Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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fallende, durch das Wesen des Menschen begrenzte 
Aufgabe seines Daseins nur unter Mitwirkung 
des Volks erfüllen, zu dessen Erhaltung er da ist. 
Die besondere Wichtigkeit des Petitionsrechts liegt 
nicht so sehr in der durch seine Ausübung dem 
einzelnen ermöglichten Teilnahme an der Lösung 
der staatlichen Aufgaben als in der durch dasselbe 
gewährten Kontrolle über die vollziehende und 
oberaussichtliche Tätigkeit der staatlichen Organe. 
Gegen die Statthaftigkeit des Petitionsrechts des 
Staatsangehörigen wird die Möglichkeit des Miß- 
brauchs desselben, insbesondere dessen aufreizende, 
nicht zu berechnende Wirkung geltend gemacht. 
Mit Unrecht. Wo Petitionen große Volksschichten 
ergreifen, sind dieselben in der Regel nicht Ursachen, 
sondern Zeichen vorhandener Übel; sie werden da- 
durch, daß sie deren Heilung in Aussicht stellen 
und die höchsten Behörden oder die Volksvertretung 
zur Verantwortlichkeit mitheranziehen, regel- 
mäßig beruhigend, die öffentliche Meinung klärend, 
die Staatsregierung entlastend wirken. 
Das Petitionsrecht der Volksvertretungen 
wirkt nach zwei Seiten, indem es sowohl die 
Befugnis, von Privatpersonen, Gemeinden, Pro- 
vinzialverbänden und anerkannten Genossenschaften 
Bitten oder Beschwerden entgegenzunehmen und 
solche der Staatsregierung zur geeigneten Berück- 
sichtigung vorzulegen, als auch das Recht umfaßt, 
in Beziehung auf alle Staatsangelegenheiten, ins- 
besondere auf etwaige Mängel oder Mißbräuche 
in der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege, 
Wünsche, Vorstellungen und Beschwerden dem 
Staatsministerium oder auch, soweit dieses ver- 
fassungsmäßig nicht ausgeschlossen ist, dem Staats- 
oberhaupt vorzutragen. Demselben entspricht die 
Gepflogenheit der Staatsregierung, ihre Ent- 
schließung auf die Petition der Volksvertretung 
mitzuteilen. Der einzelne Abgeordnete kann seine 
Wünsche und Anträge nur in seiner Kammer vor- 
tragen, welche sich darüber schlüssig zu machen hat, 
ob sie dieselben in Erwägung ziehen und zur Be- 
rücksichtigung überweisen will. Durch die Befugnis 
der Volksvertretungen, die an sie gelangten Peti- 
tionen den Staatsregierungen zu überweisen, ist 
diesen nach Labands Ausdruck die Stellung eines 
öffentlich-rechtlichen Rügegerichts gegenüber den 
Verwaltungsbehörden eingeräumt. 
Subjekt der Petitionen können einerseits die 
Volksvertretungen, und zwar bei dem Zweikammer- 
system entweder jede Kammer für sich oder nur 
beide Kammern zusammen, anderseits alle Staats- 
angehörigen sein. Unter dieser Voraussetzung be- 
gründen die persönlichen Eigenschaften der Staats- 
angehörigen, wie Alter, Geschlecht, Stand, reli- 
giöses Bekenntnis oder sonstige Verhältnisse, einen 
Unterschied nicht. Die Frage, ob Ausländer ein 
Petitionsrecht hätten, ist zu verneinen, was jedoch 
ein tatsächliches Petitionieren derselben nicht aus- 
schließt. Ist Gegenstand der Petition die Ver- 
letzung individueller Rechte, so ist, von Verfassungs- 
beschränkungen abgesehen, jeder Staatsangehörige, 
Petitionsrecht. 
  
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nicht bloß der Verletzte, zu deren Einreichung be- 
rechtigt, weil die Nichterfüllung der den Behörden 
und Beamten obliegenden Verpflichtungen im In- 
teresse der Staatsregierung vermieden werden muß. 
— Die Petitionen dürfen regelmäßig von ein- 
zelnen oder von mehreren Personen gemeinschaft- 
lich unterschrieben und eingereicht werden. Die- 
selben können geschrieben, gedruckt oder auf andere 
mechanische Weise hergestellt sein; sie müssen 
aber unterschrieben, es müssen insbesondere die 
von mehreren Personen eingereichten Petitionen 
von allen Petenten unterzeichnet sein. Petitionen 
unter einem Gesamtnamen sind nur vereinzelt 
gestattet, in Preußen z. B. nur Behörden und 
Korporationen. Petitionen unter einem Kollektiv= 
namen sind dort, wenn sie von einem einzelnen 
unterschrieben sind, dieser aber nicht durch einen 
der Unterschrift beigefügten Zusatz zu erkennen 
gegeben hat, daß er nicht nur als Beauftragter der 
Gesamtheit, sondern auch für seine Person von 
dem Petitionsrecht Gebrauch machen wolle, unbe- 
rücksichtigt zurückzuweisen. In Bayern müssen 
Kollektivpetitionen von allen Bittstellern unter- 
zeichnet sein, widrigenfalls sie als anonym völlig 
unbeachtet bleiben. Petitionen unter einem Ge- 
samtnamen sind in Oldenburg, Braunschweig, den 
anhaltischen Fürstentümern, in Schwarzburg- 
Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt, 
Reuß, Schaumburg-Lippe, Waldeck, den sächsischen 
Fürstentümern, Hessen, Baden, Sachsen und 
Württemberg unzulässig. Der deutsche Reichstag 
wie das englische Parlament lassen Petitionen 
unter einem Gesamtnamen mit der Unterschrift 
eines Antragstellers ohne weiteren Zusatz zu und 
behandeln sie als Petitionen einzelner, auf die 
Unterschrift die Vermutung stützend, daß der Unter- 
schreibende auch für seine Person hätte petitionieren 
wollen. Das Petitionsrecht haben nicht nur die 
physischen, sondern auch die juristischen Personen 
und staatlich anerkannten Genossenschaften. Wie 
den Organen der Gemeinden, steht auch den Or- 
ganen der Kreise, Regierungsbezirke und Provinzen 
das Petitionsrecht zu, ob ohne Beschränkung auf 
die sie berührenden Angelegenheiten, ist strittig. 
Preußen erkennt es nur innerhalb dieses Rahmens 
an. Den Staatsbeamten steht das Petitionsrecht 
in vollem Umfang zuz dieselben sind Staatsbürger 
und genießen die allen Staatsbürgern zustehenden 
verfassungsmäßigen Rechte. Doch legt die dem 
Staatsoberhaupt geschworene Treue und der den 
Vorgesetzten schuldige Gehorsam den Beamten die 
Pflicht auf, bei der Ausübung des Petitionsrechts 
die Rücksichten der Disziplin nicht außer acht zu 
lassen. Die Personen des Soldatenstands haben 
das Petitionsrecht nur insoweit, als die mili- 
tärischen Gesetze und Disziplinarvorschriften nicht 
entgegenstehen. 
Was den Gegenstand der Petitionen be- 
trifft, so sind in Deutschland zu unterscheiden 
Petitionen an und aus dem Reichstag und Peti- 
tionen innerhalb der Bundesstaaten. Grund-
	        
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