Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1079 
die Ursachen des Seeunfalls sowie die mit diesem 
zusammenhangenden Tatumstände ermittelt wer- 
den. Auf Antrag des — für jedes Seeamt be- 
stellten — Reichskommissars kann einem deutschen 
Schiffer oder Steuermann, der den Unfall ver- 
schuldet hat, durch den Spruch des Seeamts die 
Befugnis zur Ausübung seines Gewerbes (das 
Patent) entzogen werden. Die Beschwerde gegen 
den Spruch geht an das Oberseeamt. 
In der Rechtslehre stiesmminlerlih behandelt ist 
das Seeversicherungsrecht. Die ältesten 
Wurzeln der Seeversicherung gegen Prämie gehen 
in das 14. oder gar 13. Jahrh. zurück. Das 
H.G.B. befaßt sich mit diesem Zweig des See- 
rechts in den 88 778/900. Das Gesetz über die pri- 
vaten Versicher vom 12. Mai 
1901 hat die Transportversicherung — abgesehen 
von gewissen, dem Bundesrat verliehenen Voll- 
machten (§ 116) — einer behördlichen Beaufsichti- 
gung nicht unterworfen, auch das Gesetz über den 
Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908 läßt die 
Seeversicherung unberührt (5 186). Die Vor- 
schriften des H. G.B. sind jedoch in einigen Punkten 
abgeändert worden durch ein besonderes Gesetz 
vom 30. Mai 1908. Dem Abschluß des Ver- 
sicherungsvertrags pflegen festbestimmte Bedin- 
gungen zugrunde gelegt zu werden. Die wich- 
tigsten sind die (Hamburgischen) Allgemeinen See- 
versicherungsbedingungen von 1867; außer diesen 
sind zu nennen die Bremer Seeversicherungs- 
bedingungen von 1875. Die Allgemeinen See- 
bersicherungsbedingungen schließen sich in ihrer 
Anordnung eng an das H.G.Ban, dessen Vor- 
schriften sie teils wörtlich übernehmen, teils — 
soweit das Gesetz es zuläßt — abändern und er- 
gänzen. Mit Ausnahme der Heuerforderung des 
Schiffers und der Schiffsmannschaft kann jedes 
in Geld schätzbare Interesse, welches jemand daran 
hat, daß Schiff oder Ladung die Gefahren der 
Seeschiffahrt besteht, Gegenstand der Seeversiche- 
rung sein. Insbesondere können versichert werden: 
Schiff, Fracht, Uberfahrtsgelder, Güter, Bodmerei- 
und Havereigelder, der von der Ankunft der Güter 
am Bestimmungsort erwartete Gewinn (imagi- 
närer Gewinn), die zu verdienende Provision. 
Die Versicherung kann nicht nur für fremde Rech- 
nung, sondern auch ganz unbestimmt für Rech- 
nung „wen es angeht“ genommen werden. Un- 
redlichkeiten will die Vorschrift entgegentreten, daß 
die Versicherung insoweit keine rechtliche Geltung 
hat, als die Versicherungssumme den vollen Wert 
des versicherten Gegenstands übersteigt (Über- 
versicherung). Auch die Doppelversicherung, d. i. 
die Versicherung eines Gegenstands gegen dieselbe 
Gefahr bei mehreren Versicherern über den Ver- 
sicherungswert hinaus, ist nichtig, wenn der Ver- 
sicherte die Absicht hatte, sich einen rechtswidrigen 
Vermögensvorteil zu verschaffen. Was den Um- 
fang der Gefahrübernahme anlangt, so trägt der 
Versicherer im allgemeinen alle Gefahren, denen 
Schiff und Ladung ausgesetzt sind, insbesondere 
Seerecht usw. 
1080 
auch die Gefahren von Zusammenstößen, Natur- 
ereignissen, Krieg und Seeraub. Wird durch Ver- 
einbarung der Parteien der Versicherungswert auf 
eine bestimmte Summe festgestellt (taxierte Police 
im Gegensatz zur offenen Police), so ist die Taxe 
unter den Parteien für den Versicherungswert 
maßgebend, es sei denn, daß sie wesentlich übersetzt 
wäre. Eine bekannte Versicherungsklausel bei 
Güterversicherungen ist „Frei von Beschädigung 
außer im Strandungsfall“ (free of particular 
average unless the ship be stranded). Der 
Versicherer haftet unter dieser Klausel nicht für 
bloße Beschädigung. Bei der Versicherung des 
Schiffs (Cascoversicherung) ist eine entsprechende 
Klausel „Nur gegen Totalverlust“. Große Reede- 
reien pflegen unter dieser Klausel zu versichern, 
indem sie die Gefahr der übrigen Unfälle selbst 
übernehmen. Eine eigenartige Einrichtung bei 
der Versicherung gegen Totalverlust ist der Ab- 
andon: der Versicherte ist in gewissen Fällen schon 
vor dem endgültigen Verlust des versicherten Gegen- 
stands befugt, die Zahlung der Versicherungs- 
summe zum vollen Betrag gegen Abtretung der 
ihm in Ansehung dieses Gegenstands zustehenden 
Rechte zu verlangen. Diese Befugnis besteht na- 
mentlich dann, wenn das Schiff verschollen ist, 
Schiff oder Güter von einer kriegführenden Macht 
aufgebracht, auf andere Weise durch Verfügung 
von hoher Hand angehalten oder durch Seeräuber 
genommen und während bestimmter Fristen nicht 
freigegeben sind (8§8 861 ff). Unter Ristorno ver- 
steht man das Recht des Versicherten, die Prämie 
ganz oder teilweise einzubehalten, wenn die Unter- 
nehmung, auf welche sich die Versicherung bezieht, 
ganz oder teilweise von dem Versicherten auf- 
gegeben oder ohne sein Zutun die ganze versicherte 
Sache oder ein Teil davon der vom Versicherer 
übernommenen Gefahr nicht ausgesetzt wird. Der 
Versicherer erhält jedoch eine gesetzlich, meistens 
# zuchwernm vertragsmäßig begrenzte Ristornogebühr (val. 
8 
l hiedene Gestaltung des Seerechts der 
seefahrenden Staaten legte den Gedanken nahe, 
die Verschiedenheiten durch internationale 
Vereinbarungen zu vermindern. Die hier- 
auf gerichteten Bestrebungen haben bisher den 
Erfolg gehabt, daß ein einheitliches Seestraßenrecht 
Eeestraßenordnung) geschaffen worden ist. In den 
Dienst der Einheitsbestrebungen stellten sich schon 
die seerechtlichen Kongresse von Antwerpen (1885), 
Brüssel (1888) und Genua (1892). Neuerdings 
werden sie in erster Linie verfolgt von dem Comits 
maritime international, dessen Bildung und 
erste Tagung unter Beteiligung von Juristen und 
Kaufleuten namentlich aus Belgien, Holland, 
Frankreich, England und Deutschland im Juni 
1897 zu Brüssel stattfand; den Vorsitz führte der 
belgische Minister A. Beernaert. Auf Anregung 
des Comité marit. intern. sind dann in den ein- 
zelnen Ländern besondere Vereine gebildet wor- 
den, die das gleiche Ziel verfolgen; der deutsche 
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.