Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1099 
schüler des Alten Testaments im Schatten des 
Heiligtums heranwuchsen. Konnten die Ober- 
hirten den erforderlichen Unterricht ihnen auch 
nicht selbst erteilen, so hielten sie es doch für ihre 
Pflicht, die Heranbildung ihrer Kleriker sorgfältig 
zu überwachen. Der Grad der Bildung, welcher 
in den verschiedenen Schulen erreicht wurde, hing 
von der Tüchtigkeit des Bischofs und der von ihm 
bestellten Lehrer ab. 
Einen besondern Typus erhielten im fränkischen 
Reich seit dem Schluß des 8. Jahrh. zahlreiche 
Kathedralschulen durch die weit verbreitete Kapitel- 
verfassung Chrodegangs von Metz, welche die 
jungen Aspiranten des geistlichen Stands der 
Leitung des Domscholastikus unterstellte. Diesem 
wurde später die Aufsicht über das ganze Er- 
ziehungs= und Unterrichtswesen der Diözese an- 
vertraut, so daß sein Amt sehr einflußreich war 
und in den meisten Kapiteln als Dignität galt. 
Noch größeren Aufschwung nahmen die Kathedral- 
schulen infolge der Einwirkung Karls des Großen 
und seiner berühmt gewordenen Konstitution De 
scholis per singula episcopia et monasteria 
instituendis vom Jahr 787 (Baluze, Cap. Reg. 
Franc. 1 72). Sein Sohn Ludwig der Große 
promulgierte auf dem Nationalkonzil von Aachen 
im Jahr 816 das erweiterte Chrodegangsche In- 
stitut für alle bischöflichen Kirchen des Reichs als 
Gesetz. An diese Bestimmungen knüpften auch die 
römischen Synoden von 825 und 850 an, während 
Alexander III. im Jahr 1179 und Innozenz III. 
im Jahr 1215 auf dem 3. und 4. Laterankonzil 
die Anordnung trafen, daß an jeder Domkirche 
mindestens ein Lehrer der Heiligen Schrift die 
Scholaren gratis in den geistlichen Disziplinen 
unterweisen sollte. Unter den zahlreichen blühen- 
den Domschulen jenes Zeitalters waren die von 
Arles, Reims, Tours, Lyon, Langres, Vork, 
Canterbury, Paderborn, Hildesheim, Worms, 
Würzburg und Köln lange Jahre hindurch hoch- 
berühmt. Nach dem Muster der Kathedralschulen 
entstanden dann allmählich auch bei den größeren 
Kirchen in den Städten und selbst auf dem Land 
Stifts= und Pfarrschulen, in denen bewährte 
Lehrer und Seelsorger den Unterricht und die Er- 
ziehung der Chorknaben besorgten, die beim Ge- 
sang und Gottesdienst zunächst als Ministranten 
mitwirkten und praktisch und theoretisch für den 
Dienst des Heiligtums so weit vorbereitet wurden, 
bis sie vom Archidiakon dem Bischof zur Weihe 
empfohlen werden konnten. 
Durch die Gründung der großen Mönchs- 
orden des hl. Basilius und des hl. Benedikt war 
inzwischen eine große Zahl der bischöflichen Stühle 
im Morgen= wie im Abendland durch die geist- 
lichen Söhne dieser Heiligen besetzt worden, die 
dann gern die Erziehung ihres Diözesanklerus der 
bewährten Leitung ihrer früheren Ordensbrüder 
anvertrauten. So kam es, daß die Kloster= und 
Ordensschulen als Bildungsstätten für den Welt- 
klerus zu den Dom-, Stifts= und Pfarrschulen 
  
Seminarien. 
  
1100 
hinzu= und teilweise selbst an ihre Stelle traten. 
Die Klöster wurden daher frühzeitig auch die 
Pflanzschulen, aus denen die Päpste die Werk- 
zeuge zur Ausbreitung der Kirche in den bisher 
heidnischen Ländern entnahmen. Gregor der Große, 
der erste der aus dem Mönchtum hervorgegangenen 
Päpste, war auch der erste, der seine Ordens- 
brüder in größerem Maßstab in den Dienst der 
Kirche zog und ihnen u. a. die Mission in Eng- 
land zuwies. Seitdem sind es vorzugsweise Priester 
der verschiedenen Orden gewesen, die, vom Apo- 
stolischen Stuhl gesendet, in der Alten wie in der 
Neuen Welt der Kirche neue Völker und Länder 
gewannen und sie für die Eingliederung in die 
christliche Völkerfamilie reif machten. 
Alle diese im Lauf der Zeit entstandenen geist- 
lichen Bildungsanstalten haben dann nach jahr- 
hundertelangem Arbeiten, entsprechend dem Wesen 
des nach Wahrheit dürstenden Menschengeistes, 
einen gewissen Schluß= und Mittelpunkt gewonnen 
in den Universitäten des Mittelalters. Der 
aus dem innern Mark jener glaubensfreudigen 
Zeit hervorquellende organisierende Trieb, der 
sich in der Schöpfung zahlloser Korporationen, 
Innungen, Gilden und Gemeinwesen betätigte, 
suchte auf dem Grund des Glaubens zunächst die 
Theologie und dann den ganzen Dom der übrigen 
Wissenschaften auszubauen, indem er aus der 
Korporation der Lehrer und Schüler der einzelnen 
Fakultäten, aus der universitas magistrorum 
et scholarium die universitas artium et 
scientiarum schuf, den Gesamtorganismus der 
Wissenschaften, welche alle wie die im Prisma 
gebrochenen Lichtstrahlen auf ihren gemeinsamen 
Ursprung, die Sonne der ewigen Wahrheit und 
die Quelle alles Lichtes hinweisen. Nach ihrer 
Idee wie nach ihrem geschichtlichen Ursprung sind 
demnach die meisten Universitäten Töchter der 
Kirche, hervorgewachsen aus ihren Dom= und 
Klosterschulen. In der Person ihres Kanzlers 
von Anfang an dem unmittelbaren Schutz der 
Päpste als der obersten Lehrer der Christenheit 
unterstellt, wurden sie von ihnen mit besondern 
Rechten und Freiheiten, mit kirchlichen Gütern 
und Präbenden reichlich ausgestattet. Die ein- 
zelnen Nationen, Diözesen und Orden errichteten 
deshalb schon frühzeitig neben diesen Hochschulen 
ihre Kollegien, Konvikte oder Bursen, in welchen 
die zum guten Teil aus Welt= und Ordensklerikern 
bestehenden Scholaren nicht bloß gemeinsame Woh- 
nung und Beköstigung, sondern auch häusliche 
Beaussichtigung, wissenschaftliche Förderung durch 
Repetitionen und Disputationen und Vorberei- 
tung für die Erwerbung der akademischen Grade 
erhielten. 
So besaß denn die katholische Kirche beim Aus- 
gang des Mittelalters in ihren Hoch-, Dom-, 
Kloster= und Stiftsschulen, in ihren Kollegien, 
Konvikten und Bursen eine fast überreiche Fülle 
priesterlicher Erziehungs= und Bildungsanstalten. 
Fragen wir nach dem Geist, der in ihnen lebte,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.