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der Provinzialvertretung oder von dem 20. Teil
der Wählerschaft vorgeschlagen sein muß.
Die Wahl erfolgt durch relative Mehrheit in
einmaligem Wahlgang. In den Distrikten, wo
nur 1 Abgeordneter zu wählen ist, kann der
Wähler seine Stimme nur einer Person geben;
wenn die Zahl der zu wählenden Abgeordneten
2, 3 oder 4 beträgt, so kann der Wähler die zu
wählende Anzahl weniger eins, bei 5—8 weniger
Gemeinden, Zentralwahlausschuß in Madrid),
zwei, bei 9—10 weniger 3 und bei mehr als 10
weniger 4 wählen. In Wahlkreisen, wo nicht mehr
Kandidaten aufgestellt werden, als zu wählen sind,
gilt die Aufstellung der Wahl gleich. Die Aus-
übung des Wahlrechts ist an die Eintragung in
die Wahllisten gebunden, die alle 10 Jahre ganz
erneuert und alljährlich revidiert und berichtigt
werden. Dem Wahlrecht entspricht die 1907 ein-
geführte Wahlpflicht, kraft der jeder Wähler
an allen in seinem Wahlkreis stattfindenden Wahlen
teilzunehmen hat. Von dieser Verpflichtung sind
befreit die Wähler, die das 70. Lebensjahr über-
schritten haben, der Klerus, die Richter erster In-
stanz in ihrem Amtsbezirk und die Notare in dem
Wahlkreis ihrer Tätigkeit. Der Wähler, der ohne
genügende Entschuldigung bei irgend einer Wahl
seines Distrikts fern bleibt, soll bestraft werden
einmal durch Veröffentlichung seines Namens als
Zensur, weil er unterlassen hat, seine bürgerliche
Pflicht zu erfüllen, ferner durch Belastung mit
2% der von ihm gezahlten Staatssteuer oder, falls
der Wähler Gehalt, Honorar oder Rente vom
Staat, der Provinz oder Gemeinde bezieht, durch
deren Verkürzung um 1% bis zur Beteiligung an
der nächsten Wahl; im Rückfall wird der Wähler
außerdem aller Rechte zur Bekleidung eines öffent-
lichen Amts verlustig, solang er sich nicht an der
Wahl beteiligt. Um ein öffentliches Amt bekleiden
zu dürfen, hat der 25 Jahre alte Bewerber eine
Bescheinigung vorzulegen, daß er bei den letzten
Wahlen von seinem Recht Gebrauch gemacht hat
oder daß er von der Wahlpflicht befreit ist.
Bei den spanischen Wahlenherrschthergebrachter-
maßen bei der unüberwindlichen Gleichgültigkeit
des Volks, gegen welche die Wahlpflicht des Ge-
setzes von 1907 gerichtet ist, und der Abhängigkeit
der Lokalverwaltung von der Zentralregierung die
ausgedehnteste Wahlkorruption, die vielfach die
Wahlen geradezu zu einem Possenspiel herab-
würdigt. Die Wahl hängt fast ganz von der Re-
gierung und dem ihr ergebenen lokalen Wahl-
mechanismus ab; die Regierung überläßt von
vornherein der Opposition ¼ bis ½ der Man-
date und sorgt in der Mehrheit der Wahlkreise für
Ausstellung ihr genehmer Kandidaten, deren Wahl
sie mit Hilfe der Gemeindevorsteher und ange-
sehenen und reichen Anhänger in den einzelnen
Gemeinden, durch Fälschung der Wählerlisten,
durch Einschüchterung oder Kauf der Wähler, durch
Korrektur der betätigten Wahlen usw. durchzusetzen
weiß. Der Bezirke, die der Wahlbeeinflussung
durch die Regierung widerstehen können, sind nur
Spanien.
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wenige, und nur den Karlisten und Republika-
nern gelingt es, eine Anzahl von Mandaten
gegen den Willen der Regierung durchzubringen.
— Um die Freiheit der Wahl gegenüber der
Wahlmache und Willkürherrschaft der Gemeinde-
vorsteher zu schützen und diese Wahlkorruption
zu beseitigen, hat das Wahlgesetz von 1907 ein-
gehende Bestimmungen über die Errichtung von
Wahlausschüssen (in den einzelnen Provinzen und
über deren Zusammensetzung, über den Wahlvor-
gang selbst von der Vorbereitung bis zur Ein-
reichung der Wahlakten, über die Bildung von
Wahlbureaus u. dgl. getroffen; doch haben sich die
letzten Wahlen 1909 fast ganz in der alten Weise
abgespielt. — Die beiden großen Parteien der
Konservativen und Liberalen wechselten bisher
von Zeit zu Zeit in fast selbstverständlicher Weise
und mit einem gewissen gegenseitigen Einverständ-
nis in der Regierung ab, und mit dem Wechsel
im Parteiregiment wurden auch die Gouverneure
in den Provinzen, die Bürgermeister und fast alle
Beamten von den Ministern bis zu den untersten
herab aus der Gefolgschaft neu eingesetzt; so trat
an die Stelle des früheren Absolutismus des
Königtums, dessen Rechte großenteils nur aus dem
Papier stehen, der Absolutismus der Partei, ein
System, das die kleineren Parteien (Karlisten,
Integristen, Unabhängige Katholiken, Republi-
kaner) bisher mit geringem Erfolg bekämpft haben.
An der Spitze der Zentralverwaltung steht
der Ministerrat, diesem zur Seite der Staatsrat.
Die 8 Ministerien sind: das Staatsministerium
(Außeres), die Ministerien für Gnade und Justiz,
für Krieg, Marine, Schatz (Hacienda), Regie-
rung (Inneres), für öffentlichen Unterricht und
schöne Künste, für Ackerbau, Industrie, Handel
und öffentliche Arbeiten. Der Minister des Außern
ist zugleich Minister des königlichen Hauses, die
kirchlichen Angelegenheiten gehören zum Ministe-
rium der Gnade und Justiz, die Posten, Tele-
graphen und das öffentliche Gesundheitswesen zu
dem des Innern. Die Minister können Deputierte
oder Senatoren sein und an den Beratungen
beider Kammern teilnehmen, dürfen aber nur in
der Kammer abstimmen, der sie angehören. Der
Staatsrat besteht aus den 8 Ministern und
den vom König über Vorschlag des Ministerrats
ernannten Mitgliedern; er ist beratende Körper-
schaft der Regierung und Gerichtshof bei Kon-
flikten zwischen Verwaltungs= und Justizbehörden.
Er ist in mehrere Sektionen geteilt; bei bestimmten
Angelegenheiten muß der gesamte Staatsrat ge-
hört werden, sonst genügt die Beratung in der
zuständigen Sektion. Vom Staatsrat zweigt der
oberste Verwaltungsgerichtshof ab, indem ein Teil
der Staatsräte zu Mitgliedern dieses Gerichtshofs
ernannt wird. Eine selbständige Stellung neben
Minister= und Staatsrat nimmt der Reichsrech-
nungshof für die Kontrolle der Verwaltung ein.
Die Provinzial= und Gemeindeverwaltung sind