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auf alle gewerbliche Arbeiterinnen ausgedehnt
werden und hat auch in der Kommission des
Reichstags bereits Annahme gefunden. Eine weit-
gehende und energische Durchführung dieser Be-
stimmungen ist dringendste Aufgabe der Zukunft.
Als weiteres Reformziel zum gesundheitlichen
Schutz der Arbeiterinnen ist der Erlaß weiterer
Verordnungen zur Beschränkung der Beschäftigung
jugendlicher und weiblicher Arbeiter in die Ge-
sundheit und Sittlichkeit gefährdenden Betrieben
zu erstreben. Nach dem Vorbild von Frankreich
sollte im Weg einer Bundesratsverordnung eine
systematische Liste aller derjenigen Betriebe resp.
Schutzgesetze,
gewerbliche. 970
auch das Interesse des sozialen Friedens, daß ge-
setzliche Schranken gezogen werden. Selbstver-
ständlich sind diese nicht für alle Industrien nach
derselben Schablone zu bemessen. Es sind sowohl
das Maß der Arbeits= und Lebenskraft, welches
in Anspruch genommen wird, als auch die tech-
nischen Bedingungen und die wirtschaftliche Ent-
wicklung der verschiedenen Industrien zu berück-
sichtigen. Sogar in derselben Unternehmung kann
die normale, d. h. die der Gesundheit und Leistungs-
fähigkeit entsprechende Arbeitszeit sich für die ver-
schiedenen Arbeiterkategorien verschieden gestalten.
Während im Bergbau unter Tag die achtstündige
derjenigen Arbeiten aufgestellt werden, welche für Schicht normal ist, ist für die Tagarbeiter eine
jugendliche und weibliche Personen bedenklich er= neun-, zehn= und elfstündige Arbeitszeit gebräuch-
scheinen und deshalb verboten oder nur unter be-
stimmten Bedingungen zugelassen werden sollten.
IV. Schutz der Sonntagsruhe f. d. Art.
Sonntagsruhe.
V. Schutz gegen übermäßige Arbeitszeit
(Normalarbeitstag). Das Interesse des Unter-
nehmers als Käufers der „Ware“ Arbeit geht
naturgemäß dahin, einerseits möglichst billig zu
kaufen — die Arbeitslöhne zu drücken —, ander-
seits für den bedungenen Preis möglichst viel
„Ware“ zu erhalten — die Arbeitszeit auszu-
dehnen. Letzteres läßt sich insbesondere der sozial-
politisch nicht geschulte Arbeiter eher gefallen als
ersteres, er ist sogar für einen kleinen Mehrverdienst
meist sehr bereit, über das normale Maß hinaus
zu arbeiten. Die Arbeiter unterschätzen meistens
die Gefahren und Nachteile übermäßiger Arbeit
für die Gesundheit und Lebensdauer; noch weniger
würdigen sie die Folgen für Familienleben und
Erziehung ausreichend. Die Versuchung zu über-
mäßiger Anspannung der Arbeitskraft liegt nicht
bloß als „mildeste“, unscheinbarste Form der
„Mehrwerts“-Aneignung dem Unternehmer nahe,
sondern sie hat auch noch einen besondern Grund.
Je mehr die Gesamtproduktion durch Steigerung
der individuellen Arbeitsleistung wächst, desto
größer ist der Gesamtverdienst, während das zu
verzinsende und zu amortisierende stehende Kapital
dasselbe bleibt und das Betriebskapital wenig-
stens nicht in demselben Verhältnis vermehrt zu
werden braucht. — Der einzelne Arbeiter ist nicht
in der Lage, der energischen Forderung des Ar-
beitgebers auf Verlängerung der Arbeitszeit sich
zu entziehen, zumal wenn die Arbeitgeber soli-
darisch vorgehen. Gerade die Arbeiter, welche
unter übermäßiger Arbeitszeit (meistens mit nie-
drigen Löhnen) leiden, sind am wenigsten in der
Lage, sich kraftvoll zu organisieren. Gerade in der
Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs sind die Ar-
beitgeber am meisten versucht, sich durch Ausdeh-
nung der Arbeitszeit und schlechte Löhne noch
künstlich zu behaupten — und gerade dann sind
selbst starke Organisationen am wenigsten in der
Lage, den Kampf zumal starken Arbeitgeberorgani-
sationen gegenüber mit Erfolg aufzunehmen. So
gebietet sowohl die Schutzpflicht des Staats als
lich und vielleicht angemessen. Für die Ofenarbeiter
in Glashütten ist mit acht Stunden täglicher Arbeit
die Arbeitskraft eines Mannes erschöpft, während
die übrigen Arbeiter gewiß länger arbeiten können.
In Webereien wird bei guter Betriebseinrichtung
der Weber bei einer zehnstündigen täglichen Ar-
beitszeit durchschnittlich seine Arbeitskraft voll
ausnutzen können, ohne überbürdet zu sein. Auch
die Gewohnheit der Arbeiter und die Intensivität
der Arbeit kommt in Betracht. Durch Vervoll=
kommnung der Betriebseinrichtungen und indu-
strielle Erziehung der Arbeiter (durch hohe Löhne,
kurze Arbeitszeit usw.) leistet der englische und
heute auch der deutsche Arbeiter in zehn Stunden
mehr als früher der deutsche in elf und zwölf Stun-
den. — So verschieden nun auch die „normale“,
angemessene Arbeitszeit je nach der Industrie, der
Art der Arbeit, dem Volkscharakter, der technischen
und wirtschaftlichen Entwicklung eines Volks zu
bemessen ist, so gibt es doch eine gewisse Grenze,
über welche hinauszugehen auch dem arbeitskräf-
tigsten Mann auf die Dauer unmöglich ist. Jeden-
falls können wir sagen, daß bei normaler An-
spannung der Arbeitskraft dieselbe mit einer zehn-
bis elfstündigen täglichen Arbeitszeit (ungerechnet
die Pausen) erschöpft ist, und daß eine Arbeit über
dieses Maß hinaus auf Kosten der Gesundheit und
Lebenskraft geht. Dieses um so mehr, wenn wir
den Weg von und zu der Fabrik rechnen, wenn
wir die ungünstigen, die Gesundheit schädigenden
Einflüsse der Fabrikarbeit hinzunehmen. Aber
nicht bloß Gesundheit und Lebenskraft, des Ar-
beiters bestes und meist einziges Kapital, kommt in
Frage: der Arbeiter ist auch Familienvater, ist ein
Glied der politischen Gemeinschaft, ist — Mensch,
dessen Ziel über dieses Leben hinausragt. In allen
diesen Beziehungen hat er Rechte und Pflichten,
und ist es Pflicht für Gesellschaft und Staat, ihm
die nötige Muße zu sichern, auch diesen Aufgaben
sich zu widmen. Diese Pflicht liegt dem Staat
und der Gesellschaft um so mehr ob, als die Fort-
schritte der Wissenschaft und die großartigen tech-
nischen Hilfsmittel der Produktion, welche die
moderne Kultur uns gebracht, recht wohl Mittel
und Wege bieten, auch den Arbeiter an dem gei-
stigen Leben, der Kultur, und den idealen Gütern: