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Die Rechtsprechung mit Ausnahme der dem
Bundesgerihi borbedalienen dompetenen ist Soche
der Kantone. Überall besteht eine vollständig ge-
trennte Gerichtsorganisation für die bürgerliche
und für die Strafrechtspflege. a) Für die Zivil-
rechtspflege gibt es. in jedem Kanton ein Gericht
erster Instanz (Bezirks-, Distrikts-, Amtsgericht)
sowie ein Ober= oder Appellationsgericht, das zu-
gleich Aufsicht führt über die Untergerichte. Da-
neben haben fast alle Kantone das Institut der
Friedensrichter (Vermittler, Gemeinderichter), vor
welche jeder Prozeß zuerst zu bringen ist, ehe er
an das Gericht gelangen darf; sie haben häufig
noch Einzelkompetenz bis zu einem gewissen Be-
trag. b) In Strafsachen existieren meist besondere
Gerichte, in den größeren Kantonen unter Mit-
wirkung von Geschworenen; selten urteilen die
Zivilgerichte auch in Strafsachen. Wo nicht Ge-
schworenengerichte bestehen, geht die Berufung vom
erstinstanzlichen Strafgericht an das auch in Zivil-
sachen kompetente Obergericht. Die Funktion bei
der Anklage steht bei einem Staatsanwalt, jedoch
mit verschiedener Kompetenz; einige Kantone haben
die staatliche Verteidigung. — Die Verbeistän-
dung durch Advokaten ist in einigen Kantonen nur
vor dem Obergericht, jedenfalls in den Unter-
instanzen nur bei einem Streitwert von gewisser
Höhe statthaft. In fast allen Kantonen werden
die Richter der Untergerichte vom Volk auf 3/9
Jahr nach Kreisen gewählt, die der Obergerichte
in der Regel vom Großen Rat ernannt. Die
Wählbarkeit zum Richteramt ist meist an keine
juristische Bildung geknüpft; auch die Ausübung
der Advokatur ist in einigen Kantonen (Unter-
walden, Glarus, Zug, Schaffhausen, Appenzell-
Außerrhoden, Graubünden) völlig freigegeben.
Der Befähigungsausweis zur Ausübung der
Praxis berechtigt auch in den übrigen Kantonen
zur Ausübung der Advokatur. Die Richter wer-
den überall vereidigt. Eine Anzahl von Kan-
tonen haben Gewerbegerichte von Staats oder Ge-
meinde wegen, aus Fachleuten zusammengesetzt,
zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Ar-
beitgebern und Arbeitern über den Dienstvertrag
und vereinzelt auch über Haftpflichtprozesse. Da-
neben üben sie zuweilen noch die Aussicht über
Lehrlingswesen, über Fabrik- und Arbeitslokale:
oder dienen als Einigungsämter. Als besonderer
Beruf ist das Notariat in vielen Kantonen beson-
ders organisiert, abgesehen von Zürich, Thurgau
und Schwyz, wo die Notare als Staatsbeamte
angesehen sind.
Die Schweiz kennt keinen eigentlichen Be-
amten stand. Die Verantwortlichkeit der Staats-
und Gemeindebeamten ist in den einzelnen Kan-
tonen verschieden geregelt. Wegen Verbrechen, die
in amtlicher Stellung verübt werden, findet Über-
weisung an den Strafrichter statt. Disziplinarische
Ahndung gegenüber Beamten ist möglich; zeit-
weilige Einstellung im Amt oder Entlassung kommt
seltener vor als in monarchischen Staaten. Da-
Schweiz.
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gegen haben einzelne Kantone das Abberufungs=
recht der Wahl= oder Aufsichtsbehörde auf dem
Disziplinarweg. Eine schweizerische Eigentümlich-
keit ist der Amtszwang besonders in den Urkan-
tonen, vor allem zur Übernahme von Gemeinde-
ämtern und Vormundschaften. Es gibt, aus-
genommen für Geistliche, und Lehrer, keine An-
stellung auf Lebenszeit; die Amtsdauer der Be-
amten beträgt 1/8 Jahre, nach deren Ablauf sie
stets wieder wählbar sind. Die Schweiz kennt mit
Ausnahme von Basel-Stadt und Genf infolge-
dessen keine Pensionierung der Beamten. Stän-
dige Staatsangestellte werden fix besoldet; für die
Volksvertretung, zeitweise und vorübergehende
Funktionen besteht die Entschädigung in Tag-
geldern.
3. Die Gemeinde hatte von jeher besonders
in der Ostschweiz eine weitgehende Autonomie;
doch ist es überall das Staatsgesetz, welches die
Organisation und den Wirkungskreis der Ge-
meinde feststellt. Jeder Schweizer muß Bürger
einer bestimmten Gemeinde sein. In jeder Ge-
meinde unterscheidet man zwischen Bürgern und
Einwohnern. Bürgerrecht erlangt man durch Ge-
burt (Frauen durch Heirat) oder Einkauf. Jeder
Bürger hat das Stimmrecht in allen Gemeinde-
angelegenheiten, Anteil am Bürgergut und im
Fall der Verarmung Anspruch auf öffentliche
Unterstützung; die Einwohner haben bloß Nieder-
lassungsrecht und Stimmrecht gleich den Kantons-
bürgern mit Ausnahme von rein bürgerlichen An-
gelegenheiten. Man erwirbt das Stimmrecht des
Einwohners nach einer Niederlassung von drei
Monaten. Den Gemeindesteuern (außer zu rein
bürgerlichen Zwecken) und Kantonssteuern sind
die Einwohner gleich den Bürgern unterworfen.
Laut Bundesverfassung muß das Niederlassungs-
recht jedermann gewährt werden, der unbescholten,
im Besitz eines Heimatscheins und im Genuß der
bürgerlichen Ehren ist. Wegen wiederholter Be-
strafung infolge schwerer Vergehen oder Verlusts
der bürgerlichen Ehren durch strafgerichtliches Urteil
oder dauernder öffentlicher Unterstützungsbedürf-
tigkeit kann das Niederlassungsrecht entzogen wer-
den. Man kann unterscheiden zwischen pölitischen
und Einwohnergemeinden und Bürgergemeinden;
daneben existieren noch die koordinierten Verbände
von Kirchen= und Schulgemeinden. Die poli-
tische Gemeinde, welche alle in der Gemeinde
niedergelassenen Schweizer Bürger umfaßt, wählt
die Gemeindebehörden und -beamten, leitet Zivil-
stands--, Vormundschafts (in der Regel)-, Steuer-,
Straßen= und Bauwesen, Brandassekuranz, Orts-
polizei und die Verwaltung ihrer Güter. Die
Gemeindesteuern werden teils nach dem Vermögen,
teils nach Zahl der Haushaltungen oder nach
Kopfzahl (nur bei Männern), teils durch Zuschlag
zu den Staatssteuern verteilt. Über wichtige
Fragen der Gemeindeverwaltung entscheidet in der
deutschen Schweiz, abgesehen von einigen städti-
schen Gemeinwesen, die Gemeindeversammlung;