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fallende, durch das Wesen des Menschen begrenzte
Aufgabe seines Daseins nur unter Mitwirkung
des Volks erfüllen, zu dessen Erhaltung er da ist.
Die besondere Wichtigkeit des Petitionsrechts liegt
nicht so sehr in der durch seine Ausübung dem
einzelnen ermöglichten Teilnahme an der Lösung
der staatlichen Aufgaben als in der durch dasselbe
gewährten Kontrolle über die vollziehende und
oberaussichtliche Tätigkeit der staatlichen Organe.
Gegen die Statthaftigkeit des Petitionsrechts des
Staatsangehörigen wird die Möglichkeit des Miß-
brauchs desselben, insbesondere dessen aufreizende,
nicht zu berechnende Wirkung geltend gemacht.
Mit Unrecht. Wo Petitionen große Volksschichten
ergreifen, sind dieselben in der Regel nicht Ursachen,
sondern Zeichen vorhandener Übel; sie werden da-
durch, daß sie deren Heilung in Aussicht stellen
und die höchsten Behörden oder die Volksvertretung
zur Verantwortlichkeit mitheranziehen, regel-
mäßig beruhigend, die öffentliche Meinung klärend,
die Staatsregierung entlastend wirken.
Das Petitionsrecht der Volksvertretungen
wirkt nach zwei Seiten, indem es sowohl die
Befugnis, von Privatpersonen, Gemeinden, Pro-
vinzialverbänden und anerkannten Genossenschaften
Bitten oder Beschwerden entgegenzunehmen und
solche der Staatsregierung zur geeigneten Berück-
sichtigung vorzulegen, als auch das Recht umfaßt,
in Beziehung auf alle Staatsangelegenheiten, ins-
besondere auf etwaige Mängel oder Mißbräuche
in der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege,
Wünsche, Vorstellungen und Beschwerden dem
Staatsministerium oder auch, soweit dieses ver-
fassungsmäßig nicht ausgeschlossen ist, dem Staats-
oberhaupt vorzutragen. Demselben entspricht die
Gepflogenheit der Staatsregierung, ihre Ent-
schließung auf die Petition der Volksvertretung
mitzuteilen. Der einzelne Abgeordnete kann seine
Wünsche und Anträge nur in seiner Kammer vor-
tragen, welche sich darüber schlüssig zu machen hat,
ob sie dieselben in Erwägung ziehen und zur Be-
rücksichtigung überweisen will. Durch die Befugnis
der Volksvertretungen, die an sie gelangten Peti-
tionen den Staatsregierungen zu überweisen, ist
diesen nach Labands Ausdruck die Stellung eines
öffentlich-rechtlichen Rügegerichts gegenüber den
Verwaltungsbehörden eingeräumt.
Subjekt der Petitionen können einerseits die
Volksvertretungen, und zwar bei dem Zweikammer-
system entweder jede Kammer für sich oder nur
beide Kammern zusammen, anderseits alle Staats-
angehörigen sein. Unter dieser Voraussetzung be-
gründen die persönlichen Eigenschaften der Staats-
angehörigen, wie Alter, Geschlecht, Stand, reli-
giöses Bekenntnis oder sonstige Verhältnisse, einen
Unterschied nicht. Die Frage, ob Ausländer ein
Petitionsrecht hätten, ist zu verneinen, was jedoch
ein tatsächliches Petitionieren derselben nicht aus-
schließt. Ist Gegenstand der Petition die Ver-
letzung individueller Rechte, so ist, von Verfassungs-
beschränkungen abgesehen, jeder Staatsangehörige,
Petitionsrecht.
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nicht bloß der Verletzte, zu deren Einreichung be-
rechtigt, weil die Nichterfüllung der den Behörden
und Beamten obliegenden Verpflichtungen im In-
teresse der Staatsregierung vermieden werden muß.
— Die Petitionen dürfen regelmäßig von ein-
zelnen oder von mehreren Personen gemeinschaft-
lich unterschrieben und eingereicht werden. Die-
selben können geschrieben, gedruckt oder auf andere
mechanische Weise hergestellt sein; sie müssen
aber unterschrieben, es müssen insbesondere die
von mehreren Personen eingereichten Petitionen
von allen Petenten unterzeichnet sein. Petitionen
unter einem Gesamtnamen sind nur vereinzelt
gestattet, in Preußen z. B. nur Behörden und
Korporationen. Petitionen unter einem Kollektiv=
namen sind dort, wenn sie von einem einzelnen
unterschrieben sind, dieser aber nicht durch einen
der Unterschrift beigefügten Zusatz zu erkennen
gegeben hat, daß er nicht nur als Beauftragter der
Gesamtheit, sondern auch für seine Person von
dem Petitionsrecht Gebrauch machen wolle, unbe-
rücksichtigt zurückzuweisen. In Bayern müssen
Kollektivpetitionen von allen Bittstellern unter-
zeichnet sein, widrigenfalls sie als anonym völlig
unbeachtet bleiben. Petitionen unter einem Ge-
samtnamen sind in Oldenburg, Braunschweig, den
anhaltischen Fürstentümern, in Schwarzburg-
Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt,
Reuß, Schaumburg-Lippe, Waldeck, den sächsischen
Fürstentümern, Hessen, Baden, Sachsen und
Württemberg unzulässig. Der deutsche Reichstag
wie das englische Parlament lassen Petitionen
unter einem Gesamtnamen mit der Unterschrift
eines Antragstellers ohne weiteren Zusatz zu und
behandeln sie als Petitionen einzelner, auf die
Unterschrift die Vermutung stützend, daß der Unter-
schreibende auch für seine Person hätte petitionieren
wollen. Das Petitionsrecht haben nicht nur die
physischen, sondern auch die juristischen Personen
und staatlich anerkannten Genossenschaften. Wie
den Organen der Gemeinden, steht auch den Or-
ganen der Kreise, Regierungsbezirke und Provinzen
das Petitionsrecht zu, ob ohne Beschränkung auf
die sie berührenden Angelegenheiten, ist strittig.
Preußen erkennt es nur innerhalb dieses Rahmens
an. Den Staatsbeamten steht das Petitionsrecht
in vollem Umfang zuz dieselben sind Staatsbürger
und genießen die allen Staatsbürgern zustehenden
verfassungsmäßigen Rechte. Doch legt die dem
Staatsoberhaupt geschworene Treue und der den
Vorgesetzten schuldige Gehorsam den Beamten die
Pflicht auf, bei der Ausübung des Petitionsrechts
die Rücksichten der Disziplin nicht außer acht zu
lassen. Die Personen des Soldatenstands haben
das Petitionsrecht nur insoweit, als die mili-
tärischen Gesetze und Disziplinarvorschriften nicht
entgegenstehen.
Was den Gegenstand der Petitionen be-
trifft, so sind in Deutschland zu unterscheiden
Petitionen an und aus dem Reichstag und Peti-
tionen innerhalb der Bundesstaaten. Grund-