Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1179 
geblich nach einer Stellung, bis er 1748 ein- 
geladen wurde, in Edinburgh Vorträge über eng- 
lische Literatur zu halten. Das tat er drei Winter 
hindurch und behandelte in seinen Vorlesungen 
auch Rhetorik, Asthetik und allgemeine Literatur- 
geschichte. Dabei hatte er Gelegenheit, seine Liebe 
zur schönen Literatur praktisch durch die Heraus- 
gabe der Dichtungen des schottischen Poeten Ha- 
milton of Baugour, der wegen seiner jakobitischen 
Gesinnung ins Ausland hatte flüchten müssen, 
zu betätigen. Schon damals hat er auch über 
Nationalökonomie gelesen, so daß er sich noch 
später auf das bereits 1749 verfaßte Manuskript 
zum Beweis dafür berufen konnte, daß er schon 
damals den Grundsatz der wirtschaftlichen Frei- 
heit vertreten habe. Zu jener Zeit wurde Smith 
auch mit Hume bekannt. der damals an seinen 
Essays of Political Economy arbeitete. Die 
Edinburgher Vortrage erwarben Smith einen 
solchen Ruf, daß er 1751 auf den erledigten Lehr- 
stuhl für Logik an der Universität Glasgow be- 
rusen wurde. Bereits im folgenden Jahr rückte 
er in die angesehenere Professur für Moralphilo- 
sophie ein, die er bis 1764 inne hatte. Einer 
seiner Schüler, der spätere berühmte Jurist Millar, 
schildert Smiths Lehrtätigkeit folgendermaßen: „In 
der Logik ging er vom Programm seiner Vor- 
gänger ab und lenkte die Aufmerksamkeit seiner 
Zöglinge auf interessantere und nützlichere Gegen- 
stände, als sie die alte Logik und Metaphysik der 
Schulen bot. Nach einer kurzen Übersicht über die 
alte Lehre von den Seelenvermögen teilte er aus 
der alten Schullogik so viel mit, als nötig war, 
die Neugier nach dieser künstlichen Denkmethode 
zu befriedigen, und widmete den Rest der Zeit der 
Rhetorik und der schönen Literatur. Da man die 
Seelenkräfte am besten kennen lernt, wenn man 
beobachtet, wie sie sich in Worten äußern, so gibt 
es für die Jugend keinen bequemeren Eingang in 
die Philosophie als die Betrachtung von Literatur- 
werken, die Unterhaltung und Überredung zum 
Zweck haben. Das Pensum der Moralphilosophie 
teilte er (damit dem Brauch seiner Zeit folgend) 
in vier Teile: 1. Natürliche Theologie; 2. Ethik; 
diesen Teil hat er im ersten seiner beiden be- 
rühmten Werke veröffentlicht (Theory of moral 
sentiments); 3. das Recht. Nach einem Über- 
blick über das positive Recht zeigte er, wahrscheinlich 
von Montesquien angeregt, wie sich die Rechts- 
sormen vom rohesten Zustand stufenweise bis zum 
verfeinertsten entwickelt haben, und wie die Künste, 
welche die Erwerbung des Lebensunterhalts und 
die Vermehrung der Gütermasse befördern, ent- 
sprechende Anderungen und Verbesserungen im 
Recht und in den Staatsverfassungen zur Folge 
haben. Im 4. Teil endlich erörterte er solche 
Maßregeln, die vom Staat getroffen werden nicht 
nach Rechtsgrundsätzen, sondern um des Nutzens 
willen, und die darauf berechnet sind, seinen Reich- 
tum und seine Macht zu vermehren. Von diesem 
Gesichtspunkt aus betrachtete er Handel und Ge- 
Smith. 
  
1180 
werbe, Finanzen, kirchliche und militärische Ein- 
richtungen, kurz, die Gegenstände seines zweiten 
Hauptwerks (Wealth of Nations). Bei keiner 
andern Tätigkeit kam Smiths Begabung in dem 
Maß zur Geltung wie in dieser akademischen."“ 
Aufzeichnungen der Glasgower Vorlesungen durch 
einen Zuhörer sind 1896 durch Edwin Cannan 
unter dem Titel Lectures on Justice, Police, 
Revenue and Arms, delivred in the Uni- 
versity of Glasgow by Adam Smith, reported 
by a Student in 1763 veröffentlicht worden. 
Während der Glasgower Zeit entstand die Schrift 
A Dissertation of the Origin of Languages 
(der Titel lautet in den verschiedenen Ausgaben 
übrigens verschieden), die allerdings erst später 
veröffentlicht wurde als die 1759 erschienene erste 
seiner Hauptschriften, und zwar als Anhang zur 
2. Auflage dieser, nämlich The Theory of Moral 
Sentiments (Theorie der ittlichen Empfindungen), 
die, mag auch der „Reichtum der Nationen“ be- 
kannter sein, am meisten seinen eigentümlichen 
Geist atmet. Hatten schon seine Vorlesungen viele 
Lernbegierige nach Glasgow gezogen, so begrün- 
dete die Herausgabe der Theorie der sittlichen 
Empfindungen Smiths Ansehen und Ruhm in 
ganz Großbritannien und machte seinen Namen 
auch im Ausland bekannt. Dieses Werk, von dem 
bereits 1760 eine zweite Auflage nötig wurde, 
verschaffte ihm Beziehungen zu den ersten Größen 
seiner Zeit und brachte ihm 1761 bei seiner ersten 
Reise nach London manche Ehrungen und 1762 die 
Ernennung zum Doctor Legum durch die Uni- 
versität Glasgow ein. Trotzdem sollte seine dortige 
Lehrtätigkeit, an der er nicht besonders gehangen 
zu haben scheint, nicht mehr lange dauern. Auf 
Empfehlung des Ministers Townshend erging im 
Herbst 1763 an Smith das Anerbieten, den 
jungen Herzog Buccleugh auf einer Ausbildungs- 
reise in das Ausland zu begleiten; und er zögerte 
nicht, im Interesse der Erweiterung seiner eignen 
Anschauungen das auch materiell recht glänzend 
ausgestattete Anerbieten anzunehmen. Im Fe- 
bruar 1764 legte er zum Bedauern der Fakultät, 
die ihm ein ehrenvolles Anerkennungszeugnis aus- 
stellte, seine Professur nieder und reiste mit seinem 
Schützling zunächst nach Paris, um sich von da 
zu anderthalbjährigem Aufenthalt nach Toulouse 
zu begeben, wo er sich mit französischem Geist und 
französischer Sprache vertraut machte; von dort 
wurde die Reise fortgesetzt über Südfrankreich nach 
Genf, wo man zwei Monate blieb (flüchtige Be- 
rührung mit Voltaire, den Smith geschätzt zu 
haben scheint); um Weihnachten 1765 kamen die 
Reisenden wieder in Paris an, um sich dort noch 
etwa zehn Monate aufzuhalten, die der mit Rück- 
sicht auf seine bereits ins Französische übersetzte 
Theorie der sittlichen Empfindungen und die 
Empfehlungen seines Freundes Hume sehr zuvor- 
kommend aufgenommene Smith zu lebhaftem Ver- 
kehr mit den dortigen Spitzen der literarischen 
Welt, namentlich den Hauptvertretern der Philo-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.