Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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eigentlich schon gegeben. Schon bei Smith findet 
sich der Gedanke: Jede Tiergattung vermehrt sich 
im Verhältnis zu ihren Unterhaltsmitteln und 
kann sich nicht darüber hinaus vermehren. In 
einer zivilisierten Gesellschaft unterliegen jedoch 
nur die unteren Klassen diesem Gesetz. Wenn der 
Arbeitslohn unter das Maß dessen sänke, was zur 
Befriedigung der Nachfrage nach Arbeitern er- 
fordert wird, so würde diese Nachfrage nach Hän- 
den ihn erhöhen; und wenn er dauernd höher 
stiege, so würde ihn die übermäßige Vermehrung 
der Arbeiterbevölkerung wieder hinabdrücken. „Wie 
reichliche Belohnung der Arbeit die Wirkung zu- 
nehmenden Volkswohlstands ist, so ist sie auch 
dessen Kennzeichen. Dürftiges Einkommen der 
Arbeitermasse ist das Kennzeichen der Stagna- 
tion und Hungerelend das Zeichen des Rückgangs." 
Wie wenig ihn die persönliche Wohlfahrt des Ar- 
beiterstands berührte, zeigt die charakteristische 
Tatsache, daß er ganz unbefangen die Frage er- 
örtert: 
„Muß der Eintritt einer Verbesserung der Lage 
der unteren Volksklassen als ein Vorteil oder als 
ein Schaden für die Gesellschaft angesehen werden? 
Auf den ersten Blick scheint die Frage äußerst einfach. 
Gefinde, Lohnarbeiter und Handwerker jeder Art 
machen den größten Teil der Bevölkerung jedes 
Staats aus. Kann man nun jemals als einen Nach- 
teil für das Ganze ansehen, was die Lage des grö- 
ßeren Teils bessert? Wie könnte ein Gemeinwesen 
glücklich und wohlhabend sein, wenn die Mehrzahl 
seiner Glieder zu Armut und Elend verurteilt wäre? 
Zudem ist es billig, daß diejenigen, welche den ge- 
samten Körper der Nation mit Nahrung, Kleidung 
und Wohnung versehen, von dem Ertrag ihrer 
Arbeit so viel bekommen, daß sie selbst leidlich 
Frnä , gekleidet und wohnlich untergebracht 
nd.“ 
Smith sagt das nicht aus hartherziger Gefühl- 
losigkeit, sondern weil für ihn das Ganze der 
Nation nur eine leere Abstraktion ist, die ihn ver- 
hindert, zu erkennen, daß das persönliche Wohl- 
befinden wichtiger ist als die Vermehrung der 
Sachgüter. Nicht mit Unrecht hat man im Hin- 
blick auf jene Scheu vor unerschrockenem Blick in 
die Abgründe des Menschenlebens an Smiths 
großem Werke einen „Anstrich schwungloser Phi- 
listerhaftigkeit“ gefunden. Wie sollte auch bei der 
Idee, daß die Welt dann am besten fährt, wenn 
jeder nur für sich selbst sorgt, Begeisterung auf- 
kommen! Am meisten freilich haben dem Andenken 
Smiths seine Schüler geschadet, oder vielmehr 
diejenigen, welche sich mit Unrecht seine Schüler 
nannten. Sie haben seine Lehre von der ökonomi- 
schen Freiheit zu dem öd-mechanischen Laissez 
aller, laissez passer herabgewürdigt; sie haben 
seine, in ihrem Wesen freilich falsche Kapital- 
theorie, die ohnehin durch das verkehrte Spar- 
prinzip einem ungesunden ÜUberwuchern des (histo- 
risch natürlich an sich notwendigen) Kapitalismus 
Vorschub zu leisten geeignet war, für die Zwecke 
des Manchestertums skrupellos ausgebeutet; sie 
Smith. 
  
  
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haben, wie die Schule Ricardos, seine Kritik des 
Agrikultursystems zu der Ungeheuerlichkeit über- 
trieben, daß die Natur unproduktiv, das Kapital 
allein produktiv sei, daß also der Volkswohlstand 
einzig auf den Kapitalisten beruhe, und die Ar- 
beiter nur als Arbeitswerkzeuge zu gelten haben; 
sie haben seine Erörterungen über die Faktoren des 
Lohns, den er durch das Verhältnis zwischen dem 
Angebot von Arbeitskräften und der Höhe des deren 
Leistungen heischenden Kapitals unter Außeracht- 
lassung der produktiven und namentlich der ethischen 
Macht der Arbeit reguliert werden läßt, zu dem 
Widersinn eines „ehernen Lohngesetzes“ gesteigert, 
das den Klassenkampf notwendig erzeugen mußte. 
Am wenigsten können die Sozialisten sich rühmen, 
die Kinder seines Geistes zu sein, dem das eigent- 
lich soziale Empfinden ganz abging; und doch ist 
nicht zu leugnen, daß seine Werttheorie, die den 
Tauschwert der Waren auf die Arbeit zurückführt 
und den Arbeiter dem Rohstoffe einen Wert zu- 
setzen läßt, aus dem der Kapitalist seinen Profit 
ziehe, die Keime enthält, aus der auf dem Weg 
über Ricardo unter der Hand Karl Marx die so- 
zialistische Mehrwerttheorie geworden ist — man 
beachte nur, wie eingehend Marx im „Kapital"“ 
sowohl wie in den „Theorien über den Mehrwert"“ 
sich mit Smith beschäftigt; daß Smith ökonomi- 
scher Materialismus die materialistische Geschichts- 
auffassung des Marxismus erzeugen mußte, ist 
bereits erwähnt worden. — So stehen bei Smith 
großen Vorzügen ebenso große Fehler gegenüber, 
die aber in der Hauptsache die Fehler seiner Zeit 
waren. „Gleichwohl“, so sagt Roscher, die Be- 
urteilung des Mannes und seiner Leistungen ab- 
schließend, „dürfte es in der Geschichte überhaupt 
wenig Beispiele geben, wo eine ganze Wissenschaft 
durch einen Mann und ein Buch desselben in so 
kurzer Zeit einen so großen und nachhaltigen Fort- 
schritt gemacht hätte wie die Volkswirtschaftslehre 
durch das Hauptwerk Adam Smiths: einen Fort- 
schritt ebenso bedeutsam für den Umfang wie für 
die Tiefe, für die Methode wie für das System, 
für das Ganze wie für das einzelne, für die Theo- 
rie wie für die Praxis der Wissenschaft.“ Worin 
dieses Verdienst im wesentlichen liegt, das drückt 
Eisenhart in seiner Geschichte der Nationalökono- 
mik so aus: 
„Wenn von diesem einzigen Werk eine bildende 
Kraft wie in dichten Lichtstrahlen für die Umge- 
staltung der Wissenschaft und des Lebens ausge- 
gangen ist, so wird man diese Erscheinung zum 
großen Teil in der glücklichen Begründung eines 
populären Prinzips zu suchen haben, mit der es sich 
nunmehr zum planmäßigen, gemeinverständlichen 
Vorkämpfer der Aufklärung und Freiheit macht; 
zum andern aber ebenso in der erschöpfenden Voll- 
ständigkeit, mit der es zum erstenmal alle Teile 
seines Gebiets umspannt, mit seinen Prinzipien 
durchleuchtet und in finnlicher Anschaulichkeit zu 
einem überzeugenden Ganzen verknüpft. So hat es 
seinem Urheber zugleich den Ruhm des eigentlichen 
Vaters der Wissenschaft begründet, mit dem sie aus
	        
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