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kommene bezeichnet werden, wenn die Selbst-
verwaltungskörper, welche die Vertrauensmänner
wählen, immer so zusammengesetzt wären, daß sie
unbedingtes Vertrauen der Bevölkerung verdienten.
Dem ist leider wegen der Vorschriften über die
Wahlen zu den Selbstverwaltungskörpern nicht
immer so. Dazu kommt, daß selbst bei einwand-
freier Bildung der Geschworenenbank eine gewisse
Tendenziosität der Geschworenen vermöge ihrer
menschlichen Schwäche gar nicht zu vermeiden ist.
Erfahrungsgemäß erfolgt z. B. der Spruch auf
„nicht schuldig“ bei Brutalitäts= oder Sittlich-
keitsverbrechen leichter, bei Brandstiftung schwerer,
wenn auf der Geschworenenbank eine größere An-
zahl ländlicher Bewohner sitzt, und umgekehrt,
wenn eine größere Zahl städtischer Bewohner die-
selbe einnimmt. Es ist das erklärlich bei den
Lebensanschauungen der Geschworenen in Bezug
auf die verschiedenen Arten von Verbrechen und
deren größere Gefährlichkeit, je nachdem das platte
Land oder Städte davon betroffen werden. Dieses
beeinflußt denn auch die Ausübung des Ablehnungs-
rechts. Versucht doch heute vielfach der Staats-
anwalt und Verteidiger mit mehr oder weniger
psychologischem Scharfsinn nicht unbefangene,
sondern gerade zu ungunsten oder zugunsten des
Angeklagten befangene Geschworene auf die Ge-
schworenenbank zu bringen. Diesem erheblichen
Mißstand sollte gesteuert werden. Ein fernerer
Einwand geht dahin, daß in politisch und sozial
aufgeregten Zeiten, wo die Bevölkerung in heftig
sich bekämpfende Parteien zerrissen ist, die Ge-
schworenen von ihren Parteianschauungen sich
nicht losmachen können, und daß die Verdikte die
Parteianschauungen des entscheidenden Teils der
Geschworenenbank widerspiegeln, daher öfters
nicht objektiv gerecht sind. Es betrifft dieses die
sog. politischen, in Bayern, Württemberg und
Baden auch die Preßdelikte. Hieran schließt sich
auch der Einwand, daß öfters Fälle vorkommen,
in welchen die Geschworenen das „Nichtschuldig“
aussprechen, weil sie zwar die dem Angeklagten
zur Last gelegte Tat für erwiesen, das Strafgesetz
aber für zu hart erachten; in ihrem Spruch liegt
also eine ihnen nicht zustehende Korrektur des
Gesetzes und Ausübung des landesherrlichen Be-
gnadigungsrechts. Diese Übelstände entspringen
aus der Bedeutung, welche dem Wort „Schuldig“
bei der Fragestellung durch die Reichsstrafprozeß-
ordnung gegeben ist.
Nach französischem Recht umfaßte das „Schul-
dig“ zugleich das Urteil darüber, ob dem Ange-
klagten die Tat zuzurechnen sei, also nicht lediglich
über seine damalige Zurechnungsfähigkeit, sondern
ob das Strafgesetz auf ihn anzuwenden sei, ob er
„vor dem Gesetz“ schuldig sei. Geht daher, was
namentlich in politisch erregten Zeiten von Bedeu-
tung ist, die Meinung der Geschworenen dahin,
daß die Tat nicht zu mißbilligen, mindestens nach
ihrer rein subjektiven Anschauung zu entschuldigen
sei, so erfolgt ein „Nichtschuldig“, und umgekehrt
Schwurgerichte.
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um so leichter ein „Schuldig“, wenn zwar der
Beweis ein schwacher war, der Angeklagte aber
einer politischen Richtung angehört, welche nach
der Meinung der Geschworenen verwerflich ist.
Eine so weit gehende Ubertragung der richterlichen
Gewalt auf die Geschworenen kann in der Tat
das Produkt der französischen Revolution genannt
werden.
Die Reichsstrafprozeßordnung ist noch weiter
gegangen, indem sie die Aufnahme der einzelnen
konkreten Tatsachen in die Frage ausschließt und
im wesentlichen nur den Begriff des Verbrechens
durch die Frage zum Ausdruck bringen läßt. Da
diese Begriffe vielfach auf juristischer Grundlage
beruhen, so führt das dahin, daß die Geschworenen
zugleich oft sehr schwierige Rechtsfragen zu beant-
worten haben, Rechtsfragen, die der Jurist erst
durch langes Studium sich zu eigen macht, so:
die Frage nach Teilnahme, Mittäterschaft, An-
stiftung, Beihilfe, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Vor-
bereitung, Versuch usw. und die der Laie unver-
züglich nach einer in der Regel einmaligen Be-
lehrung mit der größten Tragweite für oder gegen
den Angeklagten entscheiden soll. Dieses hat aber
zwei sehr erhebliche, geradezu verhängnisvolle
Folgen. Unter den meist nicht rechtskundigen Ge-
schworenen findet sich oft ein Rechtskundiger oder
mindestens ein solcher, der sich diesen Anschein
beilegt; den rechtlichen Ausführungen dieses folgen
die übrigen blind. Der Spruch hängt also oft
von der Ansicht dieses einen Geschworenen ab.
Am verhängnisvollsten aber ist es, daß, wenn ein
Rechtsirrtum vorgekommen ist, das demnächst er-
gehende Urteil wegen Rechtsirrtums nicht ange-
sochten werden kann, und zwar hier bei schweren
Verbrechen, wogegen eine solche Anfechtung sogar
bei den geringsten Strafsachen möglich ist.
Hier heißt es also, auf das alte deutsche und das
englische Prinzip zurückzugehen, daß die Geschwo-
renen lediglich die Aufgabe haben, die Beweise
für die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat,
und wenn die Zurechnungsfähigkeit des Ange-
klagten zur Zeit der Tat bestritten ist, auch die
Beweise hierfür zu prüfen, und daß das „Schul-
dig“ wieder auf die Bedeutung zurückgeführt wird,
daß der Beweis erbracht sei. Sagte doch Karl
Friedrich Eichhorn in seiner berühmten „Deutschen
Staats= und Rechtsgeschichte“ (IV [18251 756):
„Nur ein unverantwortlicher Leichtsinn kann an-
raten, ein Institut dieser Art (das Geschworenen-
institut, wie es nach französischem Recht konstruiert
ist) auf deutschen Boden zu verpflanzen, und wer
überhaupt von der Notwendigkeit der Einführung
der Geschworenen spricht, sollte wenigstens wissen,
daß ihr Ausspruch nur ein Beweismittel ist, und
die Bedeutung desselben im englischen Recht zu
erklären imstande sein, was noch keine der phrasen-
reichen Erklärungen geleistet hat, die in Deutschland
über diesen Gegenstand vernommen worden sind.“
Auch das ist ein Fehler der Reichsstrafprozeß=
ordnung, daß den Geschworenen außer den Fragen