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der andern Verwaltungssprengel Staatsbeamte.
Den Vassallenfürsten der Schan= und Malaien-
staaten wurden von Tschulalongkorn, der seine
Oberhoheit über sie schärfer durchführte, nach in-
dischem Vorbild Residenten (vielfach Engländer)
an die Seite gegeben, die den Titel königliche
Kommissäre führen und die wichtigeren Angelegen-
heiten zu begutachten haben; den Fürsten verblieb
die Lokalregierung und die Erhebung von Steuern
für lokale Bedürfnisse, doch müssen die Uberschüsse
an die Zentralkassen in Bangkok abgeliefert wer-
den. — Die Rechtspflege geschieht in den
Provinzen durch die Generalgouverneure; in der
Hauptstadt Bangkok befinden sich die höchsten Ge-
richtshöfe des Landes: der höchste Appellations-=
gerichtshof des Königs, der Appellations-, Kri-
minal-, Zivil-, Polizeigerichtshof, der Gerichtshof
für fremde Angelegenheiten und der 1883 einge-
richtete internationale Gerichtshof. Frankreich hat
1907 auf die Konsulargerichtsbarkeit über seine
asiatischen Untertanen in Siam, England (1909)
auf die Konsulargerichtsbarkeit über seine euro-
päischen und asiatischen Untertanen unter bestimm-
ten Modalitäten verzichtet; dafür wurde das euro-
päische Richterpersonal erheblich vermehrt. Am
1. Juni 1908 wurde ein neues Strafgesetzbuch
veröffentlicht, das Werk des Franzosen M. Pa-
doux, der auch neue Gesetzbücher über Zivil= und
Handelsrecht, über Prozeßordnung und Gerichts-
organisation auszuarbeiten beauftragt ist.
Die Religion des Landes ist der Buddhis-
mus in einer spezifisch siamesischen Färbung; val.
hierüber Art. Religionsgesellschaften (Sp. 559).
Das Christentum ist in Siam nur zu geringer
Ausbreitung gelangt; die freie Ausübung der
christlichen Religion ist durch Verträge gesichert.
Für die Katholiken besteht das 1662 errichtete
Apostolische Vikariat Siam, das dem Pariser Se-
minar für auswärtige Missionen anvertraut ist
und an 23.000 Katholiken, (1907) 42 Priester
des Seminars, 13 eingeborne Priester, 23 Haupt-
und 20 Nebenstationen zählt; an 10 700 Katho-
liken gehören zum Apostolischen Vikariat Laos,
das 1899 vom Apostolischen Vikariat Siam ab-
getrennt wurde, das Land östlich vom Menam bis
Annam und Tonkin umfaßt und ebenfalls unter
der Leitung des Pariser Missionsseminars steht
(an 30 Priester). — Die Protestanten haben
5 Missionsstationen, von nordamerikanischen Pres-
byterianern geleitet (600 Kommunikanten), und
5 Stationen unter den Laos (an 15.000 An-
hänger, zum Teil französische Untertanen).
Der Unterricht erfolgt in den Schulen der
Bonzen, denen es zu verdanken ist, daß die meisten
Männer Siams lesen und schreiben können. In
der Hauptstadt gibt es außerdem zahlreiche Re-
gierungsschulen: 3 englische, 6 Mittel-, 60 Volks-
schulen, 2 Lehrerseminare, 1 medizinische Schule,
1 Kolleg für Zivildienst, 5 Mädchenschulen, ferner
je 1 Marine-, Militär-, Rechts-, Gendarmerie-,
Polizei-, Eisenbahn= und Landwirtschaftsschule.
Siam.
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Die Armee Siams beträgt im Frieden 10
Divisionen mit 80 Geschützen, die Division zu
2 Regimentern Infanterie, 1 Regiment Kavallerie
oder Jäger, 1 Regiment Artillerie, 1 Kompagnie
Genie-, 1 Kompagnie Transporttruppen und 1
Ambulanzkompagnie; die gesamte Friedensstärke
beträgt 1200 Offiziere und an 25.000 Mann,
die alle modern bewaffnet sind. Die Dienstzeit ist
nach europäischem Muster allgemein (außer in der
Provinz Bangkokl) und beträgt 2 Jahre; doch gibt
es viele gesetzliche Ausnahmen. Von den unzivili-
sierten Bergstämmen wird keine persönliche Dienst-
pflicht verlangt, die chinesischen Ansiedler zahlen
statt des Dienstes eine Kopfsteuer. Die Flotte zählt
17 Fahrzeuge und 65 Dampfer und Fahrzeuge
für den Fluß= und Küstendienst; das Personal
beträgt an 4500—5000 Offiziere und Mann.
Die Handelsflagge ist rot mit einem weißen
Elefanten, die der Marine blau mit weißem Ele-
fanten; die Landesfarben Weiß und Rot. Siam
tbesitzt ? Orden.
IV. Wirtschaftliche Berhältnisse. Siam ist
ein reiner Agrarstaat. Die Landwirtschaft
wird noch sehr primitiv und mangelhaft betrieben
wie vor Jahrhunderten; neben dem Mangel an
systematischer und rationeller Bearbeitung ist auch
der Mangel an Kapital ein Hindernis für den
Fortschritt; der Raubbau ist noch weit verbreitet.
Grundbesitzer ist eigentlich nur der Staat; jeder
Untertan kann vom Staat ein Stück Land zur
Bebauung verlangen unter der Bedingung, daß
er eine jährliche Abgabe dafür zahlt. Nach 3jäh-
riger Bearbeitung kann der Betreffende das Grund-
stück nach Belieben veräußern oder vererben, aber
Eigentümer bleibt immer der Staat. Da jeder nur
so viel Land vom Staat verlangen kann, als er
selbst mit seiner Familie bearbeiten kann, so be-
steht die Mehrzahl der landwirtschaftlichen Betriebe
aus Kleinbetrieben; Großgrundbesitz gibt es fast
nur in den Händen der königlichen Prinzen, der
Vassallenfürsten und Adligen. Hauptprodukt ist
Reis, der große Werte für die Ausfuhr ergibt,
ferner Mais, Mohrhirse, Buchweizen, Gewürz-
pflanzen (Kardamom, Pfeffer, Zimt, Muskat,
Gewürznelken usw.), Zuckerrohr, Baumwolle,
Hanf, Kaffee, Thee, Arznei= und Farbpflanzen,
Gemüse (Erbsen, Bohnen und Zwiebeln für den
Export) usw. Die Kultur von Fruchtbäumen
(Zucker-, Kokos-, Areka-, Sagopalmen, Bananen-,
Orangen-, Mango-, Brotfruchtbäume usw.) ist
weit verbreitet und auf hoher Stufe. Der Wald
(besondersin Nord-Siam)liefertgewaltige Mengen
von Tiekholz (Ausbeutung vielfach durch englische
Gesellschaften), ferner Adler-, Sapan= und anderes
Holz, Harze, Gummi, Lacke, Holzkohle, Holzöl usw.
Die Viehzucht leidet unter den religiösen An-
schauungen des Buddhismus, nach dem die Tö-
tung von Tieren und selbst die Zucht von Tieren
behufs späterer Schlachtung sündhaft ist. Die
eigentlichen Siamesen betreiben daher meist nur
Pferde= und Büffelzucht für ihren landwirtschaft-