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doch die Forderung, nicht daß jeder nach seinen
Leistungen entlohnt werde (das würde gegen die
Solidarität und Gleichheit der Menschen unter-
einander verstoßen), sondern daß jeder nach dem
bezahlt werde, was er bedürfe. Man kann sich
wohl vorstellen, wie es in den öffentlichen nach
L. Blancs Ideen errichteten produktiven Unterneh-
mungen hätte zugehen müssen, welche unsagbare
Trägheit unter all den dort zusammengewürfelten
Menschenliebhabern eingerissen wäre, wenn nicht
die Fuchtel des staatlichen Arbeitsvogts Schrecken
eingeflößt hätte!
Louis Blancs Bedeutung ist vielmehr in der
Rolle zu suchen, die er während des Jahrs 1848
spielte. Er befand sich unter denen, die mit Hilfe
der wildesten Demagogen in den Besitz der Staats-
gewalt zu gelangen hofften. Auch ist seinen Ideen
über die Organisation der Arbeit ein Anfang der
Ausführung zuteil geworden, indem alsbald nach
der Februarrevolution die sog. Nationalwerkstätten
eröffnet wurden, deren unglaublich schnelles Fiasko
und alsbaldige Schließung zu dem von der Re-
gierung blutig niedergeschlagenen Pariser Juni-
aufstand des Jahrs 1848 führte. Der unermeß-
liche Abstand zwischen den Resultaten einer soziali-
stischen Produktions= und denen des Privatbetriebs
war hier auf das grellste zutage getreten. Wie
hätte aber auch ein so umfassender Versuch des
nationalen Betriebs der Produktion, wie er mit
der Errichtung dieser Werkstätten gemacht wurde,
von Erfolg gekrönt sein sollen! Wenn nicht einmal
die Produktivgenossenschaften, soweit sie nicht ein
wohl ausgewähltes Elitepersonal in sich vereinigen
und alle zweifelhaften oder minder tüchtigen Ele-
mente von sich fernhalten, prosperieren, obgleich
sie doch nur Arbeiter umfassen, welche sich freiwillig
denselben anschließen und welche von den Mit-
gliedern der Genossenschaft akzeptiert werden, mit-
hin das gehässige Moment des Zwangs nicht vor-
handen ist: wie hätten die Institutionen günstige
Resultate liefern sollen, in denen der erste beste
seinen Platz erhielt und eine Arbeit verrichtete,
deren Resultate der Gemeinschaft und nicht ihm
zugute kamen!
Der Mangel an Interesse an der Arbeit ist
eben der Punkt, an dem jede sozialistische Organi-
sation scheitern muß, selbst wenn es gelänge, die
Menschen unter das Joch der eisernen Disziplin
zu beugen, welche erforderlich ist, um die einzelnen
zur willigen Verrichtung der ihnen zugewiesenen
Arbeit zu vermögen. Wer keinen persönlichen
Gewinn von der ihm überwiesenen Tätigkeit zu
erwarten hat, wird weniger arbeiten als derjenige,
der die Frucht seiner Arbeit einheimsen kann; des-
halb muß in allen größeren Privatunternehmungen
die Überwachung eine so strenge sein. Und für
eine wirksame Aufsicht sorgt der Unternehmer oder
der Direktor oder andere Personen, die am Er-
folg des betreffenden Etablissements unmittelbar
beteiligt sind. Was will man aber von den Unter-
aufsehern öffentlicher Betriebe erwarten, die keine
Sozialismus.
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Aussicht auf nennenswerte Vorteile ihrer Tätig-
keit haben, die unter einer endlosen Hierarchie von
höheren Aussichtsorganen stehen, nicht hoch ent-
lohnt sind und nicht durch die Aussicht auf be-
deutende Gratifikationen für besondere Leistungen
gelockt werden können, weil die Kosten einer der-
artigen öffentlichen Betriebsorganisation ungemein
groß sein müßten? Woher sollte denn das Ge-
meinwesen die dazu notwendigen Mittel nehmen?
Sie sind um so weniger vorhanden, als der Ge-
samtertrag der nationalen Produktion im Sozia-
lismus ohnehin schon dadurch beträchtlich vermin-
dert würde, daß so viele Personen weniger intensiv
arbeiten, nämlich alle, die früher kleine und mitt-
lere selbständige Unternehmer waren. Wer will
denn konstatieren, wieviel ein Individuum arbeiten
kann, namentlich dann, wenn es sich um schwieri-
gere und kompliziertere Aufgaben handelt? Wer
will sich zum Richter darüber aufwerfen, in welchem
Maß die Muskelkraft, die geistige Regsamkeit und
(da, wo es sich um dem Auge wohlgefällige Gegen-
stände handelt) der Erfindungsgeist eines Men-
schen sich über die Grenze der Alltäglichkeit hinaus
steigern lassen und in welchem Grade diese Fak-
toren durch Krankheiten, Abnutzung u. dgl. ab-
nehmen?
Auch das System der Gewinnbeteiligung, das
sich in der heutigen Wirtschaftsordnung nützlich
erweisen kann, muß im sozialistischen Staat ver-
sagen. Die nationale Oberleitung der Produktion
und der Verteilung der Güter, die unerläßlich ist,
wenn nicht die eine Produktionsgruppe auf Kosten
der andern sich bereichern soll, steht dem im Weg.
Es wird nun aber die Belohnung, welche die lei-
tende Zentralbehörde den Mitgliedern der ein-
zelnen Gruppen, Genossenschaften, oder wie man
die verschiedenen Verbände der sozialistischen Or-
ganisation sonst nennen mag, auswerfen würde,
eine im besten Fall ganz willkürliche und schwan-
kende sein. Die obersten Leiter der sozialistischen
Staaten — denn die einheitliche sozialistische Or-
ganisation der gesamten zivilisierten Menschheit
wäre eine bare Unmöglichkeit — würden ja den
Wert der Arbeitsleistungen der verschiedenen
Gruppen gar nicht überblicken, gar nicht richtig
und sachgemäß beurteilen können.
Aber selbst wenn eine derartige richtige Wür-
digung möglich wäre, würde die den tüchtigen
Gruppen zugesprochene Belohnung schwerlich groß
sein. Denn wie sollten die obersten Repräsentanten
der Masse, die ja nicht nur von den hervorragend
tüchtigen, sondern von allen Gliedern der Gesell-
schaft gewählt sein würden, den Mut finden, die
Arbeitsleistungen von notorisch lässig arbeitenden
Gruppen nach Gebühr niedrig zu entlohnen! Der
ganze Sozialismus geht ja, wie wir gesehen, von
der Güte der Menschheit aus. Alle Leute, die Ka-
pitalisten abgerechnet, die sich gegen die sozialisti-
schen Pläne wehren, sind ja im Grund treffliche
Persönlichkeiten, ungeschliffene Edelsteine, aus
denen die sozialistische Erziehung und Sozialord-
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