Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1211 Souveränität, 
unteren Volksschichten seiner und der folgenden 
Zeit den größten Einfluß übten, in seinem Contrat 
social (1762) entwickelte, hat in vielen Staaten 
die Fürstensouveränität ihren Höhepunkt 
erreicht. Die Vorstellung vom souveränen Herr- 
scherrecht, dem jedes Recht der Untertanen zu 
weichen habe, hat die staatliche Einheit in 
Preußen und Osterreich vollendet. 
Der erste, der den Gedanken der Staatspersön- 
lichkeit und demgemäß der Staatssouveränität 
zu erfassen wußte, war Friedrich d. Gr. Erge- 
braucht (in seinem „Antimachiavel") das Bild des 
menschlichen Körpers, wodurch die organische Auf- 
fassung des Staats klar zu Tage tritt. Der Körper 
ist der Staatskörper, mit dem der Fürst unlöslich 
verbunden ist. Der souveräne Fürst ist das Haupt 
dieses Staatskörpers. Der Staat gehört nicht dem 
Monarchen, sondern dieser steht im Staat, 
dessen Organ er ist. 
In alten deutschen Reich besaßen weder 
der Kaiser noch die Landesherren die volle mon- 
archische Machtfülle. Zwar bezeichnete der franzö- 
sische Entwurf der westfälischen Friedens- 
urkunde von 1648 die landesherrliche 
Gewalt als souverainets, was die Ur- 
kunde selbst mit jus territoril et superioritatis 
wiedergab. Die deutschen Staaten wurden zwar 
ferner durch das Bündnisrecht zu europäjischen 
Mächten mit eigner völkerrechtlicher Persönlichkeit. 
Allein die Beziehungen dieser Einzelstaaten zum 
Reich waren sehr schwierig juristisch zu erfassen 
und über ihre rechtliche Natur herrschten sehr ver- 
schiedene Meinungen. Diekaiserlichen Publi- 
zisten hielten an der historischen Souveränität 
des Kaisers fest und wollten den Reichsständen 
nur die ihnen erweislich gebührenden Rechte zu- 
gestehen. Demgegenüber erklärte Hippolithus 
a Lapide (De ratione status in imperio 
nostro R-G. 1647) das Reich für eine souveräne 
Fürstenaristokratie und die Gesamtheit der Reichs- 
stände für den wahren Träger der Staatsgewalt. 
Jedenfalls war die Territorialgewalt eine wirkliche 
Staatsgewalt, ein Imperium (,jeder Fürst ist 
Kaiser in seinem Land“), aber dieses Imperium 
war ein vom Reich abgeleitetes, lehnbares, unter 
Umständen entziehbares. Erst die Auflösung 
des alten Reichs und die Gründung des 
Rheinbunds im Jahr 1806 brachte den deut- 
schen Staaten die volle Souveränität 
und die Rheinbundsakte erklären als Souveräni- 
tätsrechte die Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, hohe 
Polizei. Militäraushebung und Besteuerung. Alle 
nicht in dem Rheinbund aufgenommenen kleineren 
Staaten und Städte wurden der Souveränität der 
Rheinbundstaaten unterworfen. Diese Staaten be- 
gannen nun kraft der ihnen eingeräumten Souve- 
ränität eine völlige Neuorganisation. Die land- 
ständischen Rechte wurden beseitigt und teils durch 
ein absolutes Regiment teils durch einen bloßen 
Scheinkonstitutionalismus ersetzt. Die Befreiungs- 
kriege fegten das napoleonische Reich hinweg; diese 
  
staatsrechtliche. 1212 
Kriege hatten dann das Versprechen des Art. XIII 
der Bundesakte zur Folge, wonach sich die 
Mitglieder des Deutschen Bundes verpflich- 
teten. ihren Ländern Verfassungen zu geben. Es 
galt also jetzt, die zu schaffende Konstitution mit 
den Forderungen der Fürstensouveränität in Ein- 
klang zu bringen. Und hier ist die Verfassung 
Frankreichs unter Ludwig XVIII. für die süd- 
deutschen Staaten vorbildlich geworden. Diese ist 
beherrscht von dem Gedanken, daß der König aus 
seiner königlichen Machtvollkommenheit dem Volk 
eine Verfassung gebe; dabei vereinigt aber der 
König in seiner Person die ganze öffentliche Ge- 
walt, nur an ihrer Ausübung gewährt der König 
dem Volk einen Anteil. Dieses monarchische 
Prinzip beherrscht auch die Verfassungen der 
deutschen Staaten, aus ihm resultiert die 
Lehre von dem eignen Recht des Monarchen auf 
die Herrschaft. So lautet z. B. Tit. II, § 1 der 
bayrischen Verfassung vom 26. Mai 1818: „Der 
König ist das Oberhaupt des Staats, vereinigt 
in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie 
unter den von ihm gegebenen, in der gegenwärti- 
gen Verfassungsurkunde festgesetzten Bedingungen 
aus.“ Fast wörtlich so lauten die Verfassungen 
Württembergs, Sachsens, Badens, Hessens. Den 
gleichen Gedanken drückt die preußische Verfassung 
aus. Dieser Grundsatz, daß „die gesamte Staats- 
gewalt im Oberhaupt des Staats vereinigt bleiben 
muß“, ist auch im Art. 57 der Wiener Schlußakte 
vom 15. Mai 1820 ausgesprochen. Nach diesem 
die Verfassungen der deutschen Staaten (mit Aus- 
nahme der Hansestädte) beherrschenden monarchi- 
schen Prinzip sind alle Rechte der Staatsgewalt in 
der Person des Monarchen vereinigt, geht jedes 
staatliche Recht und jede staatliche Pflicht in letzter 
Linie auf die Person des Monarchen zurück. 
III. Herrschende Ausicht über die Sou- 
veränität. Die Auffassung der Souveränität hat 
die verschiedensten Ansichten in der Staatsrechts- 
literatur gezeitigt. Es wurden da vielfach die 
drei verschiedenen Bedeutungen der Souveränität 
als Eigenschaft der Staatsgewalt, als Rechtsstel- 
lung des höchsten Staatsorgans und als Staats- 
gewalt durcheinandergeworfen. Wie sehr die patri- 
monialen Gedanken noch bei Staatsrechtslehrern 
des 19. Jahrh. nachwirken, zeigen die Ausfüh- 
rungen Maurenbrechers (Die regierenden 
Fürsten u. die Souveränität (1839) 167), „daß 
die Souveränität in der Erbmonarchie das reine 
Privatrecht (Eigentum, Teil des Patrimoniums) 
der Fürsten sein soll“. Den richtigen Weg hat 
erst Gerber in seinem Werk „Grundzüge eines 
Systems des deutschen Staatsrechts“ (1865, 
*1880) gewiesen, indem er erklärt, daß Souve- 
ränität nicht selbst Staatsgewalt sei, 
sondern nur eine Eigenschaft der voll- 
kommenen Staatsgewalk bezeichne, und 
hinzufügt: „Die Ausdrücke „Fürstensouveränität, 
Volkssouveränität, Nationalsouveränität" sind nur 
Stichworte für verschiedene politische Bestrebungen. 
 
	        
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