Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Maß des Werts aller Waren. Der Warenpreis 
nun setzt sich zusammen aus Arbeitslohn, Unter- 
nehmergewinn und Grundrente. Diese bilden die 
Produktionskosten, und der Preis muß ebenso hoch 
sein, daß alle an der Produktion Beteiligten ihr 
entsprechendes Entgelt als Einkommen erhalten. 
Dieses Einkommen ist, je nachdem der Anteil an 
der Produktion in Arbeitsleistung, in Lieferung 
des Kapitals oder in Hergabe des Bodens besteht, 
Lohn, Zins oder Rente. Alle drei schwanken, und 
dementsprechend auch der Preis. Der durchschnitt- 
liche Lohn hängt ab von dem Fortschritt, Still- 
stand oder Rückgang des Volksreichtums, von An- 
gebot und Nachfrage der Arbeitskräfte, die im 
Arbeitsvertrag zum Ausdruck kommen, und inner- 
halb der einzelnen Beschäftigungsarten von deren 
Vorzügen und Nachteilen. Es gibt jedoch eine 
Grenze, unter die der Lohn dauernd nicht sinken 
kann: er muß mindestens so hoch sein, daß vom 
Arbeitsverdienst des Mannes und der Frau außer 
ihnen selbst noch vier Kinder leben können; denn 
da die Hälfte der Arbeiterkinder in den ersten 
Lebensjahren stirbt, so müssen von jedem Ehepaar 
durchschnittlich mindestens vier Kinder erzeugt 
werden, wenn die Arbeiterbevölkerung nicht aus- 
sterben soll. Auch die Rente steigt im allgemeinen 
mit dem Wachsen des Nationalreichtums, während 
der Zins die entgegengesetzte Tendenz zeigt. Wäh- 
rend daher das Interesse des Arbeiter= und Grund- 
besitzerstands innig und unlöslich mit dem Inter- 
esse der ganzen Gesellschaft verbunden ist, gilt dies 
keineswegs von den Kapitalbesitzern; ja Smith 
meint, das Interesse des Händlers sei stets von 
dem des Publikums verschieden. 
Diesen Grundsätzen über die Elemente des Wirt- 
schaftslebens entspricht nun bei Smith, da für ihn 
die ökonomische Wirtschaft wesentlich Produktion 
ist, die Idee der Produktion. Nicht der Boden, 
wie bei den Physiokraten, ist ihm mehr der Schöpfer 
des Reichtums, sondern die Arbeit, die sich mit den 
von der Erde gebotenen Rohstoffen befaßt und 
durch Gebrauch, Leitung und Verwendung der 
Naturkräfte nützliche Güter schafft. Aber ebenso 
falsch ist nach Smith die (merkantilistische) Ansicht, 
daß die Menge des vorhandenen Gelds den Reich- 
tum der Nation bilde. Obwohl, sagt er, den Be- 
wohnern eines Landes ihr Einkommen meist in 
Geld zufließe, so hänge doch die Größe ihres wirk- 
lichen Einkommens nicht von dem Nennwert der 
Geldsumme ab, sondern von der Gütermasse, die 
damit gekauft werden kann, und ihr Gesamtein- 
kommen bestehe nicht in dem Geld und den Gü- 
tern, sondern nur in diesen; und bei der Gesell- 
schaft sei dies noch klarer als bei den einzelnen. 
Also die Funktion des Gelds ist nur die eines 
Austauschmittels. Wo man daher, zur Verhütung 
der Abnutzung, das Metallgeld umgehen kann, soll 
man es tun (was Smith zu einer Theorie des 
Papiergelds und der Banknoten veranlaßt); doch 
wird das Metallgeld daneben stets notwendig 
bleiben, schon als Wertmesser. Das zirkulierende 
Smith. 
  
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Hartgeld hat (wie jedes, auch das fixe Kapital) 
keinen andern Zweck, als den Verbrauchsvorrat 
des Volks zu erhalten und zu mehren. Aber 
„das große Rad, das die Güter umtreibt, ist von 
den Gütern, die es umtreibt, durchaus verschieden. 
Das Einkommen der Gesellschaft besteht nur in 
diesen Gütern, nicht in dem Rad, das sie um- 
treibt“. Demnach bestimmt auch nicht die Handels- 
bilanz oder der Umstand, ob mehr Geld in das 
Land fließt oder aus ihm wegfließt, den Reichtum 
einer Nation; worauf es ankommt, ist vielmehr 
das Verhältnis zwischen Erzeugung und Ver- 
brauch. Von diesem hängt nämlich die Bildung 
des Kapitals, und vom Kapital wieder die künf- 
tige Gütererzeugung ab, für welche jenes die Roh- 
stoffe und die Subsistenzmittel für die Arbeiter 
herbeischaffen muß. Bei der Erklärung der Ka- 
pitalanhäufung geht Smith von einer falschen 
Unterscheidung von produktiver und unproduktiver 
Arbeit aus (ihm ist nur solche Arbeit produktiv, 
welche körperliche Gegenstände hervorbringt) und 
läßt das Kapital, wenn auch nicht — wie immer 
noch behauptet wird, und wie seine unechten 
Schüler tatsächlich lehrten — entstehen, so doch 
sich vermehren durch Sparsamkeit. Da für Smith 
— womit er den heute in der Nationalökonomie 
herrschenden Kapitalbegriff geschaffen hat — unter 
Kapital solche Güter zu verstehen sind, die zur 
Produktion neuer Güter oder zur Vermehrung 
des eignen Besitzes durch Kaufmannsgeschäfte ver- 
wendet werden, so ist es klar, daß auch nach ihm 
nur die Arbeit das Kapital schaffen kann. Spar- 
samkeit fördert die Aufhäufung des Kapitals in 
den Händen einzelner, führt zu Kapital besitz; 
und sofern der Kapitalismus die Produktivität 
der Arbeit begünstigt, wird dadurch auch das 
Sachkapital vermehrt. Smith drückt sich so aus: 
Die Kapitalgüter würden vom Gewerbefleiß 
geschaffen, aber um Kapital zu werden oder das 
Kapital zu vergrößern, müßten sie gespart und 
angehäuft werden. Dabei sind ihm offenbar die 
beiden Begriffe: Bestand der betreffenden Güter 
und ihr Besitz, durcheinander geraten. Daß er 
es richtig meint, geht aus dem hervor, was er 
über die Rentabilität der verschiedenen Kapital- 
anlagen sagt, wobei er die Landwirtschaft als die 
produktivste Anlage bezeichnet. Reichtum ist ihm 
eben in erster Linie das in Genußmitteln be- 
stehende Jahreserzeugnis, nicht aber das Geld, 
und auch nicht eigentlich derjenige Teil des Ka- 
pitals, welcher die Arbeit nur in ihrer Wirksam- 
keit unterstützt. 
Das ist so ungefähr der Gedankengang der zwei 
grundlegenden Bücher des Wealth of Nations; 
der übrige Teil des Werks beschäftigt sich mit der 
Volkswirtschafts politik, und zwar im großen 
und ganzen mit der Handelspolitik und der Finanz- 
wissenschaft. Es wird nicht nötig sein, hier in 
Einzelheiten einzugehen, die ja zum großen Teil 
von den Tatsachen überholt sind; es wird genügen, 
die leitenden Grundgedanken hervorzuheben. Als 
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