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haben neben der Frage der Pfründenbesetzung be-
sonders die vermögensrechtlichen Verhältnisse der
tatholischen Kirche geordnet. Vor 1836 besaß die
Kirche große Reichtümer, deren Wert 1820 auf
3600 Mill. M abgeschätzt wurde; von 1836 ab
wurden alle diese Güter nach und nach eingezogen.
Im Konkordat von 1851 verzichtete die Kirche
auf ihre eingezogenen weltlichen Güter, dafür ver-
pflichtete sich der Staat, jedem Pfarrer ein Haus
mit Garten zu lassen und die Kosten für den
Kultus und den Unterhalt des Klerus aus öffent-
lichen Mitteln zu bestreiten. Die 1851 noch nicht
verkauften Kirchengüter wurden ebenfalls vom
Staat eingezogen, ihr eingeschätzter Wert aber in
unübertragbare Staatspapiere umgewandelt, die
zwar vom Staat verwaltet werden, aber trotzdem
kirchliches Eigentum bleiben sollten. Dazu kam
noch eine Staatsschuld, welche die Regierung für
einen Teil der früher verkauften Güter anerkaunte
und deren Zinsen sie der katholischen Kirche jähr-
lich auszuzahlen versprach. Die Gesamtsumme
dieser jährlichen Einkünfte, die der Staat der
Kirche vertragsgemäß schuldet, beläuft sich ein-
schließlich der Zinsen einiger vom Staat ein-
gezogenen frommen Stiftungen auf 34,012 Mill.
Pesetas; sie stellen den letzten Rest kirchlichen
Eigentums dar. Doch werden diese Zinsen der
Kirche nicht direkt ausgezahlt, sondern vom Staat
einkassiert, der davon das jährliche Kultusbudget
bestreitet. Nach dem Voranschlag für 1910 be-
trägt dieses 41 236 465 Pesetas, doch sind von
dieser nur nominellen Summe an 15% in Ab-
zug zu bringen, da von den Gehältern der Geist-
lichen unter 600 Pesetas 7% , bei denen von
600/2400 Pesetas 15 % und bei den Gehäl-
tern von mehr als 2400 Pesetas 20 % als
(unfreiwilliges) Donativo del Clero („Geschenk
des Klerus“) vom Staat abgezogen werden und
überdies mehr als 12 Mill. Pesetas für den
Unterhalt der Kathedralen, Kirchen, für Amorti-
sation, für Seminare und Bibliotheken, für außer-
ordentliche Reparaturen kirchlicher Gebäude u. dgl.
verwendet werden. Für den Klerus selbst werden
demgemäß nach Abzug der genannten Prozente
nur etwa 24 Mill. Pesetas aufgewandt. Der
Pfarrklerus ist dementsprechend sehr schlecht be-
zahlt (3493 Geistliche bekommen unter 600 Pe-
setas, 4640 Gehälter von 600/800, 6503 solche
von 800/900 Pesetas, ohne Berücksichtigung
des Abzuges; viele Pfarreien haben keine Pfarr-
wohnung trotz des Konkordates) und lebt in drük-
kender Armut; viele Geistliche, namentlich die
nicht geringe Zahl der stellenlosen Priester, sind
gezwungen, landwirtschaftliche Arbeiten zu ver-
richten, um ihr Leben zu fristen. Auch beim
höheren Klerus kann bei den Anforderungen, die
an seine Mildtätigkeit gestellt werden, und bei den
Verpflichtungen, für die Gebäulichkeiten usw. auf-
zukommen, im allgemeinen von Reichtum keine
Rede sein. — Den Ausgaben des Kultusbudgets,
die nur eine geringe, der Kirche zu gute kommende
Spanien.
1310
Verzinsung des früheren kirchlichen Besitzes dar-
stellen, stehen einige kirchliche Einnahmen gegen-
über, die vom Staat nicht für die Zwecke des
katholischen Kultus verwendet werden: die Ein-
nahmen aus der Bula de Cruzada (an 2,67 Mill.
Pesetas), aus der Fastenbulle (an 700 000 Pe-
setas), aus der Generalagentur der Bittgesuche
(150 000 Pesetas), aus der Obra pia de Jeru-
salén, einer großen Stiftung für das Heilige
Land (an 1,8 Mill.), die Einnahmen aus Gaben
für das Heilige Land und aus religiösen Gegen-
ständen, die von dort kommen und von denen der
Staat eine Art Steuer erhebt, die Einnahmen
aus dem religiösen Fonds Italiens und die Ein-
nahmen aus besondern indirekten Steuern (Stempel
für geistliche Gerichtssachen, Gehaltsquittungen,
Ernennungen, Diplome, Steuern von frommen
Stiftungen, wie Meßstiftungen u. dgl.). Der
Staat zieht demgemäß aus seiner Verbindung mit
der katholischen Kirche über seine Ausgaben hin-
aus eine stattliche Einnahme.
An der Spitze der katholischen Kirche Spaniens
steht der Erzbischof von Toledo, Primas von
Spanien. Es bestehen 9 Kirchenprovinzen (Bur-
gos, Granada, Santiago de Compostela, Sara-
gossa, Sevilla, Tarragona, Toledo, Valencia und
Valladolid) mit 46 Suffraganbistümern und 1
exemtes Priorat (Cindad Real) der früheren
Ritterorden unter einem Ordensprior, der den bi-
schöflichen Titel hat. Das britische Gibraltar bildet
ein eignes Bistum (seit Ende 1910). Dem Staat
steht das Patronat über die Kirche und die No-
minierung der Bischöfe und der meisten Dignitäten
zu; dem Papst wurde das Recht eingeräumt, in
allen Metropolitankapiteln und in mehreren bi-
schöflichen Kapiteln die Dignitäten des Kantors,
in den übrigen Kapiteln aber nur ein Ehren-
kanonikat zu verleihen. Die Zahl der Weltpriester
beträgt 33 400, der Ordensleute an 54740
(121.440 Männer, davon an 8000 Priester, 42600
Ordensfrauen). Über die Stellung des Staats zu
den Orden s. oben, Geschichte (Sp. 1297).— Die
Protestanten haben an 200 „Tempel“ und etwa
100 Schulen.
VI. Anterrichk. Das Unterrichtswesen und der
Bildungsstand des spanischen Volks lassen viel zu
wünschen übrig. 1887 betrug die Zahl der An-
alphabeten 68% , 1900 noch 63,78% der Be-
völkerung, namentlich wegen des niedrigen Bil-
dungsniveaus des weiblichen Geschlechts. Am
besten sind die Verhältnisse in den Baskischen Pro-
vinzen, in Katalonien, in Alt= und Neukastilien,
wo selbst in den kleineren Städten von der 11
bis 20 Jahre alten Bevölkerung 85/86 % lesen
und schreiben können, während dieser Prozentsatz
schon in Madrid auf 82,2, in Andalusien bis auf
27,3 fällt (im ganzen Land bei der männlichen
Bevölkerung auf 54,1, bei der weiblichen auf
43% ). Nach dem Schulgesetz von 1857 ist der
öffentliche Volksschulunterricht kostenlos und obli-
gatorisch; auf je 500 Einwohner sollte eine Schule