Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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völkerung anstrebt, kann also in diesen Fällen 
nicht die Rede sein. Auch die Organisation der 
ältesten christlichen Kirche hat mit nichten einen 
sozialistischen Charakter getragen. Bestand doch 
unter den vom Feuer heiliger christlicher Liebe er- 
füllten Gläubigen durchaus keine Gemeinschaft 
des Eigentums, keine gemeinsame Organisation 
der Produktion, und war es doch nur eine Folge 
freien Entschlusses, wenn die Mitglieder der Ge- 
meinde sich zu gemeinschaftlichem Gebrauch ihres 
Einkommens verstanden. Am allerwenigsten kann 
aber davon die Rede sein, daß das Christentum 
der ältesten Zeiten ein allgemeines, seine Anhänger 
zur Gütergemeinschaft und zur Gemeinsamkeit des 
Lebens oder wenigstens der Mahlzeiten u. dgl. 
verpflichtendes Gebot aufgestellt hätte. 
Die unruhigen Tagedesbeginnenden 16. Jahrh., 
die Epoche der Kirchentrennung war es, während 
welcher Thomas Morus seine Utopia verfaßte. 
In origineller, wiederholt nachgeaymter Weise 
(„Staatsromane") übte er Kritik an den gesell- 
schaftlichen Zuständen seiner Zeit, indem er ihr 
das Bild einer erdachten, in mancher Hinsicht 
besseren Gesellschaft vorführte, ohne jedoch die 
Verwirklichung einer sozialistischen Ordnung ernst- 
lich zu wollen. Ungefähr um die nämliche Zeit 
war die Hauptstadt Westfalens der Schauplatz des 
Wütens Johannes Bockelsons und seiner Wieder- 
täufer, welche Güter= und Weibergemeinschaft ein- 
führten, deren Treiben aber bald ein ebenso trau- 
riges Ende nahm wie einige Jahre zuvor dasjenige 
Thomas Münzers und seiner Genossen. Die 
schrecklichen Zustände, zu welchen diese Ausbrüche 
an Wahnsinn grenzender Verblendung führten, 
die grauenvolle Strenge, mit welcher sie unter- 
drückt wurden, ließen an eine Wiederholung sozia- 
listisch-kommunistischer Unternehmungen sobald 
nicht denken. Doch hat auch das 17. Jahrh. theo- 
retische Ausgeburten kommunistischer Träumereien 
gesehen. Die Werke Tommaso Campanellas und 
James Harringtons fallen in diese Zeit. Der er- 
stere, ein aus Neapel stammender Dominikaner, 
war im Herzen katholisch, aber ein verworrener 
Brausekopf. Seine im Jahr 1623 erschienene 
Civitas solis proklamierte eine kommunistische 
Staatsordnung, für deren Verwirklichung er die 
Hilfe der spanischen Monarchie in Anspruch nahm, 
natürlich ohne Erfolg. 
Erst die spätere Zeit des 18. Jahrh. mit seinem 
Reichtum an Umsturzideen und an weltumgestal- 
tenden Plänen brachte nicht nur sozialistische 
Theorien, sondern auch Bestrebungen, welche auf 
deren Verwirklichung ausgingen. Der Franzose 
Morelly vertrat in seiner Basiliade ou nau- 
frage des iles flottantes (1753) und in seinem 
Code de la nature (1755) die extravagantesten 
Anschauungen. Indem er wie Rousseau davon 
ausging, daß die Menschen von Natur gut und 
nur durch die Verkehrtheit der sozialen und ölo- 
nomischen Entwicklung lasterhaft gemacht seien, 
glaubte er, daß durch die Abschaffung des Privat- 
Sozialismus. 
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eigentums und durch die an dessen Stelle tretende 
Gütergemeinschaft die Heilung der bestehenden 
Schäden erreicht werden könnte. Solche und ähn- 
liche Theorien mußten dazumal um so gefährlicher 
wirken, als durch J.-J. Rousseaus Contrat social 
mit seinen Gleichheitsideen und seiner Proklamie- 
rung der Staatsomnipotenz der Boden für die 
gefährlichsten Experimente vorbereitet war. Daher 
konnte es denn nicht anders geschehen, als daß die 
Zeit der französischen Revolution zu sozialistischen 
Versuchen Anlaß gab, die um so mehr Anklang 
fanden, als die revolutionäre Regierung nichts 
Wesentliches zu einer wirklichen Besserung der Lage 
des Arbeiterstandes leistete. Sie hatte durch die 
im Jahr 1791 erfolgte Unterdrückung der Zünfte 
und Innungen nur die Desorganisation in die 
Reihen der Gewerbetreibenden getragen, ohne 
etwas Neues an die Stelle des Abgeschafften zu 
setzen. So fand denn Frangois Babeuf, als er 
#im Jahr 1796 seine geheime Gesellschaft zur Ver- 
wirklichung des Kommunismus gründete und zu 
diesem Behuf eine Verschwörung anzettelte, bereit- 
willige Anhänger. Doch kam es zu keinem ernst- 
lichen praktischen Versuch, da die Verschwörung 
entdelt wurde und ihr Urheber auf dem Schaffot 
endete. 
Die wenigen intelligenteren Köpfe, welche da- 
mals dem Sozialismus huldigten, kamen bald zur 
Einsicht, daß man mit diesem System in der 
primitiven Form, wie es die Kommunisten des 
18. Jahrh. vertreten hatten, denn doch nicht weit 
komme. Eine etwas verständlichere Form des so- 
zialistischen Grundprinzips war notwendig, wenn 
man nicht alle Hoffnung auf eine weiter ausgrei- 
fende Propaganda der darin beschlossenen Ideen 
aufgeben wollte. Da kam den Vertretern dieser 
Ideen von einer Seite Hilfe, von welcher dieselbe 
nicht zu erwarten stand. Ein der höchsten franzö- 
sischen Aristokratie entsprossener Mann, der Graf 
Claude Henri St-Simon, ist es gewesen, der 
ein wirkliches und relativ maßvolles System des 
Sozialismus aufgestellt hat. Eine sorgfältig er- 
zogene und mit Kenntnissen reich ausgestattete 
Persönlichkeit wird nur in den seltensten Fällen 
ein gänzlich brutales System zu dem ihrigen machen 
können. St-Simon hätte vielleicht ein sozialer 
Reformer im guten Sinn werden können, wäre 
er der Schüler eines Le Play statt der eines 
d'Alembert geworden, und hätte er nicht jener 
zum großen Teil innerlich von den berechtigten 
Traditionen des Geburtsadels abgefallenen, aber 
auf den Genuß ihrer Privilegien nicht verzichten- 
den französischen Aristokratie der zweiten Hälfte 
des 18. Jahrh. angehört, welche der Invasion 
der verderblichen neuen Ideen und der darauf 
folgenden politischen Revolution keinen rationellen 
Widerstand entgegenzusetzen wußte, so hochbegabte 
und humane Männer sie auch zu den Ihrigen 
zählte. 
St-Simon hat sein soziales System in der 
Réorganisation de la société européenne 
  
 
	        
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