Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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dächtig erscheint, so beschließt es die Eröffnung 
des Hauptverfahrens vor dem Schwurgericht, oder 
wenn die strafbare Handlung nicht vor dieses ge- 
hört, vor einem andern Gericht; andernfalls be- 
schließt es, daß der Angeschuldigte außer Ver- 
folgung zu setzen sei, oder aber, unter gewissen 
Umständen, die vorläufige Einstellung des Ver- 
fahrens. Ist die Sache dem Schwurgericht über- 
wiesen, so beraumt der Vorsitzende den Termin 
zur Hauptverhandlung an; er ordnet die Ladung 
des Angeklagten und seines Verteidigers sowie die 
Herbeischaffung der Beweismittel zum Termin an. 
Vor dem Terminstag ist die Spruchliste der Ge- 
schworenen (s. unten) für den Angeklagten offen zu 
legen bzw. demselben zuzustellen. 
Die Hauptverhandlung findet vor dem 
aus drei Richtern mit Einschluß des Vorsitzenden 
bestehenden Richterkollegium und der Geschwo- 
renenbank statt. Zunächst wird die Geschworenen- 
bank gebildet. Geschworener und Schöffe kann 
jeder 30 Jahre alte Deutsche sein, wenn nicht 
bestimmte gesetzliche Hinderungsgründe gegen ihn 
vorliegen. Jeder Gemeindevorsteher stellt alljähr- 
lich eine Liste der zu diesen Amtern fähigen Per- 
sonen seines Amtsbezirks auf (Urliste). Jeder 
zum Bezirk des Schwurgerichts gehörige Amts- 
richter prüft in Gemeinschaft mit einem hierzu be- 
stimmten Staatsverwaltungsbeamten und meh- 
reren, mindestens drei aus den Einwohnern des 
Gerichtsbezirks durch Selbstverwaltungskörper, in 
deren Ermanglung durch den Amtsrichter gewählten 
Vertrauensmännern (Ausschuß) die Urlisten, be- 
schließt über die dagegen erhobenen Einwendungen 
und wählt aus den Listen die dreifache Zahl der 
auf den betreffenden Amtsgerichtsbezirk fallenden 
Schwurgerichte. 
  
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der Geschworenenbank geschritten; andernfalls 
werden aus der Liste der Hilfsgeschworenen so 
viele ausgelost, daß die Zahl 30 voll wird. Es 
genügt aber, wenn so viele Hilfsgeschworene er- 
schienen sind, daß die Gesamtzahl 24 beträgt. 
Die Bildung der Geschworenenbank erfolgt in 
öffentlicher Sitzung durch das Los. Sie besteht 
aus 12 Mitgliedern. Von den mehr anwesenden 
Geschworenen kann der Staatsanwalt und der 
Angeklagte je die Hälfte, bei ungerader Zahl der 
Angeklagte einen mehr, einfach ablehnen. Die 
Angabe von Gründen ist unzulässig. Die 12 Ge- 
schworenen werden beeidigt. 
Hierauf wird in die Verhandlung der Sache 
eingetreten. Das Verfahren ist mündlich, und 
wenn nicht im Gesetz vorgeschriebene Gründe 
entgegenstehen, öffentlich. Der Staatsanwalt und 
der Verteidiger müssen während der ganzen Ver- 
handlung anwesend sein; ebenso, abgesehen von 
zwei nicht erheblichen Abweichungen, der An- 
geklagte. Dieser wird über seine persönlichen Ver- 
hältnisse vernommen. Dann erfolgt die Verlesung 
des Beschlusses über die Eröffnung des Haupt- 
verfahrens. Darauf wird der Angeklagte befragt, 
ob er etwas gegen die Beschuldigung erwidern 
wolle; er ist nicht genötigt, eine Erklärung ab- 
zugeben. Dann werden die Beweise erhoben. Der 
Vorsitzende leitet das Beweisverfahren; er ver- 
nimmt die Zeugen und Sachverständigen; er kann 
jedoch diese Vernehmung dem Staatsanwalt und 
dem Verteidiger überlassen (Kreuzverhör), auch 
denselben oder dem Angeklagten und auch den 
Geschworenen einzelne Fragen gestatten. Für das 
Verfahren bei der Beweiserhebung sind ganz be- 
stimmte Vorschristen gegeben. Nach Beendigung 
bestimmten Anzahl zum Vorschlag für das nächst= dieses Verfahrens entwirft der Vorsitzende die an 
jährige Geschworenenamt aus (Vorschlagsliste), die Geschworenen zu stellenden Fragen. Diese 
Das Landgericht wählt aus dieser Liste die für sind sog. „Haupt“= und eventuell sog. „Hilfs- 
das Schwurgericht bestimmte Anzahl von Haupt- fragen“, welche sich auf die dem Angeklagten zur 
Last gelegte Tat beziehen. Sie sind auf die 
und Hilfsgeschworenen aus (Jahresliste). Späte- 
stens zwei Wochen vor dem Beginn jeder Sitzungs- 
periode werden endlich aus der Jahresliste durch 
den Landgerichtspräsidenten in Gemeinschaft mit 
zwei Richtern in öffentlicher Sitzung 30 Haupt- 
geschworene ausgelost. Das Verzeichnis dieser 
Geschworenen ist die Spruchliste. Wenn infolge 
gesetzlicher Ausschließungs= oder Ablehnungs- 
gründe einzelne der Personen wegfallen, so wird 
die Spruchliste durch das Los bis auf 30 ergänzt. 
Diese Liste geht an den Vorsitzenden des Schwur- 
gerichts. Die auf der Spruchliste verzeichneten 
Personen werden zu den Sitzungen der bevor- 
stehenden Schwurgerichtsperiode einberufen; die 
Liste wird wieder bis auf 30 ergänzt, wenn Ein- 
berufene begründete Ablehnungs= oder Hinde- 
rungsgründe vorgebracht haben. Vor der Ver- 
handlung der einzelnen Strafsachen erfolgt eine 
erneute Prüfung der Liste; die etwa zum Ge- 
schworenendienst Unfähigen oder gesetzlich Aus- 
geschlossenen werden ausgeschieden. Bleiben min- 
destens 24 Personen übrig, so wird zur Bildung 
  
Schuld des Angeklagten zu richten (Ist der An- 
geklagte schuldig?) und dürfen nicht die ein- 
zelnen konkreten Tatsachen, durch welche die 
Tat dargestellt wird, enthalten, sondern nur die 
abstrakten einzelnen, im Strafgesetz bezeichneten 
Momente, welche in ihrer Gesamtheit den Begriff 
der Straftat darstellen (die gesetzlichen Merkmale 
der Tat), sowie die zu ihrer Unterscheidung von 
andern Taten erforderlichen Umstände, wie Zeit 
und Ort der Tat. Hierzu kommen die etwaigen 
„Nebenfragen“, insbesondere die nach dem Vor- 
handensein besonderer im Gesetz vorgesehener, die 
Strafbarkeit vermindernder oder erhöhender Um- 
stände sowie die allgemeine Frage nach dem Vor- 
handensein „mildernder Umstände“. Die Fragen 
werden verlesen und sofort oder nach vorhergehender 
Verhandlung über dieselben in der ursprünglichen 
oder in veränderter bzw. ergänzter Fassung fest- 
gestellt. Demnächst folgen die Ausführungen und 
etwaigen Anträge der Parteien, jedoch lediglich 
betreffs der Schuldfrage. Der Vorsitzende belehrt
	        
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