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auch nicht besonders gelegen haben dürfte, hat er
nichts hinterlassen.
3. Moralphilosophie. Smith geht in
seiner Theorie der sittlichen Empfindungen von
dem Gedanken aus, daß in jedem Menschen die
Fähigkeit, ja das Bedürfnis liegt, die Empfin-
dungen der andern mitzufühlen. Da wir nun von
dem Gefühl anderer Menschen keine unmittelbare
Erfahrung haben, so können wir uns nur dadurch
eine Vorstellung von ihrem Zustand verschaffen,
daß wir uns durch die Phantasie zum Bewußt-
sein bringen, was wir an ihrer Stelle empfinden
würden. Die Phantasie versetzt uns an die Stelle
des Nächsten, und unsere Sinneserregungen,
nicht seine stellt sie uns vor, und zwar so lebhaft,
daß wir auch tatsächlich körperlich und seelisch mit
ihm empfinden. Diese Sympathie ist nicht bloß
Mitleid, sondern das Mitempfinden aller
Affekte des Nächsten. Voll ist dieses Mitgefühl
aber nur dann, wenn der Beobachter die angenehme
oder unangenehme Erregung des Affizierten in
sich gerechtfertigt, ihrer Ursache entsprechend findet
und sie demnach billigt. Darauf, daß die Er-
regung im richtigen Verhältnis zu ihrem Anlaß
steht, beruht die Angemessenheit, die Schicklichkeit
des Handelns; die Lob= oder Strafwürdigkeit, das
Verdienst oder Mißverdienst eines Affekts aber
hängt davon ab, ob die von ihm hervorgerufene
Handlung wohltätig oder schädlich ist; und das
bedingt ihre sittliche Güte oder Schlechtigkeit. Und
tugendhaft ist das, womit der Unbeteiligte von
sich aus reflektierend Sympathie empfindet. Und
Ahnliches wie von der Beurteilung der Taten an-
derer gilt für die Frage: Wie kommen wir dazu,
uns selbst sittlich zu beurteilen? So wie wir die
Handlungsweise anderer billigen oder mißbilligen,
je nachdem wir fühlen, daß wir, wenn wir uns
in ihre Lage versetzen, mit den sie zum Han-
deln bestimmenden Beweggründen sympathisieren
können oder nicht, so billigen oder mißbilligen wir
unsere eigene Handlungsweise in dem Maß, als
wir fühlen, daß wir mit den Augen eines andern
uns betrachtend mit unsern Beweggründen sym-
pathisieren können. So schauen wir letzten Grundes
unsere Seelenzustände nur im Spiegel der mensch-
lichen Gesellschaft. Auch die Regeln des sittlichen
Verhaltens abstrahieren wir aus der Beobachtung
der Handlungsweise der Menschen. Ob wir nun
unsere Handlungen durch diese Moralgebote oder
auch durch die Affekte bestimmen lassen sollen,
das hängt von der Natur dieser letzteren ab.
Wohlwollende Affekte dürfen und sollen die
Pflichttreue unterstützen, die unsozialen dagegen
sind zu bekämpfen. Genau unschrieben sind
eigentlich nur die Pflichten der Gerechtigkeit, die
gewissermaßen den Regeln der Grammatik gleichen,
während die übrigen Gebote darin mehr auf die der
Asthetik hinauskommen. Diese grundlegenden Ge-
danken werden in den drei ersten Teilen der Theorie
der sittlichen Empfindungen entwickelt, die noch
folgenden vier Teile gehen mehr auf Einzelheiten
Staatslexikon IV. 3. u. 4. Anfl.
Smith.
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ein. — Smith hat die Ausstellungen seiner eng-
lisch-schottischen Vorgänger, auf deren Schultern
er steht, über das Wesen der Tugend und deren
Bestimmbarkeit (Ubereinstimmung oder Angemes-
senheit der Motive und Handlungen mit den sie
bedingenden Verhältnissen) in folgenden Punkten
weitergebildet und vervollkommnet: er hat einmal
die Modalität jener Angemessenheit durch seine
Sympathietheorie näher bestimmt und der prak-
tischen Verwendbarkeit näher gebracht; und er hat
ferner durch Herausarbeitung des Unterschieds von
tugendhaft und verdienstlich zu dem Moment der
bloßen Billigung das der Lohnwürdigkeit sittlicher
Handlungen hinzugefügt, die aber auch nicht auf
der Angemessenheit der Handlungen an sich, son-
dern auf ihrer Wirkung, ihrem Nutzen beruht.
Gegen die Smithsche Ethik läßt sich natürlich nicht
nur im einzelnen, sondern auch im Prinzip sehr
vieles einwenden. Seine Theorie des Mitgefühls
(Sympathie), die als sittliche Grundforderung
aufstellt: Handle so, daß der unparteiische Zu-
schauer mit dir sympathisieren kann, ist als Moral-
prinzip jedenfalls nicht genügend. Denn abgesehen
von der Schwierigkeit, sich trotz der drohenden
Verblendungen der Eigenliebe tatsächlich auf den
Standpunkt des unparteiischen Beobachters zu
stellen, muß man doch sofort weiter fragen: wo-
nach soll denn der unparteiische Zuschauer ur-
teilen? Wenn uns da Smith auf die Richtschnur
der Angemessenheit, Zweckmäßigkeit und Nützlich-
keit verweist, so kann uns diese Antwort nicht be-
friedigen. Aber wenn wir von diesem Grund-
mangel, der mit der sensualistischen Weltanschauung
von selbst gegeben ist, absehen, so läßt sich doch
nicht leugnen, daß die Moral Smiths auch relativ
große Vorzüge aufzuweisen hat. Man darf vor
allen Dingen nicht vergessen, daß er mit gar nicht
so üblem Erfolg eine Brücke von der Nützlichkeits-
moral zu der idealistischen oder Prinzipienmoral
zu schlagen versucht hat. Er betont gegen Hume:
Der sittliche Mensch tut das Gute, obwohl es im
allgemeinen mit dem Nühtzlichen sich deckt, nicht,
weil es nützlich ist, sondern weil er von Natur sich
gedrängt fühlt, es zu billigen; und die Billigung
des Guten und Schönen geht der Erwägung ihrer
Nützlichkeit voraus. Sodann hat Smith im Gegen-
satz zu dem einseitigen und übertriebenen Altruis-
mus das Verhältnis der Selbstliebe zur Nächsten-
liebe im allgemeinen richtig und an die Forde-
rungen des Evangeliums anklingend (du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst) bestimmt:
Die Selbstliebe ist das Maß, und diese ist sitt-
lich, wenn sie die Nächstenliebe als Bedingung des
eignen Glücks einschließt. Ferner hat Smith, ob-
wohl er sich gegen diejenigen wendet, welche den
Grund der Billigung der Tugend nur im Ver-
stand suchen, doch richtig erkannt, daß das Pflicht-
gefühl nicht etwas Urwüchsiges, Autonomes ist,
sondern von außen her durch das Gesetz in den
Menschen hineingetragen wird und in der An-
erkennung und dem Gehorsam gegen dieses besteht;
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