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oberster Grundsatz tritt uns da auf den ersten
Blick „das System der natürlichen Freiheit“ ent-
gegen — ein Ausdruck, der zuerst bei Pufendorf
vorkommt, und den Smith von seinem Lehrer
Hutcheson übernommen hat. Es bedeutet für ihn
die möglichst freie Bewegung des Individuums,
eine Konsequenz seiner philosophischen Anschauung,
daß die gesamte Ordnung der Natur ohne äußern
Eingriff von selbst in aller Zweckmäßigkeit sich er-
gebe: auf das Wirtschaftsleben übertragen, will
das besagen, daß es sich, abgesehen von den
Schranken der Beobachtung der Gerechtigkeit, nach
den Gesetzen des Nützlichen und des Eigeninter-
esses regle — was die Physiokraten in die Formel
Laissez faire, laissez passer gebracht haben.
Also aus seiner Hypothese von der natürlichen Har-
monie folgt auch hier für Smith sein Prinzip der
ökonomischen Freiheit. Jene Harmonie läßt ihn
annehmen, daß der Reichtum der Nation einfach
in der Addition des Besitzes der einzelnen bestehe;
und das führte wieder zur Begünstigung des in-
dividualistischen Eigeninteresses (privat interest),
das nur nicht in die den natürlichen Wirtschafts-
verlauf störende Selbstsucht (selfishness) aus-
arten darf; da der einzelne durch das Eigen-
interesse getrieben wird, seinen Reichtum zu ver-
mehren, so entsteht, wenn man dessen natürliche
Freiheit nicht beschränkt, dadurch von selbst der
Nationalreichtum. Darum ist auch die Privat-
industrie dem staatlichen Betrieb der Wirtschaft
vorzuziehen. Smith sucht dann jene angenommene
Harmonie bis ins Detail zu verfolgen und nach-
zuweisen: der Ackerbau ist an und für sich nütz-
licher als die Industrie, und ohne staatliche Ein-
griffe würden an sich die meisten sich dem Ackerbau
zuwenden bzw. in ihm ihre Mittel anlegen; von
den Arten des Handels wieder hält er den innern
für produktiver als den auswärtigen, und letzteren
für nutzbringender als den Transport zwischen
fremden Ländern — und er ist überzeugt, daß der
Kaufmann, solange er von äußern Einflüssen un-
beeinflußt bleibe, gewissermaßen unwillkürlich
dieser Gemeinnützigkeitsskala entsprechend seine
Kapitalien arbeiten lasse. Alle Beschränkungen und
Begünstigungen schaden nur; und so ergibt sich
als das allein vernünftige das System der natür-
lichen Freiheit von selbst: jedermann muß es frei-
stehen, solange er nur die Gerechtigkeit nicht ver-
letzt, sein eignes Interesse auf seine Weise zu
verfolgen. Gegen alle Faktoren aber, die als
Gegengewicht gegen den Eigennutz zum allgemei-
nen Besten tätig sein wollen, hat er ein unbesieg-
liches Mißtrauen: gegen die Kirchen, denen er
Herrschsucht nachsagt (über die römische Kirche ins-
besondere hat er recht gehässige Anschauungen),
gegen den Staat, wo die Reichen und Vornehmen
übermäßigen Einfluß ausüben und ihn zur Unter-
drückung der Schwächeren gebrauchen, gegen die
gemeinnützigen einzelnen, weil deren Humanität
vielfach nur der Deckmantel egoistischer oder gar
schädlicher Zwecke sei. Der im Staat organisierten
Smith.
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öffentlichen Gewalt liegen daher nur drei Pflichten
ob: „Die erste ist die Verteidigung der Gesellschaft
gegen jeden Akt der Gewalt oder des Angriffs von
seiten anderer unabhängiger Gesellschaften. Die
zweite ist die Schutzpflicht nach dem Grad der
Möglichkeit jedem Mitglied der Gesellschaft gegen-
über zur Abwehr jeder Unterdrückung und Unge-
rechtigkeit seitens anderer Mitglieder oder die
Pflicht, eine genaue und zuverlässige Verwaltung
der Justiz einzurichten. Und die dritte ist die
Pflicht, gewisse öffentliche Werke ins Leben zu
rufen und zu erhalten, sowie gewisse Einrichtungen
zu treffen, welche das Privatinteresse eines ein-
zelnen oder mehrerer einzelnen niemals errichten
oder unterhalten könnte.“ Das wäre also dem
Wesen nach der „Nachtwächterstaat“, über den sich
später Lassalle lustig gemacht hat.
Es ist Smith eigentümlich und gewissermaßen
für ihn sogar charakteristisch, daß er bei aller Ent-
schiedenheit und weitgehenden Schärfe seiner wirt-
schaftspolitischen Grundsätze dieselben stets in einer
höchst gemäßigten und vorsichtigen Form vorträgt,
ja daß er für die Ausführung möglichst schonende
Konzessionen zuläßt und selber vorschlägt. Das gilt
insbesondere hinsichtlich der Handelspolitik. Sein
theoretischer Standpunkt kann selbstverständlich
nur der der Handelsfreiheit unter Ausschluß aller
Zollschranken sein. Da er aber weiß, daß unter
den bestehenden Verhältnissen dessen Durchführung
eine Utopie ist, die vielleicht erst in sehr ferner Zeit
verwirklicht werden kann, so beschränkt er sich dar-
aus, einstweilen nur die Milderung der bestehen-
den, seinen Prinzipien widerstreitenden Gesetze zu
verlangen. Ja er ist so wenig einseitig, daß es
nicht an Stimmen gefehlt hat, die ihn des Ver-
rats an seinen Grundsätzen geziehen haben; wenn
man aber seinen obigen Standpunkt gerecht wür-
digt, der jedem Versuch radikaler und überstürzter
Reformen sich widersetzte, so kann man in Smiths
Stellung als Zollkommissar keine Inkonsequenz
erblicken. In letzter Zeit ringt sich auch immer
mehr die Erkenntnis durch, daß der angebliche
„Vater des Freihandels“ gar kein einseitiger bzw.
radikaler Freihändler gewesen ist. Auch hier ist
eben mit ein paar absoluten Urteilen und Kate-
gorien nichts getan. Selbst die beiden neuesten
Biographien Smiths (beide 1905 erschienen) hal-
ten sich von Ubertreibungen nicht frei; während
es nach Jentsch fast scheinen könnte, als ob Smith
wenigstens praktisch ganz vom Freihandel zurück-
gekommen sei, bemüht sich der Engländer Hirst,
ihn als den Schöpfer der später von Cobden und
seiner Gruppe vertretenen absoluten Freihandels-
lehre nachzuweisen — ihn, der die Navigations-
akte billigte! Die Fragestellung kann gar nicht
sein: Freihändler oder Protektionist? sondern nur:
radikaler oder gemäßigter Freihändler? Der Aus-
druck Freetrade ist eben ziemlich vieldeutig. Smith
fiel es gar nicht ein, sich den Radikalismus des
späteren Manchestertums und des von d'Argen-
son geführten Flügels der Physiokraten anzueignen