Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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nung alsbald das Feuer trefflichster Leistungen 
blitzen lassen wird. Wenn also das Volk hie und 
da schlecht arbeitet, so ist das auf Rechnung der 
traurigen, jahrhundertealten körperlichen Ver- 
elendung zu setzen und nicht mit Tadel, sondern 
nur mit Bedauern und Mitleid aufzunehmen. 
Man mag sich drehen und wenden, wie man 
will, es wird nie gelingen, den Beweis zu führen, 
daß die sozialistische Organisationsform der mensch- 
lichen Gesellschaft irgendwie Erfolge der Güter- 
produktion aufweisen könnte, welche auch nur im 
entferntesten denen gleichkämen, die beim Bestand 
des Privateigentums an den Produktionsmitteln 
erzielt werden. Die allfallsigen Ubelstände, die sich 
in der privatkapitalistischen Ordnung leicht ein- 
stellen, können vermieden werden, wenn eine christ- 
liche, auf Grundlage der Gerechtigkeit vorgehende 
Staatsordnung die Schwachen vor Ausbeutung 
schützt, für den Bestand umfassender Wohlfahrts- 
einrichtungen Sorge trägt und, soweit es möglich 
und gerecht ist, den Nachteilen, die mit einer über- 
mäßigen Konkurrenz verbunden sind, Schranken 
zieht. Das ist eine Wahrheit, die sich auch in 
Zukunft stets bewähren muß, solang das Men- 
schengeschlecht bestehen wird. Da es aber viele 
Leute gibt, die nicht zu denken lieben und nur 
durch handgreifliche Tatsachen von irrtümlichen 
Meinungen abgebracht werden können, so kann 
solchen das Beispiel der französischen National- 
werkstätten des Jahrs 1848 mit Nutzen entgegen- 
gehalten werden. 
Endlich ist unter den bedeutenderen sozialistischen 
Theoretikern Frankreichs noch P. J. Proudhon 
(s. d. Art.) zu nennen, der seine Anschauungen be- 
sonders in seinen Werken: Qu'’est-ce due la pro- 
Priété (Par. 1840), De la creation de Tordre 
Sozialismus. 
  
i 
dans l'humanité (ebd. 1843) und Systeme 
des contradictions économiques (ebd. 1846), 
niedergelegt hat. Proudhon hat trotz seines Aus- 
spruchs: „Das Eigentum ist Diebstahl“, seine 
Zugehörigkeit zu den eigentlichen Sozialisten ge- 
leugnet und behauptet, daß er das wohlerworbene 
Eigentum, d. h. das Eigentum, welches der Arbeit 
seinen Ursprung verdankt, nicht antaste. Das ist 
aber nur eine Inkonsequenz. Wenn die Arbeit 
allein die Ursache und der Maßstab des Wertes 
ist, so verdient nur der Arbeiter im engeren Sinn 
eine Entlohnung, und folglich ist der Unternehmer- 
gewinn, ebenso wie der Kapitalzins, gegen den 
Proudhon eifert, und den er allmählich vermindert 
und endlich abgeschafft wissen will, ungerecht. 
Nach Proudhons Anschauungen hat der Unter- 
nehmer nur insoweit ein Recht auf Entschädigung 
seiner Leistungen, als er Arbeiter, wenn auch ein 
solcher in höherem Sinn, ein mit der Leitung eines 
Betriebs Betrauter ist. Eine Schadloshaltung da- 
für, daß er sein Kapital dem Risiko des Verlusts 
aussetzt, hat er nicht zu beanspruchen. 
Wenn man einzig den Arbeitslohn als berech- 
tigtes Einkommen aus der Güterproduktion be- 
trachtet, so ergibt sich mit Notwendigkeit die 
  
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gesellschaftliche, nationale Organisation der Arbeit 
und die Besitznahme der Produktionsmittel durch 
den Staat, oder wie man das mit Zwangsgewalt 
ausgestattete Gemeinwesen sonst nennen mag. An- 
dernfalls bestünde stets die Gefahr, daß diejenigen, 
in deren Händen sich die Produktionsmittel be- 
fänden, willkürlich damit umgingen, unter dem Ti- 
tel der Entschädigung für die Mühen und Arbeiten, 
die ihnen aus der Betriebsleitung erwachsen, sich 
übermäßige Gehalte zubilligten und so den Unter- 
nehmergewinn in indirekter Weise wieder einführten 
oder gar heimlich beträchtliche Teile des Ergeb- 
nisses der Leistungen der untergeordneten Arbeits- 
kräfte für sich auf die Seite schafften. So ist denn 
Proudhon, mag er sich noch so sehr dagegen ver- 
wahren, im Grund Sozialist. Auf seine einseitige 
und vielfach grundlose Kritik des Kapitals werden 
wir hier nicht eingehen, da über diesen Punkt als- 
bald bei der Besprechung der Werke von Karl 
Marx, des hervorragendsten sozialistischen Kapital- 
feinds, die Rede sein wird. 
Bevor wir uns nun aber zu den deutschen So- 
zialisten wenden, haben wir noch einen Engländer 
zu erwähnen. Der englische Sozialismus be- 
sitzt wenige hervorragende theoretische Vertreter, 
wie denn überhaupt die sozialistischen Ideen in 
England erst in den letzten Jahren eine bedeuten- 
dere Ausbreitung gefunden haben. Dennoch ist 
England Zeuge eines merkwürdigen Versuchs zur 
Einführung einer neuen Produktionsordnung ge- 
wesen. Robert Owen (1771/1858) ist von prak- 
tischen Versuchen ausgegangen. Nachdem er die 
Baumwollspinnerei New Lanark erworben und die 
Überzeugung gewonnen hatte, die von dem früheren 
Besitzer gemachten schlechten Geschäfte seien darauf 
zurückzuführen, daß die Arbeiter schlecht bezahlt 
waren und dementsprechend schlecht arbeiteten, be- 
gann er das zu tun, was heutzutage viele indu- 
strielle Unternehmer, namentlich in Frankreich und 
Deutschland, tun: er sorgte für das materielle und 
sittliche Wohl seiner Arbeiter, schuf Wohlfahrts- 
einrichtungen verschiedener Art, gemeinschaftliche 
Mahlzeiten für die Ledigen, Magazine, um die 
Familien mit den notwendigen Lebensmitteln zum 
Selbstkostenpreis zu versehen, gesunde Wohn- 
häuser u. dgl. Das brachte nicht nur den Arbeitern 
materielles Wohlbefinden, sondern auch dem Unter- 
nehmer reichlichen Gewinn. Diese günstigen Er- 
folge und der Beifall, den ihm dieselben, selbst 
von seiten verschiedener Monarchen, eintrugen, 
trieben ihn an, für die von ihm geschaffenen In- 
stitutionen in großem Umfang Propaganda zu 
machen. Er stellte ein förmliches System eines 
patriarchalischen Sozialismus auf, das, auf die 
praktische Betätigung einer religionslosen Sitt- 
lichkeit gegründet, ohne staatlichen Zwang auf dem 
Weg friedlicher Uberzeugung den Kommunismus 
an die Stelle der bisherigen Gesellschaftsordnung 
setzen wollte. In der neuen Organisation soll eine 
große Familie, die der Gemeinde, an die Stelle 
der auf Blutsverwandtschaft beruhenden treten, ge-
	        
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