Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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verlangt und die Vernünftigkeit und Durchführ- 
barkeit einer solchen Organisation nachzuweisen 
sucht. Der Sozialismus ist nur eine Form des 
Kommunismus. Jeder Kommunismus will irgend- 
wie Gemeineigentum (communio bonorum) und 
Gemeinwirtschaft einführen. Von den andern 
kommunistischen Systemen unterscheidet sich der 
Sozialismus dadurch, daß er das Eigentum 
(wenigstens an den Produktivgütern) nicht auf 
die einzelnen selbständig wirtschaftenden Gemein= 
den oder genossenschaftlichen Verbände, sondern 
auf die ganze Gesellschaft — etwa im Umfang 
der heutigen Staaten — übertragen und die Pro- 
duktion durch die ganze Gesellschaft planmäßig 
regeln will. Man gebraucht zwar das Wort So- 
zialismus zuweilen auch in andern Bedeutungen, 
aber immer mit einem Zusatz. So redet man 
von Munizipalsozialismus (Gemeindekommunis- 
mus), Genossenschaftssozialismus. Agrarsozialis= 
mus heißt das System, das nur Grund und Boden 
in irgend einer Form verstaatlichen oder nationali- 
sieren will. Ist aber von Sozialismus einfachhin 
und ohne Zusatzdie Rede, so versteht man darunter 
nach dem herrschenden Sprachgebrauch immer nur 
den oben gekennzeichneten, staatlich zentralisierten 
Sozialismus. Jene Systeme, die das Privateigen- 
tum im wesentlichen erhalten wollen und nur ein 
energisches Eingreifen der Staatsgewalt zugunsten 
der unbemittelten Volksschichten fordern, dürfen 
nicht als sozialistisch bezeichnet werden. Es ist 
deshalb ein verwirrender Mißbrauch der Sprache, 
von katholischem, evangelischem, konservativem usw. 
Sozialismus zu reden. 
Wenn auch sein Name erst im letzten Jahrhun- 
dert in Frankreich in Aufnahme gekommen, ist der 
Sozialismus doch schon eine alte Theorie. Die- 
selbe fand trotz ihrer Haltlosigkeit, welche leiden- 
schaftslosen und klaren Denkern nicht verborgen 
bleiben konnte, immer wieder Anhänger, weil sie 
niemals durch einen in größerem Stil unter- 
nommenen Versuch zu ihrer Durchführung in 
augenfälliger Weise ad absurdum geführt wurde. 
An kleineren Unternehmungen zur Verwirklichung 
solcher Ideen hat es freilich in den meisten Peri- 
oden der geschichtlichen Entwicklung nicht gefehlt. 
Schon das griechische Altertum hatte sozialistische 
Versuche und sozialistische Theorien aufzuweisen, 
die freilich weit hinter dem zurückstehen, was der 
moderne Sozialismus als sein Ideal aufstellt und 
für durchführbar erklärt. Die Verfassung Spartas 
bietet kommunistische Charakterzüge dar. Schon 
nach der Lykurgischen Verfassung mußte jeder 
Spartiate, der das 20. Jahr vollendet hatte, sich 
einer Zeltgenossenschaft anschließen und sich da- 
zu bequemen, mit seinen Genossen gemeinsam seine 
Mahlzeiten einzunehmen; doch mußte jeder Ge- 
nosse seinen Anteil zur Mahlzeit mitbringen. Eine 
spätere Verfassungsreform bildete dann diesen auf 
die Gemeinschaftlichkeit der Lebensweise gerichteten 
Zug noch weiter aus. Die Söhne der Spartiaten- 
familien mußten mit dem siebten Jahr das Eltern- 
Sozialismus. 
  
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haus verlassen, um gemeinsam mit den übrigen 
Knaben und Jünglingen dieses Stamms erzogen 
zu werden. Sie lebten in gemeinsamen Wohn- 
räumen, wurden streng überwacht, dürftig ernährt 
und zu kriegerischer Tüchtigkeit herangebildet. 
Aber auch das war den Gesetzgebern noch nicht 
genügend. Sie bestimmten vielmehr auch, daß 
niemand sich weigern dürfe, eine Frau zu nehmen, 
und trennten die kinderlosen Ehen. Auch die 
Mädchen mußten sich gymnastischen Ubungen 
unterziehen. Wie man sieht, trug also die sparta- 
nische Verfassung ein gewisses kommunistisches Ge- 
präge. Aber gerade das am meisten charakteristische 
Merkmal der sozialistischen Organisationsform, 
die Verstaatlichung der Produktionsmittel und der 
Produktion, fehlte, und zudem bezog sich die so- 
eben geschilderte Gemeinschaftlichkeit des Lebens 
nur auf den herrschenden Stamm; die unter- 
worfenen Bewohner des Landes und die Heloten 
waren von derselben ausgeschlossen. 
Ebensowenig wie die Praxis des spartanischen 
Staats, die bis zur Zeit seines Verfalls in Ubung 
stand, kann das theoretische Staatsideal, welches 
uns Plato in seiner llo)### hinterlassen hat, 
als ein streng sozialistisches bezeichnet werden. Er 
verlangte allerdings, daß der Kriegerstand und der 
Herrscherstand der Philosophen, die sog. Wächter, 
auf die Einzelehe verzichten und sich zur Weiber- 
gemeinschaft entschließen, sowie auch, daß sie dem 
Privateigentum entsagen sollten. Dagegen wird 
von ihm der Stand der Produzenten, welcher den 
beiden obern Ständen die Unterhaltsmittel zu ver- 
schaffen hat, zwar der politischen Befugnisse be- 
raubt, aber auch von den eigentlichen sozialistischen 
Experimenten verschont. Von einer sozialistischen 
Organisation der Produktion im heutigen Sinn 
ist daher auch in Platos Zukunftsstaat nicht die 
ede. 
Ganz mit Unrecht wird auf die ersten Chri- 
sten und auf die jüdische Sekte der Essener als 
auf Beispiele sozialistischer Organisationen hin- 
gewiesen. Die letzteren sind vielmehr als eine Art 
von Vorläufern des christlichen Mönchtums zu 
betrachten. Ebensowenig wie dieses kann ihre In- 
stitution als etwas dem Sozialismus auch nur 
wesentlich Verwandtes angesehen werden. Beide 
beruhen ja auf freiem Entschluß und vereinigen 
eine Anzahl von gleichgesinnten Menschen, welche 
in der Regel eine kleine Elite unter den übrigen 
Individuen bilden, zu einem idealen, geistlichen 
Leben, dessen Endzweck Heiligung und Enthalt- 
samkeit ist. Nur in gewissen Orden und Zeiten 
treten die Mitglieder zugleich selbst Güter produ- 
zierend auf. Meist leben sie von Almosen oder 
vom Ertrag ihrer durch Laien, wenn auch unter 
Aufsicht von einzelnen Ordensgenossen, bewirt- 
schafteten Güter, wenn ihr Vermögen nicht in 
Wertpapieren oder in Schuldtiteln verschiedener 
Art besteht. Von einer zwangsweisen Organisation 
der Gütererzeugung und -verteilung, wie sie der 
Sozialismus bezüglich der Gesamtheit der Be-
	        
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