Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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handeln. Trotzdem ist die Methode dieser Philo- 
sophen, die Adam Smiths eingeschlossen, kein 
eigentlich induktives Verfahren zu nennen. Ihnen 
sind die geschichtlichen Tatsachen und die aus dem 
Leben geschöpften Beobachtungen nicht der Aus- 
gangspunkt, von dem sie zu den von ihnen auf- 
gestellten allgemeinen Wahrheiten oder Behaup- 
tungen emporsteigen. Sie dienen ihnen nur dazu, 
die in den sittlichen Handlungen und wirtschaft- 
lichen Erscheinungen ihrer Ansicht nach tätigen 
Kräfte und die Motive des menschlichen bzw. ge- 
sellschaftlichen Handelns in Bezug auf ihre Be- 
sonderheit und Wirkungsweise zu erkennen. Erst 
aus der Erkenntnis dieser Kräfte und Motive, die 
immerhin etwas spekulativ Erarbeitetes sind, leiten 
sie ihre allgemeinen Wahrheiten ab, während die 
Erfahrungstatsachen mehr zur Illustration und 
zur Bekräftigung der aufgestellten theoretischen 
Sätze dienen. Das theoretische Prinzip aber, aus 
dem letzten Grundes die moralischen und gesell- 
schaftlichen Erscheinungen von diesen Philosophen 
gedeutet wurden, war die Annahme einer ursprüng- 
lichen, angebornen Einrichtung oder Neigung der 
Menschennatur, die von selbst, falls sie nur nicht 
von außen gestört wird, die selbstsüchtigen und 
altruistischen Triebe ausgleicht — also eine Art 
prästabilierter Harmonie auf sittlichem Gebiet. So 
war es schließlich doch wieder nur ethischer Sen- 
sualismus bzw. Sozialutilitarismus, wie ihn 
namentlich Shaftesbury ausgebildet hat. Dieser 
nimmt in der Menschennatur soziale (sympa- 
thische), egoistische (idiopathische) und unnatür- 
liche (menschenfeindliche) Triebe an; letztere sind 
immer sittlich schlecht, die geselligen immer gut, 
die selbstischen aber gut oder bös, je nachdem sie 
den sozialen widersprechen oder nicht; in der Har- 
monie zwischen den sozialen und egoistischen und 
dem Ausschluß der bösartigen Neigungen besteht 
nun die Sittlichkeit. Nach Hutcheson liegt nun 
in dem Menschen selbst das angeborne instinktive 
Vermögen, der „moralische Sinn“ (oder wie wir 
sagen würden, das Gewissen), Recht und Unrecht, 
Gut und Bös unmittelbar zu empfinden, und 
zwar so, daß er von diesem angenehm, von jenem 
unangenehm berührt wird; es ist also eine un- 
interessierte Sympathie mit dem Nächsten, die 
dazu treibt, das Gute, den Sieg der uneigen- 
nützigen Liebe über die Selbstsucht zu billigen; 
und dieser moral sense ist nicht nur subjektives 
Erkenntnisprinzip des Guten und Bösen, sondern 
auch nächste Norm. Letzten Endes nicht so sehr 
verschieden von dieser Gefühlsmoral ist die Nütz- 
lichkeitsmoral Lockes und Humes, die besagt: die 
Einsicht in die Nützlichkeit sittlicher Handlungen 
erzeugt Wohlgefallen an ihnen, also moralische 
Neigungen; danach wäre also die wohlverstandene 
Selbstliebe das oberste Moralprinzip. Alle diese 
Grundgedanken seiner Vorgänger benutzt nun 
Smith als Unterbau zu seinem viel einheitlicher 
und gefälliger durchgebildeten System, indem er 
sie unter Verwendung einer Fülle scharfsinniger 
Smith. 
  
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und psychologisch-feiner Beobachtungen teils ver- 
schmilzt teils weiter bildet, letzteres insbesondere 
durch Herausarbeitung des Moralprinzips des 
Mitgefühls, der Sympathie, von dem weiter unten 
noch näher die Rede sein wird. Als Grundzüge 
seiner moralphilosophischen sowohl als national- 
ökonomischen Anschauungen, die ihm mit jener 
ganzen empirisch-sensualistischen schottischen Philo- 
sophie gemeinsam sind, seien also schon jetzt fol- 
gende als Konsequenzen der mechanistischen Auf- 
fassung des Universums und des Weltgeschehens 
#estgestellt. Aus allem leuchtet bei ihm hervor ein 
hoher Optimismus. Er sieht in allen Erschei- 
nungen und in den sie bedingenden Kräften eine 
vollkommene Zweckmäßigkeit und planvolle Ord- 
nung, die letzten Endes zu ihrer Auswirkung 
kommt, mag das Geschehende zunächst auch noch 
so unvollkommen und unbedeutend scheinen: alles 
dient schließlich unfehlbar höheren allgemeinen 
Zielen. Sofern man also nur dieser natürlichen, 
sich selber regulierenden Zweckmäßigkeit ihren 
Lauf läßt, ist die Wohlfahrt des einzelnen so- 
wohl wie der Gesamtheit gesichert. Das Böse, 
das Unangenehme, das Schädliche tritt also nie 
von selbst ein, sondern muß von außen her eigens 
verursacht werden. Glück ist überall da, wo es 
nicht gestört oder gehemmt wird; schon die Ab- 
wesenheit des Ungünstigen garantiert einen be- 
friedigenden Zustand, so daß schließlich Glück und 
Wohlfahrt nicht etwas Positives, sondern nur das 
Freisein von Leiden wären. Bei dieser Ansicht von 
individuellem Glück kann es nicht wunder nehmen, 
daß Smith auch in seiner Volkswirtschaftslehre 
von der Anschauung ausgeht, zum Gedeihen der 
gesellschaftlichen Organisationen sei nicht so sehr 
die positive Förderung durch die sozialen, also 
konkret die staatlichen Organe erforderlich als viel- 
mehr die Fernhaltung aller Hemmnisse von den 
Rädern des geselligen Triebwerks. Und aus alle- 
dem resultiert dann die Forderung der Freiheit: 
man braucht nur die Kräfte des Menschen sich frei 
entfalten zu lassen, und er wird sittlich handeln; 
man lasse die wirtschaftlichen Kräfte sich unge- 
hemmt auswirken, und die Wohlfahrt der Gesell- 
schaft ist gesichert, denn auch zwischen dem Privat- 
vorteil und dem Gemeinwohl besteht jene prästa- 
bilierte Harmonie. Dieser Optimismus, diese 
Annahme einer natürlichen Zweckmäßigkeit, dieser 
Glaube an den Segen der individualistischen Frei- 
heit lagen der ganzen Lehrtätigkeit Adam Smiths 
zugrunde, deren Plan und Systematik noch zu 
zeichnen wäre. Die Moralphilosophie, die er zu 
behandeln hatte, umfaßte zu seiner Zeit Fächer, 
die heute längst selbständige Disziplinen sind; nach 
der damals gebräuchlichen Einteilung gehörten zu 
ihr: 1) die natürliche Theologie, 2) die Ethik, 
3) das Naturrecht und 4) die Politik. Den zweiten 
und vierten Teil hat Smith in seinen beiden 
großen Werken dargestellt; auf den dritten bezog 
sich ein Teil der vor seinem Tod vernichteten 
Handschriften; über natürliche Theologie, die ihm
	        
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