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privaten internationalen Vereinigung für gesetz-
lichen Arbeiterschutz, welche, 1900 in Paris ge-
gründet, 1901 sich konstituierte und gleichzeitig in
Basel ein internationales Arbeitsamt errichtete.
Das Arbeitsamt, welchem auch seitens verschie-
dener Regierungen, darunter von der deutschen,
finanzielle und moralische Unterstützung gewährt
wird, gibt ein Bulletin (Jena, Fischer) heraus,
das über die Entwicklung der Arbeiterschutz= und
Versicherungsgesetzgebung in den verschiedenen
Staaten fortlaufend unterrichtet, und beruft in-
ternationale Arbeiterschutzkongresse ein. An den
Kongressen der Vereinigung, auf welchen bis-
her unter anderem die Fragen eines allgemeinen
Verbots der Frauennachtarbeit, des Arbeiterschutzes
in Blei= und Phosphorbetrieben, der internatio-
nalen Reglung der Unfallstatistik zur Beratung
standen, nahmen auch Regierungsvertreter teil.
Weitere Abmachungen sollen erfolgen hinsichtlich
der Durchführung der Arbeiterschutzgesetze, der
Kinderarbeit, der Nachtarbeit jugendlicher Arbeiter,
des gesetzlichen Maximalarbeitstags, der Heim-
arbeit, der gewerblichen Giste und der Arbeiter-
versicherung. An die Internationale Vereinigung
waren 1910 angeschlossen die Landessektionen
Deutschland, Osterreich, Ungarn, Frankreich, Bel-
gien, Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen,
Finland, Luxemburg, Italien, Spanien, Groß-
britannien, Schweiz, Vereinigte Staaten von
Amerika. In den beteiligten Kreisen hofft man
auf den baldigen Beitritt der andern Industrie-
staaten in der ganzen Welt, wodurch dann der
Ring von Staaten geschlossen würde, „in dem Re-
gierungen und Landessektionen gemeinsam den
Abschluß von Staatsverträgen zum Schutz der
Arbeiter betreiben, um einen internationalen Aus-
gleich herzustellen und damit zugleich den Fort-
schritt der nationalen Sozialreform zu fördern“.
Die deutsche Sektion dieser Vereinigung, die Ge-
sellschaft für soziale Reform, zählte
Ende 1910 rund 1475 Einzelmitglieder und 252
Korporationen mit rund 1 600#000 Mitgliedern,
darunter namentlich fast sämtliche konfessionellen
Arbeiterverbände sowie die nichtsozialdemokrati-
schen Gewerkschaftsorganisationen (900 000 Mit-
glieder), Verbände kaufmännischer und technischer
Angestellter (620 000 Mitglieder), Angestellte und
Arbeiter in Staatsbetrieben (110 000 Mitglieder);
alle Stände und Klassen, alle politischen Partei-
richtungen, mit Ausnahme der sozialdemokratischen
und der konservativen, haben in der Gesellschaft
ihre Vertretung. Mit Recht erhofft man von einem
solchen Zusammenschluß aller Freunde der So-
zialreform und von deren einmütigem Eintreten
für bestimmte aktuelle Forderungen einen wirk-
samen Einfluß auf die sozialpolitische Tätigkeit
der Gesetzgebungs= und Verwaltungsorgane, Auch
dürfte aus den Beratungen der in 14 Städten
bestehenden Ortsgruppen der Gesellschaft für so-
ziale Reform manche fruchtbare Anregung für die
kommunale Sozialpolitik hervorgehen. In ihren
Sozialpolitik.
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„Schriften“ (Jena, Fischer), von denen bisher 35
Nummern erschienen sind, behandelt die Gesell-
schaft wichtige sozialpolitische Tagesfragen und
sucht dieselben für eine gesetzgeberische Behandlung
vorzubereiten.
Eine Einwirkung auf Gesetzgebung und Ver-
waltung im Sinn fortschreitender Sozialpolitik
erstreben ferner die mannigfaltigsten Berufs= und
Standesvereinigungen, welche indes in erster Linie
und hauptsächlich den Zwecken sozialer und wirt-
schaftlicher Selbsthilfe zu dienen haben. Neben
den Berufs- und Standesvereinigungen hat der
im Jahr 1890 vornehmlich auf Anregung Ludwig
Windthorsts gegründete Volksverein für das
katholische Deutschland auch auf sozial-
politischem Gebiet eine nicht zu unterschätzende
Bedeutung erlangt. Zweck des Vereins ist nach
81 seiner Verbandsstatuten „die Förderung der
christlichen Ordnung in der Gesellschaft, insbe-
sondere die Belehrung des deutschen Volks über
die aus der neuzeitlichen Entwicklung erwach-
senen sozialen Aufgaben und die Schulung zur
praktischen Mitarbeit an der geistigen und
wirtschaftlichen Hebung aller Berufsstände. Der
Verein will zugleich die Angriffe auf die reli-
giösen Grundlagen der Gesellschaft zurückweisen
und die Irrtümer und Umsturzbestrebungen auf
sozialem Gebiet bekämpfen.“ Der Verein kann
zum großen Teil für sich das Verdienst in An-
spruch nehmen, die öffentliche Meinung unter den
deutschen Katholiken aller Stände dauernd für die
Gedanken der Sozialreform gewonnen zu haben.
Das Zusammenwirken aller Stände in diesem
Verein hat, soweit der katholische Volksteil in
Betracht kommt, wesentlich zur Milderung der
Interessengegensätze beigetragen und damit einer
gedeihlichen Sozialpolitik die Wege geebnet. Der
Volksverein für das katholische Deutschland zählte
um die Mitte des Jahrs 1910: 652645 Mit-
glieder in allen Teilen Deutschlands. Die Leitung
des Vereins liegt in den einzelnen Bezirken in den
Händen von etwa 5000 örtlichen und 15 Dihze-
san= oder Landesgeschäftsführern und 50000
Vertrauensmännern; die Spitze der gesamten Or-
ganisation bildet eine im Auftrag des Vorstands
wirkende Zentralstelle in München-Gladbach
(Rheinland). Außer durch Veranstaltung zahl-
reicher, jährlich weit über 3000 Volksversamm-
lungen und von längeren oder kürzeren sozialen
Kursen (zur Ausbildung und Schulung der Be-
amten der Berufsorganisationen für Landwirte,
Handwerker, Kaufleute, Handlungsgehilfen, Leh-
rer, Beamte) hat diese bedeutende Organisation
durcheineaußerordentlichumfangreiche Verbreitung
von Schriften (Flugblätter, Vortragsmaterial,
soziale und apologetische Tagesfragen, soziale, apo-
logetische und gemeinnützige Volksbibliothek, Ein-
zelschriften usw.) an der Erfüllung ihrer sozial-
politischen Aufgabe mit Erfolg gearbeitet. Seit
dem Bestehen des Vereins wurden von diesem ins-
gesamt rund 144 Mill. Schriften und Drucksachen
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