Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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gesetz ist ein sitkliches Gesetz. Desgleichen ist die 
Rechtsbefugnis in der sittlichen Ordnung 
eingeschlossen, weil sie die Wirkung eines sittlichen 
Gesetzes bzw. des Rechtsgesetzes ist und in den 
andern eine Rechtspflicht, d. h. eine Gewissens- 
pflicht, also eine sittliche Pflicht voraussetzt. Außer- 
dem wird auch der Gebrauch dieses Rechts durch 
die sittlichen Gesetze geregelt. Wer also den sitt- 
lichen Charakter der Rechtspflichten leugnet, be- 
raubt die ganze Rechtsordnung ihrer Würde oder 
ihres Adels und würdigt sie zu einer Summe von 
bloßen Zwangsmaßregeln, ja zu einem willkür- 
lichen Polizeisystem herab. Die Rechtsordnung ist 
somit ein integrierender oder wesentlicher Teil der 
sittlichen Ordnung. 
Wenn aber die Rechtsordnung als Teil zu der 
sittlichen Ordnung gehört, wie, so wird einge- 
wendet, läßt es sich dann erklären, daß man dem 
Rechtsgesetz schon durch die äußere Leistung dessen, 
was es vorschreibt, also durchbloße Legalität 
genügt, während es doch bei der sittlichen Ord- 
nung hauptsächlich auf die innere Gesinnung 
ankommt? Dieser Einwand, der oftmals für die 
Trennung der Rechtsordnung von der sittlichen 
Ordnung ins Feld geführt wird, ist unberechtigt. 
Denn dem Rechtsgesetz genügt man allerdings an 
und für sich durch die bloß äußerliche Erfüllung 
der gesetzlichen Vorschrift, aber zu dieser äußern 
Leistung ist man im Gewissen verpflichtet. Wer 
daher die äußere Leistung, obwohl er sie erfüllen 
könnte, unterläßt, zieht sich eine Schuld gegen die 
Gerechtigkeit zu, verletzt also die sittliche Ordnung. 
Das Rechtsgesetz könnte überhaupt keine Gewissens- 
pflicht auferlegen, wenn es außerhalb der sittlichen 
Ordnung läge. Nicht selten wendet man auch die 
Erzwingbarkeit der Rechtspflicht gegen die 
Zugehörigkeit des Rechts zu der sittlichen Ord- 
nung ein. Die sittlichen Pflichten, so sagt man, 
lassen sich nicht erzwingen, also können die Rechts- 
pflichten, da sie erzwingbar sind, nicht sittliche 
Pflichten sein. Aber hier liegt eine petitio prin- 
cipii vor. Daß es keine erzwingbaren sittlichen 
Pflichten gebe, kann man nämlich nur behaupten, 
wenn man schon voraussetzt, was erst zu beweisen 
ist, daß nämlich die Rechtsordnung und die sitt- 
liche Ordnung vollständig getrennte Ordnungen 
seien. Die oben angeführten Beweise zeigen, daß 
die Rechtspflichten erzwingbare und zugleich sitt- 
liche Pflichten sind. 
Aus dem Gesagten ergeben sich zwei wichtige 
Schlußfolgerungen. Erstens verdient ein 
Rechtsgesetz nur dann diesen Namen, d. h. es er- 
teilt wahre Rechtsbefugnisse und legt wirkliche 
Pflichten nur dann auf, wenn es nichts dem 
natürlichen Sittengesetz Widersprechendes enthält; 
denn es kann in der sittlichen Ordnung keine sich 
widersprechenden Gesetze geben. Dagegen ist es 
nicht ausgeschlossen, daß der Gebrauch eines 
Rechts, d. h. die subjektive Ausübung einer Rechts- 
befugnis zufälligerweise mit den Forderungen des 
Sittengesetzes im Widerspruch steht. Wenn z. B. 
Sittliche Ordnung. 
  
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jemand ein Kapital auf bestimmte Rückzahlung 
ausgeliehen hat, besitzt er das Recht, nach Ablauf 
des Zahlungstermins das Kapital nötigenfalls 
mit Gewalt eintreiben zu lassen. Dieses Recht 
widerspricht keiner Vorschrift des Sittengesetzes; 
aber es wäre eine Verletzung der Liebe, wenn er 
ohne Not zum Nachteil eines armen oder zahlungs- 
unfähigen Gläubigers von seinem Recht Gebrauch 
machte. Zweitens ist nach dem Gesagten die Ein- 
teilung der Moralphilosophie in Ethik und 
Naturrecht oder in die Lehre von der sittlichen 
Ordnung (Tugendlehre) und von der Rechtsord- 
nung (Rechtslehre) ganz unhaltbar. Die sittliche 
Ordnung enthält die Rechtsordnung schon als 
Teil, und es ist deshalb fehlerhaft, die letztere als 
etwas Selbständiges der ersteren gegenüberzu- 
stellen. Die Rechtsordnung ist der sittlichen Ord- 
nung nicht koordiniert oder gleichgestellt, sondern 
subordiniert oder untergeordnet. 
7. Die unabhängige oder religions- 
lose Moral (Laienmoral). Gibt es eine von jeder 
Religion unabhängige, also religionslose Moral? 
Das ist eine der allerwichtigsten und am häufigsten 
aufgeworfenen Fragen der Gegenwart, eine Frage, 
die tief in das praktische Leben jedes einzelnen 
Menschen und der ganzen Gesellschaft eingreift 
und besonders für das gesamte Unterrichts= und 
Erziehungswesen von entscheidender Bedeutung ist. 
a) Unterunabhängiger, religionsloser oder 
autonomer Moral versteht man eine Sittenlehre, 
die in keiner Weise von Gott und Religion ab- 
hängt oder auf sie Rücksicht nimmt. Man nennt 
sie deshalb wohl auch die „rein menschliche“, die 
„positive“" Moral, oder weil sie der Religion, also“ 
auch der Priester nicht bedarf, Laienmoral. Die 
sog. unabhängige Moral faßt das Leben rein 
„diesseitig“" auf. Das jenseitige unsterbliche Leben 
wird entweder offen geleugnet oder außer acht ge- 
lassen. Alle Materialisten und Atheisten sind not- 
wendig Anhänger der „autonomen“ Moral. Gibt 
es keinen Gott und keine Religion, so kann selbst- 
verständlich die Moral nicht von der Religion ab- 
hängig gemacht, sondern muß auf sich selbst ge- 
stellt werden. 
Jeden Zusammenhang der Sittlichkeit mit der 
Religion haben schon die Moralskeptiker und So- 
phisten des Altertums bestritten, indem sie lehrten, 
die ganze sittliche Ordnung beruhe nur auf Men- 
schensatzung oder Herkommen und Gewohnheit. 
Die sittliche Ordnung wäre danach bloßes Men- 
schenwerk, eine rein menschliche Angelegenheit, die 
mit der Religion nichts zu tun hätte. Mit welcher 
Einstimmigkeit und Zuversicht seitdem die Unab- 
hängigkeit der Moral von der Religion prokla- 
miert wird, ergibt sich aus den Worten G. v. Gi- 
Syckis, mit denen er die Frage beantwortet, ob 
es möglich sei, die Moral von allen religiösen 
Voraussetzungen unabhängig zu machen: „Wenn 
die Wissenschaft der Ethik in ihrer mehr als 
2000jährigen Geschichte etwas zweifellos gemacht 
hat, so ist es die bejahende Antwort dieser Frage;
	        
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