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gebildeten überseeischen Geldverkehr ihre wesent-
liche Bedeutung eingebüßt.
Ebenfalls ins graue Altertum zurück führt eine
andere Einrichtung des Seerechts, die Haverei.
Die älteste Quelle finden wir in der lex Rhodia
de iactu. Dieses Rhodische Gesetz wurde vom
römischen Recht (Dig. 14, 2; Pauli sent. 2. 7)
und dann vom mittelalterlichen und neueren Recht
aufgenommen. Das Wort Haverei stammt wahr-
scheinlich aus dem arabischen awär (Gebrechen,
Beschädigung). Man unterscheidet zwischen großer
oder gemeinschaftlicher Haverei (avarie grosse,
generala verage) und besonderer Haverei. Grund-
satz für die große Haverei ist, daß alle Schäden,
die dem Schiff oder der Ladung oder beiden zum
Zweck der Errettung beider aus einer gemeinsamen
Gefahr von dem Schiffer vorsätzlich zugefügt wer-
den (z. B. Aufstrandsetzen des Schiffs zur Ver-
hütung des Untergangs, Überbordwerfen der La-
dung) sowie die zu demselben Zweck aufgewendeten
Kosten (z. B. Nothafelung) von Schiff, Fracht
und Ladung gemeinschaftlich getragen werden
(§700). Alle nicht zur großen Haverei gehörigen,
durch einen Unfall verursachten Schäden und
Kosten werden von den Eigentümern des davon
betroffenen Gegenstands (Schiff oder Ladung) für
sich allein getragen. Dies nennt das Gesetz (8 701)
zwar besondere Haverei, es handelt sich dabei aber
um die allgemeinen Rechtsregeln, nicht um eine
besondere Rechtseinrichtung. Da das Recht der
Kulturstaaten in betreff der Haverei erhebliche
Unterschiede aufweist, so pflegt in Chartepartien
und Konnossementen auf die Lork and Antwerp
Rules (Grundsätze, auf einer internationalen Ver-
sammlung zu Antwerpen 1877 vereinbart, in Li-
verpool 1890 revidiert) verwiesen zu werden. Die
Feststellung und Verteilung der Schäden der großen
Haverei erfolgt an dem Bestimmungsort des
Schiffes und, wenn dieser nicht erreicht wird, in
dem Hafen, wo die Reise endet. Die Aufmachung
der Berechnung, Dispache genannt, liegt beson-
ders bestellten Dispacheuren ob (vgl. Gesetz über
die freiwillige Gerichtsbarkeit §88 145 ff) und ist
vom Schiffer ohne Verzug zu veranlassen.
Eines der wichtigsten Kapitel im Seerecht bildet
der Schiffszusammenstofß (Kollision). Eine
bedauerlich große Zahl von Rechtsstreitigkeiten über
die Tragung des dadurch entstandenen Schadens be-
schäftigt jahraus jahrein die Gerichte. Richtschnur
für das Verhalten auf den Seestraßen bildet eine
Kaiserliche Verordnung, die Seestraßenordnung
vom 5. Febr. 1906. Übertretungen der Verord-
nung werden auch strafrechtlich verfolgt; § 145
des Strafgesetzbuchs droht Geldstrafe bis zu
1500 M an. Die Verordnung gilt für die See und
die von Seeschiffen befahrenen Flußmündungen;
sie ist auch von Kriegsschiffen und Lustjachten zu
befolgen. Ihre wesentlichsten Vorschriften betreffen
das Ausweichen, die Lichterführung (von Sonnen-
untergang bis Sonnenaufgang) und die Schall-
signale (bei Nebel und „dickem Wetter“, beim Be-
Seerecht usw.
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gegnen). § 734 H.G.B. enthält die Grundregel
über den Ersatz des durch den Zusammenstoß ent-
stehenden Schadens. Werden durch den Stoß
entweder auf einer oder auf beiden Seiten Schiff
oder Ladung allein oder Schiff und Ladung be-
schädigt oder gehen sie ganz verloren, so ist, falls
eine Person der Besatzung des einen Schiffs durch
ihr Verschulden den Zusammenstoß herbeigeführt
hat, der Reeder dieses Schiffs verpflichtet, den
durch den Zusammenstoß dem andern Schiff und
dessen Ladung zugefügten Schaden zu ersetzen.
Der Reeder haftet aber auch hier nur mit dem
fortune de mer (Schiff und Fracht). Die per-
sönliche Verpflichtung der zur Schiffsbesatzung ge-
hörenden Personen, für die Folgen ihres Ver-
schuldens aufzukommen, besteht daneben;; sie ist
aber im Hinblick auf die verhältnismäßig geringe
Vermögensmacht dieser Personen durchweg ohne
Erheblichkeit. Trifft beide Schiffe ein Verschulden,
so kann ein Teil frei ausgehen oder eine angemes-
sene Schadensteilung eintreten. Das Verschulden
eines Zwangslotsen fällt dem Reeder nicht zur Last.
Die Praxis der Gerichte, insbesondere des Reichs-
gerichts, hat den Satz herausgebildet, daß beim
Vorliegen eines objektiven Tatbestands, der ein
ursächliches Verschulden auf seiten des einen
Schiffes wahrscheinlich macht, insbesondere bei
einer äußern Regelwidrigkeit (z. B. einem Ver-
stoß gegen eine Vorschrift der Seestraßenordnung)
ein sog. prima facie-Beweis für ein wirkliches
Verschulden erbracht ist; der prima facie Be-
lastete ist dann seinerseits genötigt, den Entschul-
dungsbeweis zu führen.
Infolge eines Schiffszusammenstoßes, aber auch
aus vielen andern Ursachen (Sturm, Eis, Kohlen-,
Proviantmangel. Maschinenschaden, Meuterei)
kann eine Seenot entstehen, ein der Schiffahrt
eigentümlicher Gefahrzustand. Wird dann wirk-
same fremde Hilfe gebracht, so entsteht ein An-
spruch auf Lohn. Im Gegensatz zum englischen
unterscheidet das deutsche Recht zwischen der Ber-
gung, durch die Schiff oder Ladung, nachdem
sie der Gewalt der Schiffsbesatzung entzogen oder
von ihr verlassen waren, in Sicherheit gebracht
werden, und der Hilfeleistung in andern Fällen.
Der Bergelohn wird höher bemessen als der ge-
wöhnliche Hilfslohn (88 746, 747). Die An-
sprüche sind beim Strandamt anzumelden (8 36
der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874).
Eine persönliche Verpflichtung zur Entrichtung der
Bergungs= und Hilfskosten wird durch die Ber-
gung oder Rettung an sich nicht begründet; dem
Gläubiger steht vielmehr nur an den geborgenen
oder geretteten Gegenständen (Schiff, Ladung,
Fracht) ein Pfandrecht, an den geborgenen Gegen-
ständen zugleich ein Zurückbehaltungsrecht zu. —
Zur Untersuchung der Seeunfälle, von welchen
Schiffe (mit Ausnahme der Kriegsschiffe) betroffen
werden, sind an den deutschen Seeküsten auf Grund
des Reichsgesetzes vom 27. Juli 1877 Seeämter
errichtet worden. Durch deren Untersuchung sollen