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Bedingung gegeben, dann kann eine solche mora-
lische Person ebensogut Trägerin von Rechten und
Pflichten sein wie die physische Person. Insofern
nun die moralische Person Trägerin von Rechten
und Pflichten ist, nennt man sie auch juristische
Person. Unter den Verbänden, die als mora-
lische Persönlichkeiten sich charakterisieren, gibt es
solche, welche auf (natürlicher oder übernatürlicher)
göttlicher Anordnung beruhen, wie Familie, Staat
und Kirche. Diesen kommen außer den erworbenen
auch solche Rechte zu, welche aus ihrer Natur her-
vorfließen und durch die Gesetze der (natürlichen
oder übernatürlichen) Ordnung Gottes bedingt
sind. Andere Verbände dagegen entspringen ganz
und gar aus der freien Ubereinkunft einer Gesamt-
heit von Persönlichkeiten, und diese können dann
wenigstens Rechte erwerben. Ohne alles und
jedes Recht, ohne alle und jede Pflicht läßt sich
aber eine moralische Persönlichkeit wohl ebenso-
wenig denken wie eine physische Person. — Vgl.
die Art. Juristische Personen und Stiftungen.
Literatur. Böhlau, Rechtssubjekt u. P.en-
rolle (1871); Zitelmann, Begriff u. Wesen der
juristischen Pen (1873); Gierke, Das deutsche Ge-
nossenschaftsrecht, insbes. Bd 1I: Gesch. des deut-
schen Körperschaftsbegriffs (1873); Bolze, Der Be-
griff der juristischen P. (1879); C. Meurer, Begriff
u. Eigentümer der heiligen Sachen, zugleich eine
Revision der Lehre von den juristischen P.en u. dem
Eigentümer des Kirchenguts (2 Bde, 1885); E.
Hölder, über das Wesen der juristischen P.en (1886);
G. Rümelin, Methodisches über juristische P.en
(1891); derf., Zweckvermögen u. Genossenschaft
(1892); Meurer, Die juristischen P.en nach deut-
schem Reichsrecht (1901); Mamelock, Die juristi-
schen P.en im internat. Privatrecht (1900); E. Höl-
der, Natürliche u. juristische P.en (1905); J. Bin-
der, Das Problem der juristischen Persönlichkeit
(1907); E. Hölder, Das Problem der juristischen
Persönlichkeit, in Iherings Jahrb. für die Dog-
matik des bürgerl. Rechts LIII (1908) 40/107;
Rava, I diritti sulla propria persona nella scienza
e nulla filosofia del diritto (Turin 1901).
[Siöckl, rev. Hink.)
Personenstand. I. Begriff und Wesen.
Unter Personenstand (Zivilstand, Familienstand)
im heutigen Rechtssinn versteht man die familien-
rechtliche Stellung einer menschlichen Person. Der
Stand einer Person wird begründet durch die das
Einzelleben schaffenden, ändernden und endigen-
den Tatsachen der Geburt, der Eheschließung und
des Tods. Für die Entstehung des Personen-
stands an sich ist von keiner rechtlichen Bedeu-
tung, ob eheliche oder uneheliche Abstammung
vorliegt, wenn auch die familienrechtliche Stellung
der ehelichen und unehelichen Kinder sowie der
Kinder aus nichtigen Ehen voneinander verschieden
ist. Legitimation durch nachfolgende Ehe, Ehelich-
keitserklärung und Annahme an Kindes Statt be-
wirken eine Veränderung der Standesrechte.
Geburt, Eheschließung und Tod sind Ereignisse
von mehr als privater und privatrechtlicher Be-
deutung. Sie haben die größte Wichtigkeit für
Personenstand.
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das Leben der Allgemeinheit, für das Staats= und
Kirchenwesen, für die gesellschaftlichen, wirtschaft-
lichen, religiösen und politischen Verhältnisse. Eine
amtliche Feststellung dieser Tatsachen liegt darum
im staatlichen wie im kirchlichen Interesse, und ihre
öffentliche Beurkundung bildet die Grundlage für
die geordnete Entwicklung der privat= und öffentlich-
rechtlichen Beziehungen der einzelnen. Die öffent-
lichen Bücher, in welchen die Geburten, Heiraten
und Sterbefälle einschließlich anderer Verände-
rungen des Personenstands mit öffentlichem Glau-
ben beurkundet werden, heißen Personenstands-
register oder Standesregister schlechthin,
auch Zivilstandsregister und Matrikecln.
II. Arsprung und geschichkliche Entwick-
lung der Standesregister. Die Leitung eines
jeden geordneten größeren Gemeinwesens wie jeg-
licher auch noch so kleinen Gesellschaft erfordert
einen Überblick über die Quantität und Qualität
der Mitglieder. Je höher der Kulturstand einer
Gemeinschaft ist, desto genauer wird die Ubersicht
gestaltet, desto dauerhafter wird sie angelegt sein.
Schon die alten Agypter pflegten die Statistik in
reichem Maß und die Israeliten besaßen verlässige
Geburtsbücher und Stammtafeln. Im römischen
Reich gab es Verzeichnisse der Gebornen, deren
Anfänge bis in die Königszeit zurückgehen. Und
der Kaiser, welcher sich durch seine radikalen Ein-
griffe in das Gefüge der bestehenden Ehe= und
Erbordnung und in das demoralisierte Volkswesen
den Ruhm eines „Retters der Gesellschaft“ (re-
staurator orbis) verdienen wollte, Augustus,
wurde infolge der Julisch-Papischen Gesetzgebung
der Urheber der Verzeichnisse über die Eheschlie-
ßungen. Das alte Rom kannte bereits eine Be-
urkundung der kleinen Kinder im Tempel der
Begräbnisgöttin Libitina, die Mitteilung von
Familienereignissen durch die Staatszeitung und
große, auch die Provinzen umfassenden Aufschrei-
bungen der Personen und Güter im Zensus. Als
später die übeln Folgen der Entvölkerung im
Römerreich eine höhere Wertung des Menschen-
lebens bewirkten, wurde seit Marc Aurel eine ein-
heitliche Anlegung von Geburts= und Sterbe-
registern erstrebt. Zur öffentlichen Durchführung
aber kamen diese damals noch nicht (G. Grupp,
Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit I 505 fl.
Der christlichen Kirche war es vorbehalten, den
soliden Unterbau für die modernen Standesregister
zu schaffen. Mit der Entstehung und Entwicklung
der kirchlichen Organisation war die Notwendig-
keit eines amtlichen Verzeichnisses der Gemeinde-
glieder gegeben. Da die Aufnahme in die Kirche
allzeit mit der Taufe und durch diese erfolgte, so
geschah die Eintragung eines neuen Mitglieds
mit Angabe des Tauftags. Neben diesen wurde
später häufig der Todestag eingesetzt. Waren die
Neugetauften Kinder, dann wurden auch die
Namen derer angeführt, welche die Kinder zur
Taufe gebracht hatten. Diese Verzeichnisse führten
verschiedene Namen (Diptychon, Kanon, Katalog,