulen (Koch-, Wasch-,
Bügel-, Näh-, Flick= und Strickunterricht), sei es
nun, daß die Arbeitgeber diesen Unterricht einrich-
ten, sei es, daß gemeinnützige Vereine oder Ver-
bände die Organisation in die Hand nehmen. Na-
mentlich bietet sich auch für die Frauen der besitzen-
den Stände hier ein dankbares Arbeitsfeld, indem
sie materielle Unterstützung bieten, mit Rat und
Tat und persönlicher Teilnahme den Unterricht
fördern oder vielleicht gar selbst mithelfen. — Ein-
zelne Arbeitgeber haben aus eigner Entschließung
den Unterricht in die Stunden des Fabrikbetriebs
verlegt und die Teilnahme in bestimmtem Umfang
obligatorisch gemacht, der beste Weg, um das Ziel
zu sichern. Zuspruch und Prämien allein reichen
gerade bei den Mädchen, welchen der Unterricht am
nötigsten ist, nicht aus. — Mit gutem Erfolg ist
schon seit Jahren in den Elementarschulen der
Handarbeitsunterricht (mit theoretischer Haushal-
tungskunde) eingeführt. In einer großen Reihe von
Städten sind auch Kochkurse für die Oberklassen der
Mädchenschulen eingerichtet. Soll jedoch eine
dauernde Wirkung gesichert sein, so bedarf es der
fortdauernden praktischen übung resp. der Wieder-
auffrischung in den späteren Lebensjahren, wo mehr
Ersohrung, Ernst und Interesse entgegengebracht
werden.
Für die Gehilfinnen im Handelsgewerbe ist nun
schon 1900 die Bestimmung (Gew.O. § 120)
Gesetz geworden, daß durch Ortsstatut der Ge-
meinde oder eines weiteren Kommunalverbands
auch der Besuch einer Haushaltungsschule zur
Pflicht gemacht werden kann. Dieselbe Bestim-
mung sollte nach der Regierungsvorlage von 1908