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und der Landstände ausgeübt wurde. Es gehörte,
solange der Deutsche Bund bestand, die Erledi-
gung der an die Bundesversammlung gerichteten
Petitionen zu deren häufigsten und wichtigsten
Geschäften. Das österreichische Staatsgrund-
gesetz vom 21. Dez. 1867 über die allgemeinen
Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrat ver-
tretenen Länder und Königreiche garantiert in
Art. 11 jedermann das Petitionsrecht. Petitionen
unter einem Gesamtnamen dürfen jedoch nur von
gesetzlich anerkannten Körperschaften oder Vereinen
ausgehen. Nach den einzelnen Landesordnungen
können die Petitionen an die zuständigen ein-
zelnen Landtage oder an den Reichsrat gerichtet
werden. Deputationen dürfen in die Versamm-
lungen der Landtage nicht zugelassen, Bittschriften
dürfen von den Landtagen nur angenommen wer-
den, wenn sie ihnen durch ein Mitglied überreicht
werden. Die Landtage können Anträge stellen
über Gesetze und allgemeine Einrichtungen be-
züglich ihrer besondern Rückwirkung auf das
Wohl des Landes sowie auf Erlassung allgemeiner
Gesetze und Einrichtungen, welche die Bedürfnisse
und die Wohlfahrt des Landes erheischen. Die
Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April
1871 ermächtigt in Art. 23 den Reichstag, inner-
halb der Kompetenz des Reichs Gesetze vorzu-
schlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem
Bundesrat resp. Reichskanzler zu überweisen. In
den Ländern deutscher Zunge steht somit das Pe-
titionsrecht allen Untertanen und Volksvertre-
tungen zu.
Daß das Petitionsrecht der Staatsbürger,
welches in Deutschland als einem Bundesstaat
sich auch an den Kaiser, den Reichskanzler und
den Bundesrat richtet, ein Rechtsinstitut sei, wird
bestritten, weil „bitten“ keine Rechtshandlung sei.
Da dem Begriff des Rechts als derjenigen
Willensnorm, durch welche das Zusammenleben
der Menschen geregelt wird, die Verwirklichung
der dem einzelnen zustehenden, zum Recht er-
hobenen Willensmacht wesentlich ist, so kann aller-
dings in der den einzelnen und Korporationen
gewährten Befugnis, den Ministerien, dem Staats-
oberhaupt oder den Volksvertretungen ihre Wünsche
und Beschwerden vortragen zu dürfen, ein Recht
im subjektiven Sinn nicht gefunden werden, weil
die Verpflichtung der Berücksichtigung dieser Bitten
fehlt. Denn die Gewährleistung des Petitions-
rechts in den Verfassungsurkunden verpflichtet nicht
zur Bescheidung auf die Petition; sie hat nur den
Zweck, jedem Mitglied des Volks die durch die
Verfassung jedem einzelnen gewährte Teilnahme
an der Bewegung im staatlichen und bürgerlichen
Leben zu sichern. Aber durch diesen jede Verfol-
gung und Bestrafung wegen Ausübung des Pe-
titionsrechts ausschließenden verfassungsmäßigen
Schut sowie durch den Schutz, welchen die Volks-
vertretung den einzelnen Untertanen durch die Be-
rücksichtigung ihrer Beschwerden gewähren kann,
wird das Petitionsrecht der Staatsbürger zu einem
Petitionsrecht.
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die bürgerliche Freiheit garantierenden Institut
des öffentlichen Rechts.
Von dem Petitionsrecht verschieden ist das in
einzelnen Verfassungen garantierte Recht jedes
Landesangehörigen, über das seine Interessen be-
nachteiligende verfassungs-, gesetz= oder verord-
nungswidrige Benehmen oder Verfahren einer
öffentlichen Behörde bei der unmittelbar vor-
gesetzten Behörde Beschwerde zu erheben und
solche nötigenfalls bis zur höchsten Instanz zu
verfolgen. Soweit diese Beschwerden sich gegen
Verfügungen wenden, welche von einer Behörde im
bürgerlichen oder Verwaltungsstreitverfahren, im
Straf-oder Disziplinarverfahren ergangen sind und
die prozessuale Stellung des Beschwerdeführers be-
treffen, sind dieselben ein Rechtsmittel und unter-
liegen dem in den Gesetzen über das Verfahren
vor den Gerichten, den Verwaltungsstreitbehörden
sowie den Disziplinarbehörden angeordneten In-
stanzenzug, werden auch durch die Entscheidung
der gesetzlich letzten Instanz endgültig erledigt.
Denn gegen die rechtskräftigen Entscheidungen der
Gerichte, der Verwaltungsstreit= und Disziplinar-
behörden gibt es infolge des Prinzips der Un-
anfechtbarkeit dieser Entscheidungen kein Petitions-
recht. Über die prozeßleitenden Verfügungen der
Gerichte, über die von den Richtern kraft der ihnen
zustehenden Disziplinargewalt getroffenen Anord-
nungen sowie über die Zulässigkeit des Rechts-
wegs entscheiden nach dem deutschen Gerichts-
verfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 die Gerichte.
Beschwerden über verweigerte oder verzögerte Justiz
sowie über zu Ungebühr verfügte Ordnungsstrafen
können somit durch die Gerichte selbst entschieden
werden (vol. Art. Justizverweigerung; Kabinetts-
justiz). Sollte versucht werden, durch landes-
herrliche Verfügung den Lauf der Justiz zu hem-
men, und sollte auf gesetzlichen Wegen ausreichende
Hilfe nicht erlangt werden können, so ist gegen
solche Verfügungen die Beschwerde an den Bun-
desrat zugelassen, welcher durch Art. 77 der Ver-
fassung des Deutschen Reichs verpflichtet ist, er-
wiesene, nach den bestehenden Gesetzen des betref-
fenden Bundesstaats zu beurteilende Beschwerden
über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege an-
zunehmen und darauf die gerichtliche Hilfe bei der
Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß
gegeben hat, zu bewirken. Dieser Schutz gilt auch
für diejenigen Prozeß= und Strafsachen, für
welche reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt
oder zugelassen sind. Die Reichsverfassung ge-
währt die Beschwerde wegen Verweigerung oder
Verzögerung der Justiz uneingeschränkt; nach der
historischen Entwicklung dieses Beschwerderechts
kann aber bei demselben weder an die gerichtliche
Zurückweisung eines Antrags, gegen welche es
Rechtsmittel gibt, noch an die auf der Gesetz-
gebung beruhende Ausschließung des Rechtswegs
gedacht sein, soweit diese Gesetzgebung nicht mit
der dem Landesgesetz vorgehenden Reichsgesetz-
gebung in Widerspruch steht. Gegen den ab-