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selbst, daß die Gestaltung der staatlichen Straf-
gewalt auf diesem Gebiet wesentlich durch die
herrschenden Anschauungen über Moral und Sitt-
lichkeit beeinflußt wird. Sie muß notwendig eine
andere sein im christlichen Staat, welcher der
durch das Christentum begründeten Moral=
anschauung Rechnung zu tragen hat, als im heid-
nischen Zeitalter, das andere Sittlichkeitsbegriffe
hatte. Aber auch ohne Rücksicht auf die durch die
Religionsverschiedenheit bedingte Verschiedenartig-
keit der Sittlichkeitsvergehen wird die Bestrafung
selbst eine schärfere oder mildere sein und die
Grenzen für den Kreis der von ihr zu treffenden
Handlungen weiter oder enger ziehen, je nachdem
die Moralauffassung des betreffenden Landes oder
der Zeit strenger oder lauer ist.
Im römischen Recht ist es vor allem die
lex lulia de adulterüs coérCendis, im 8. Jahrh.
post urb. cond., die in weitem Umfang und mit
großer Schärfe gegen die Verletzungen der Sitt-
lichkeit vorging. Insbesondere wurden nicht nur
der incestus (Blutschande), sondern auch das
adulterium (Ehebruch), das lenocinium (Kup-
pelei) und das stuprum (außerehelicher Beischlaf
mit einer virgo vel vidua honeste vivens) unter
Strafe gestellt. Die lex lulia hat auf Jahrhun-
derte hinaus die Grundlage für die Bestrafung der
Sittlichkeitsdelikte gebildet. Das deutsche Recht
enthielt schon früh, namentlich gegen den Ehebruch
der Frau, sehr harte Strafbestimmungen. Erst
mit der Einführung des kanonischen Rechts
aber wurde dem Grundgedanken, daß es sich bei
der Bestrafung auf dem Gebiet der Sittlichkeit um
den Schutz gegen Verletzung des Sittlichkeits-
gefühls handelt, praktische Geltung verschafft. Über
die lex lulia hinaus waren deshalb insbesondere
auch das Konkubinat, die Sodomie, die Entfüh-
rung, das Halten von Bordellen mit Strafe be-
droht. Im Laufe des 18. Jahrh. zeigte sich da-
gegen infolge der allgemein freigeistigen Richtung,
von der namentlich auch die Gesetzgebung auf
diesem Gebiet beeinflußt wurde, eine der Richtung
des vorhergehenden Jahrhunderts gerade entgegen-
gesetzte große Laxheit in der Behandlung der Sitt-
lichkeitsvergehen. In der gegenwärtigen Zeit
stehen die Gesetzgebungen wenigstens im allgemei-
nen auf dem bereits angegebenen Grundsatz, daß
es Aufgabe des Staats ist, seine Angehörigen
gegen Verletzungen des Sittlichkeitsgefühls zu
schützen, daß deshalb alle Handlungen als Sitt-
lichkeitsvergehen oder -verbrechen zu bestrafen sind,
die gegen das allgemeine Sittlichkeitsgefühl ver-
stoßen. Die Verletzung des Sittlichkeitsgefühls
bildet das entscheidende Moment für die Quali-
fizierung einer Handlung als Sittlichkeitsdelikt.
Deshalb werden Notzucht und Mißbrauch von
Kindern unter 14 Jahren nicht etwa wegen des
darin liegenden Zwangs gegen die Person als
Vergehen gegen die persönliche Freiheit, sondern
wegen der damit verbundenen Verletzung des
Sittlichkeitsgefühls als Sittlichkeitsdelikte bestraft.
Sittlichkeit usw.
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Ebenso ist der Inzest nicht als Vergehen gegen
die Familienrechte, sondern als Sittlichkeitsver-
brechen mit Strafe bedroht. Der Eingriff in die
persönliche Freiheit und in die Familienrechte
wirkt hierbei nur durch die Höhe der angedrohten
Strafe.
Von diesem Grundsatz ist jedoch insofern ab-
gewichen, als für das einfüche Stuprum, also den
außerehelichen Beischlaf an sich, weil man mit ihm
als einem notwendigen Übel rechnen zu müssen
glaubte, allgemeine Straffreiheit gewährt ist.
Strafe tritt hier, ebenso wie in den Fällen der
Onanie nur ein, wenn durch die Handlungen
öffentlich Argernis erregt ist. Dasselbe gilt bezüg-
lich des Konkubinats.
Als ein Zeichen für den Niedergang der sitt-
lichen Anschauung muß es aufgefaßt werden, daß
seit einiger Zeit namentlich aus gewissen künst-
lerischen, schriftstellerischen und medizinischen
Kreisen heraus eine Bewegung inszeniert wird,
die auf Beseitigung der Strafbestimmungen gegen
die widernatürliche Unzucht, insbesondere
des die homosexuellen Perversitäten treffenden
§ 175 des St.G.B. gerichtet ist. Infolge der be-
kannten Kriminalprozesse, die sich an den Namen
Eulenburg anknüpfen, ist diese Bewegung seit dem
Jahr 1907 gewaltig abgeflaut, ja in das Gegen-
teil umgeschlagen. Aus zahlreichen Kreisen sind
Petitionen an die gesetzgebenden Körperschaften
gelangt, in welchen eine Ausdehnung und Ver-
schärfung der Strafbestimmungen des 8 175
St.G.B. verlangt wird. Diese Petitionen sind
in der Reichstagskommission einstimmig zur An-
nahme gelangt, indem sie dem Bundesrat zur Be-
rücksichtigung überwiesen wurden, und das Plenum
des Reichstags ist dem Beschluß der Kommission
ohne Widerspruch beigetreten.
Das deutsche Strafgesetzbuch bedroht die Un-
zucht zwischen Personen des männlichen Geschlechts
(Päderastie, sodomia ratione sexus) und zwi-
schen Mensch und Tier (Bestialität, sodomia
ratione generis). Das Verlangen nach Aus-
scheidung dieser Strafbestimmung wird haupt-
sächlich mit der an sich zwar wohl kaum bestreitbaren
Tatsache begründet, daß in manchen Fällen eine
krankhafte Störung des körperlichen Organismus
oder eine Anomalie der Naturanlage vorhanden
sei. Allein, sind die Störungen derart, daß da-
durch die Zurechnungsfähigkeit zweifelhaft wird,
dann muß schon nach allgemeinem Grundsatz des
Strafgesetzes Straffreiheit eintreten. Ist das aber
nicht der Fall, begeht also der Täter mit Bewußt-
sein eine an sich doch jedenfalls grob unsittliche
Handlung, durch die das Sittlichkeitsgefühl an-
derer schwer verletzt wird, dann ist es gerecht, ihn
dafür zu bestrafen, und nur bei der Abmessung der
Strafe die durch die etwa vorhandene krankhafte
Beanlagung stattfindende Beeinflussung seines
Willens in Rücksicht zu ziehen. Man wird aber
wohl nicht fehlgehen in der Annahme, daß in der
erdrückend großen Mehrzahl der Fälle die wider-