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sätzlich können Gegenstand der Petitionen alle
öffentlichen Angelegenheiten sein, welche zur Zu-
ständigkeit derjenigen Behörden gehören, an welche
die Petitionen gerichtet sind. An dem Umfang
des Machtbereichs dieser Behörde findet auch der
Inhalt der an die Volksvertretungen gerichteten
und von denselben ausgehenden Petitionen seine
Schranken. Das Petitionsrecht des Reichstags ist
im Art. 23 der Verfassung auf die zur Kompetenz
des Reichs gehörigen Angelegenheiten beschränkt.
Daraus folgt, daß Petitionen, deren Inhalt sich
auf andere als zur Zuständigkeit des Reichs ge-
hörige Gegenstände bezieht, weder an den Reichs-
tag gerichtet noch von diesem dem Bundesrat
resp. Reichskanzler überwiesen werden können.
Beschwerden gegen Reichsbeamte gehören gleich-
falls zur Zuständigkeit des Reichstags. Die Volks-
vertretungen in den Bundesstaaten sind gesetzliche
Organe für die Gesamtheit der Staatsangehörigen.
Als solche sind sie berufen, den Staatsregierungen
gegenüber die Rechte sowohl der einzelnen Staats-
angehörigen als der Gesamtheit derselben geltend
zu machen. Da dieselben ferner das allgemeine
Wohl von Fürst und Volk im Rahmen der Ver-
fassung zu fördern haben, so muß der einzelne
Staatsangehörige die Befugnis haben, seine Ver-
treter auf alle Mängel und Mißbräuche in der Ge-
setzgebung, Staatsverwaltung und Rechtspflegeauf-
merksam zu machen. Die Ansicht, daß das Peti-
tionsrecht sowohl der Stände als des Volks auf
die Bemänglung bestimmter Zustände und Inter-
essen, einer bestimmten Regierungstätigkeit unter
Ausschluß der Einwirkung auf den allgemeinen
Plan der Regierungstätigkeit sowie der Einwir-
kung auf die Verfassung zu beschränken sei, ist
irrig. Die Volksvertretungen der Bundesstaaten
können sich auch mit den zur Kompetenz des Reichs
gehörigen Angelegenheiten beschäftigen, allerdings
nur in der Richtung, daß sie die Regierung ihres
Staats ersuchen, im Sinn der Petition beim
Bundesrat tätig zu sein.
Form ungd geschäftliche Behandlung der Peti-
tionen sind durch die Verfassungen der einzelnen
Staaten und die Geschäftsordnungen der einzelnen
Ständeversammlungem verschieden geregelt. Regel-
mäßig kann eine Bitte jederzeit und in jeder Weise
schriftlich gestellt oder so oft wiederholt werden,
bis sie Erhörung gefunden hat. Im Interesse des
Petenten liegt eine klare Sachdarstellung und
richtige Formulierung des Petitums und die
Unterstützung der tatsächlichen Behauptungen durch
Beifügung etwaiger Beweisstücke. Selbstverständ-
lich bleibt der Bittsteller für das von ihm bei
Geltendmachung des Petitionsrechts begangene
Unrecht den Strafgesetzen gegenüber verantwortlich.
In Petitionen an die Volksvertretungen kann die
Bitte dahin gehen, entweder die Petition der
Staatsregierung zur Berücksichtigung zu über-
weisen oder bestimmten Anträgen der Regierung
oder einzelner Volksvertreter die Zustimmung zu
versagen. In Preußen müssen Petitionen der
Petitionsrecht.
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Kreis= und Provinzialstände erkennen lassen, daß
sie auf den Kreistagen oder Provinziallandtagen
selbst beraten, abgefaßt und von den einzelnen
Mitgliedern vollzogen worden sind. Die Beschluß-
fassung selbst setzt voraus, daß bei der Zusammen-
berufung der Mitglieder bemerkt wird, daß eine
Petition und welche in Vorschlag gebracht werden
soll. Beschwerden enthaltende Petitionen einzelner
Staatsbürger über Verletzung individueller Rechte
oder verfassungsmäßiger Gerechtsame durch das
Verfahren einer Behörde können von der Volksver-
tretung nur berücksichtigt werden, wenn der Bescheid
der Zentralinstanz der Petition beiliegt. Wird nicht
die erfolgte Verfolgung des Instanzenzugs dar-
getan, so sind die Petitionen aus diesem Grund
unerörtert zurückzuweisen. In den deutschen
Staaten ist den Volksvertretungen nur gestattet,
schriftlich eingereichte Petitionen anzunehmen.
Niemand darf den Kammern oder einer derselben
in Person eine Bittschrift oder Adresse überreichen.
Die Adresse ist von der Petition dadurch unter-
schieden, daß sie eine Bitte nicht zu enthalten
braucht. Die Kammern können Deputationen von
Körperschaften nicht empfangen; nur in Bayern
können den Städten Petitionen durch eine Ab-
ordnung von höchstens zehn Personen überbracht
werden.
Die deutsche Reichs verfassung enthält über die
Form der Petitionen keine Bestimmungen; deren
Schriftlichkeit ist jedoch aus den Worten „die an
den Reichstag gerichteten Petitionen“ zu folgern.
Die Überreichung erfolgt regelmäßig durch Über-
sendung der Post oder durch Vermittlung eines
Reichstagsmitglieds. Nur in deutscher Sprache
abgefaßte oder mit einer deutschen Ubersetzung be-
gleitete, in fremder Sprache abgefaßte Petitionen
haben Anspruch auf Berücksichtigung. Die ein-
gegangenen Petitionen werden der Petitions-
kommission oder der Kommission für den
Reichshaushaltsetat, die Geschäftsordnung und
Wahlprüfung oder der für eine Vorlage gewähl-
ten Kommission abgegeben. Petitionen, welche
mit einem Gegenstand in Verbindung stehen,
welcher bereits einer Kommission überwiesen ist,
können dieser Kommission durch Verfügung des
Reichstagspräsidenten überwiesen werden; ist aber
die Petition bereits an die Petitionskommission
abgegeben, so kann die Uberweisung nur auf deren
Antrag erfolgen. Der Inhalt der eingegangenen
Petitionen ist von den Kommissionen allwöchent-
lich durch eine in tabellarischer Form zu fertigende
Zusammenstellung zur Kenntnis der einzelnen
Mitglieder des Reichstags zu bringen. Die
Reihenfolge, in welcher die der Kommission zu-
gewiesenen Petitionen in dieser zur Verhandlung
kommen sollen, wird durch deren Vorsitzenden be-
stimmt. Derselbe hat von dem Gegenstand der
jedesmaligen Verhandlungen dem Reichskanzler
Kenntnis zu geben, damit dieser den Bundesrat
bei der Beratung der Petition vertreten lassen
kann. Denn die Mitglieder des Bundesrats und