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befinden; sie hat das Recht, Interpellationen und
Fragen an die Minister zu richten, die im Lauf
der Session zu beantworten sind, das Recht, En-
queten über Fragen der Wahlen und reine Ver-
waltungssachen anzuordnen. Die Abgeordneten
sind für ihre Abstimmungen und Reden nur der
Kammer selbst verantwortlich und können, außer
bei Ergreifung auf frischer Tat, nicht ohne vor-
herige Ermächtigung der Skupschtina gerichtlich
verfolgt werden. Außer den Reisekosten erhalten
sie eine tägliche Entschädigung von 15 Dinaren
während der Ausübung ihres Mandats.
Für eine „Große“ Skupschtina werden doppelt
soviel Abgeordnete gewählt als für eine Gewöhn-
liche. Die Große Skupschtina ist einzuberufen zur
Wahl eines Königs, wenn kein Thronberechtigter
vorhanden ist, zur Ernennung des Regentschafts-
rats dann, wenn der verstorbene König keine
Kandidaten vorgeschlagen hat, zur Beschlußfassung
über Verfassungsänderungen, über Veräußerung
oder Tausch des Staatsgebiets und wenn der
König die Befragung einer Großen Skupschtina
für nützlich hält. Eine Anderung des Wahlrechts
(Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Be-
seitigung des Wahlzensus usw.) steht bevor.
Die Rechte, welche die Verfassung garantiert,
sind persönliche Freiheit, Schutz vor ungesetzlicher
Verhaftung, vor Verurteilung durch einen nicht
zuständigen Gerichtshof, Freiheit des Aufenthalts,
Unverletzlichkeit des Domizils, des Eigentums,
Gewissens-, Preß-, Vereins= und Versammlungs-,
Unterrichtsfreiheit, Abschaffung der Todesstrafe
für rein politische Vergehen (außer für Attentate
auf den König und Mitglieder des Herrscher-
hauses) usw. Fremde genießen den Schutz der
Gesetze und können durch Vertrag zu öffentlichen
Amtern zugelassen werden.
An der Spitze der Staatsverwaltung steht
der Ministerrat (zurzeit 9 Mitglieder); die Mit-
glieder leiten die verschiedenen Verwaltungszweige
(Inneres, öffentlicher Unterricht und Kultus,
Außeres, Finanzen, Krieg, Handel, Ackerbau und
Industrie, öffentliche Arbeiten, Justiz), während
der Vorsitzende kein Portefeuille zu bekleiden
braucht. Die Minister müssen Serben von Ge-
burt oder seit 5 Jahren naturalisiert sein; sie
haben das Recht, und auf Verlangen der Skup-
schtina die Pflicht, den Sitzungen des Parlaments
beizuwohnen, aber kein Stimmrecht. Sie sind der
Skupschtina für alle in der Ausübung ihres Amts
vollzogenen Handlungen verantwortlichund können
vom König oder der Skupschtina (mit 3-Mehr-
heit der anwesenden Mitglieder) wegen bestimmter
Vergehen (Verrat, Verletzung der Verfassung oder
der gesetzlichen Rechte serbischer Bürger, Pflicht-
verletzung usw.) in Anklagezustand versetzt werden;
die Aburteilung erfolgt in diesem Fall durch einen
Staatsgerichtshof, der aus den Mitgliedern des
Staatsrats und des Kassationshofs zusammen-
gesetzt ist. Beratend steht der Regierung ein
Staatsrat zur Seite, von dessen 16 auf Lebens-
Serbien.
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zeit ernannten Mitgliedern 8 vom König und 8
von der Skupschtina aus je 16 von der Skup-
schtina dem König und umgekehrt vorgeschlagenen
Kandidaten erwählt werden. Außer der beratenden
Befugnis entscheidet der Staatsrat in einigen Ver-
waltungsstreitsachen, bei Klagen über Verletzung
privater Rechte durch Regierungsdekrete, bei Ent-
eignungen zu Staatszwecken, in gewissen Be-
steuerungs= und Anleihesachen der Kreise und Ge-
meinden usw. Zur Kontrolle der Finanzgebarung
der staatlichen Behörden besteht ein besonderer
unabhängiger Rechnungshof, dessen 5 Mitglieder
von der Skupschtina aus einer vom Staatsrat
vorgeschlagenen Kandidatenliste ernannt werden.
Für die Lokalverwaltung ist das Land in
18 Kreise eingeteilt; in jedem besteht ein Kreis-
amt als politische, Polizei= und Finanzbehörde;
in Belgrad steht ein Präfekt an der Spitze der
Verwaltung, unter ihm der Bürgermeister. Unter
den Kreisämtern stehen die 81 Bezirksämter als
untere Verwaltungsbehörden; ihnen sind die Bür-
germeister in den einzelnen Gemeinden für die
Polizei untergeordnet.
Als Organe der Selbstverwaltung bestehen in
den Kreisen zur Vertretung der Kreisinteressen in
Sachen des Unterrichts, der Industrie, des Ver-
kehrswesens, der öffentlichen Gesundheit, der Fi-
nanzen usw. Kreisversammlungen und Kreiskom-
missionen, in jedem Bezirk eine Bezirksversamm-
lung, in den Gemeinden der Gemeinderat (12 bis
20 auf 2 Jahre gewählte Mitglieder), die Ge-
meindeversammlung (aus sämtlichen Wahlberech-
tigten bestehend) und ein Gemeinde-(Friedens-)
gericht (von dem Gemeinderat gewählt), das in
allen die Summe von 200 Dinaren nicht über-
schreitenden Streitfragen (außer Erbschaftsange-
legenheiten) und auch in geringeren Strassachen
entscheidet. Das Wahlrecht zur Gemeindevertretung
beruht auf der Zahlung von mindestens 15 Di-
naren jährlicher Steuern, außerdem haben die
21 Jahre alten Mitglieder von Sadrugas ohne
Rücksicht auf ihre Steuerleistung Stimmrecht. Die
Gemeindevorsteher werden gewählt.
Für die Rechtspflege bestehen (außer den
Gemeindegerichten) 24 Gerichte erster Instanz,
ein Appellationshof (in Belgrad) und ein Kassa-
tionshof (ebd.), der auch in Verwaltungsstreitig=
keiten entscheidet; außerdem gibt es ein Handels-
gericht (Belgrad) und für bestimmte Verbrechen
(große Diebstähle, Raub, Brandlegung) Schwur-
gerichte. Die Richter sind im allgemeinen unab-
setzbar.
Armee. Nach dem Organisationsgesetz vom
31. März (13. April) 1904 besteht allgemeine
Dienstpflicht vom 21. bis 45. Jahr, und zwar
10 Jahre in der aktiven Armee (die Infanterie
1½, Kavallerie und Artillerie 2 Jahre im stehen-
den Heer, der Rest in der Reserve), 6 Jahre im
ersten und 8 Jahre im zweiten Aufgebot der Na-
tionalmiliz. Das Königreich ist in 5 Territorial=
divisionen eingeteilt (Nisch, Valjevo, Belgrad,