Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1223 Souveränität, 
dessen die Person des Monarchen gemeinsam ist. 
Die Staaten einer Realunion sind aber im Rechts- 
sinn voneinander unabhängig, ihre Souveränität 
wird durch die Vereinbarung zwischen ihnen nicht 
berührt, da ja kein über ihnen stehender Ober- 
staat geschaffen wird. Die Realunion ist daher 
eine völkerrechtliche Verbindung, wenn auch die 
unierten Staaten nach außen als Gesamtmacht 
auftreten. In Osterreich-Ungarn sind den beiden 
unierten Staaten außer der Dynastie auch ein 
umfangreiches und bedeutungsvolles Gebiet staat- 
licher Tätigkeit (Verwaltung der auswärtigen An- 
gelegenheiten, des gemeinsamen Kriegs= und 
Finanzwesens) gemeinsam. So hat diese Real- 
union im gemeinsamen Monarchen die Einheit 
ihrer völkerrechtlichen Persönlichkeit; außerhalb 
des Kreises der erwähnten gemeinsamen Ange- 
legenheiten besitzt der Einzelstaat eine gewisse 
völkerrechtliche Handlungsfähigkeit (Handelspolitik, 
konsularische Vertretung usw.). Die seit 1814 be- 
stehende Realunion zwischen Schweden und Nor- 
wegen wurde durch die ÜUbereinkunft zu Karlstad 
vom 26. Okt. 1905 gelöst. 
3. Der Staatenbund. Der Staatenbund 
ist eine dauernde Verbindung unabhängiger Staa- 
ten mit dauernden gemeinsamen Organen. Recht- 
lich bleibt die Souveränität der im Staaten- 
bund vereinigten Staaten bestehen, sie üben zum 
Zweck der Erhaltung ihrer Souveränität gewisse 
Funktionen auf dem Gebiet der völkerrechtlichen 
Beziehungen zu andern Staaten nur gemein- 
sam aus. Da ihre Souveränität bestehen bleibt, 
so sind die einzelnen Gliedstaaten, nicht aber der 
Bund völkerrechtliches Rechtssubjekt, wenn auch 
daneben dem Bund selbst die völkerrechtliche 
Rechts= und Handlungsfähigkeit in einzelnen Be- 
ziehungen eingeräumt sein kann. Die Verwaltung 
der Bundesangelegenheiten kann einem Präsidium, 
einer Vereinsgewalt übertragen sein, doch ist diese 
Präsidialgewalt keine Staatsgewalt, da sie kein 
Imperium über die Staaten des Bundes hat. 
So war der deutsche Bund von 1815 bis 1866 
ein Staatenbund, der das Prinzip der Sou- 
veränität der Gliedstaaten auch rechtlich anerkannte. 
Der Artikel 113 der Bundesakte von 1815 beließ 
den Bundesgliedern das Recht der Bündnisse aller 
Art, sie mußten sich aber verpflichten, „keine Ver- 
bindung einzugehen, welche gegen die Sicherheit 
des Bundes oder einzelner Bundesstaaten gerichtet 
sind“. Daneben hatte der Bund aktives und pas- 
sives Gesandtschaftsrecht, sowie das Recht, Bünd- 
nisse und andere Verträge zu schließen. 
4. Über die Souveränität im Bundesstaat 
siehe den vorstehenden Artikel über staatsrechtliche 
Souveränität auf Sp. 1214 f., Nr V. 
5. Die Souveränität in völkerrecht- 
lich begründeten Abhängigkeitsverhält- 
nissen. Die Abhängigkeit eines Staats von 
einem andern kann politischer oder rechtlicher Natur 
sein. Hier kommt nur die rechtliche Abhängigkeit 
in Betracht. Diese selbst kann außerordentlich 
völkerrechtliche. 1224 
mannigfaltig sein. Zur Beurteilung der Rechts- 
natur dieser Abhängigkeitsverhältnisse sind die 
Merkmale des Staats und der Sotuveränität 
heranzuziehen. 
Hierher gehören vor allem die zahlreichen 
Protektorate. Rechtlich ist ein Protektorat ein 
vertragsmäßiges Verhältnis zwischen zwei Staa- 
ten, demgemäß der eine Staat dem andern Schutz 
gegen jedweden Angriff verspricht, wogegen der 
geschützte Staat sein Verhalten dritten Mächten 
gegenüber sich vom schützenden Staat vorschreiben 
lassen muß. Dritte Staaten sind völkerrechtlich 
verpflichtet, dieses Schutzverhältnis zu respektieren. 
Durch das Schutzversprechen wird an sich die Sou- 
veränität des geschützten Staats in keiner Weise 
berührt. Wenn nun der geschützte Staat zu dem 
schützenden Staat in das Verhältnis der Unter- 
ordnung tritt, so verliert er zwar seine Sou- 
veränität, aber dadurch noch nicht seinen Staats- 
charakter; er wird dadurch eben nichtsouveräner 
Schutzstaat. Verbleibt aber dem Schutzstaat trotz 
seiner Verbindung die rechtliche Herrschaft über 
sein Gebiet und sein Volk, so daß dem Beschützer 
nur vertragsmäßige Befugnisse, aber keine eigent- 
liche Herrschaft zusteht, so bleibt der Schutzstaat 
souverän. Ein Beispiel bietet San Marino 
im Verhältnis zu Italien (Verträge vom 2. März 
1872 und 28. Juni 1897). Hierher gehört auch 
das Verhältnis Monacos zu Frankreich. Ob- 
wohl die Verwaltung weitgehend von Frankreich 
beeinflußt wird, ist dieser Staat doch noch sou- 
verän; er besitzt sogar noch das volle Gesandt- 
schafterecht. 
6. Die Souveränität im sog. Staaten- 
staat, Oberstaat mit Unter staaten, die 
sog. Suzeränität. Eine solche Staatenver- 
bindung kann aus den verschiedensten historischen 
Ursachen entstehen. — Dahin zählt vor allem die 
Türkei im Verhältnis zu ihren christlichen und 
mohammedanischen Vassallenstaaten. In diesem 
Staatenverhältnis wird der eine Staat, der sog. 
Unterstaat, der nach weitverbreiteter Ansicht (so 
v. Liszt [Völkerrecht], Boghitchevitch [Halbsouve- 
ränität] u. a.) nur „halbsouverän“", nach der Mei- 
nung anderer Publizisten (so Jellinet u. a.) nicht- 
souverän ist, in bestimmten völkerrechtlichen Be- 
ziehungen durch einen andern Staat, den Oberstaat, 
vertreten. Der Oberstaat wird als Oberherr, als 
Suzerän bezeichnet. Das Wort „suzerän" ist 
wie das Wort „souverän“ französischen Ur- 
sprungs und bezeichnete ursprünglich wie das 
Wort souverain bis ins 17. Jahrh. die höhere 
Gewalt, vor allem das lehnsrechtliche Verhältnis 
von Person zu Person. 
Als Bezeichnung für das Verhältnis von Staat 
zu Staat kommt das Wort „Suzeränität“ erst im 
19. Jahrh. vor, und zwar hier zum erstenmal im 
Vertrag zwischen Rußland und der Türkei, die 
Jonischen Inseln betreffend, vom Jahr 1800, dann 
im Pariser Vertrag von 1814 und im Londoner 
Vertrag von 1827 über Griechenland, sodann 
  
 
	        
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