Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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die Kommissarien desselben können den Kommis- 
sionssitzungen mit beratender Stimme beiwohnen. 
Nach beendeter Kommissionsberatung wählt die 
Kommission, falls sie eine Erörterung im Plenum 
des Reichstags beantragt, aus ihrer Mitte einen 
Berichterstatter, der die Ansichten und Anträge 
der Kommission in einem Bericht zusammenstellt. 
Der Bericht kann schriftlich oder mündlich er- 
stattet werden. Der Reichstagspräsident hat dem- 
nächst die Einbringung der Petition auf die Tages- 
ordnung des Reichstags zu verfügen und den Tag 
der Verhandlung festzustellen. Dasselbe hat zu 
geschehen, wenn die Kommission eine Petition für 
ungeeignet zur Erörterung im Plenum erachtet 
hat, 15 Mitglieder des Reichstags aber deren 
Erörterung im Plenum beantragen. Der Reichs- 
tag kann in diesem Fall die Petition an die 
Petitionskommission zur schriftlichen und münd- 
lichen Berichterstattung zurückverweisen. Der Ver- 
handlungstag im Plenum des Reichstags ist 
der Mittwoch. Die Petitionen werden auf die 
Mittwochstagesordnung in der Reihenfolge ge- 
bracht, in welcher sie zur Verhandlung im Plenum 
vorbereitet sind. Der Reichstag erledigt die im 
Plenum zur Erörterung gelangten Petitionen ent- 
weder durch deren Überweisung an den Reichs- 
kanzler oder durch deren Verwerfung oder durch 
die Unterlassung jeder Diskussion, wenn dem An- 
trag der Kommission, die Petition für nicht ge- 
eignet zur Erörterung im Plenum zu erachten, 
zugestimmt wird. Die Entscheidung des Reichs- 
tags wird den Petenten durch das Reichstags- 
bureau kundgetan. Petitionen, welche in der- 
jenigen Sitzungsperiode, in welcher sie eingereicht 
sind, nicht zur Beschlußfassung gediehen sind, 
gelten für erledigt. Dieselben können in der 
nächsten Sitzungsperiode nicht aufgenommen, son- 
dern müssen neu eingebracht werden. Der Bundes- 
rat hat dem Reichstag eine Übersicht über die von 
ihm bei dessen Wiederzusammentritt über die Peti- 
tionen gefaßten Entschließungen gedruckt zugehen 
zu lassen. Binnen 14 Tagen nach erfolgter Ver- 
teilung dieser Übersicht ist jedes Mitglied des 
Reichstags berechtigt, das Verzeichnis zum Gegen- 
stand von Bemerkungen zu machen, welche sich 
jedoch zu beschränken haben auf den Mangel der 
Erledigung bestimmt anzuführender Punkte und 
auf die Unvollständigkeit der gegebenen Auskunft. 
Diejenigen Beschlüsse des Reichstags, welche durch 
Zustimmung oder Ablehnung des Bundesrats 
ihre Erledigung gefunden haben, dürfen nicht zum 
Gegenstand der Bemerkungen gemacht werden. 
Die Bemerkungen sind dem Präsidenten schriftlich 
einzureichen, der sie dem Reichskanzler mitzuteilen 
und sodann auf die Tagesordnung zu setzen hat. 
Bei der alsdann stattfindenden Verhandlung im 
Plenum ist zwar die Stellung eines Antrags un- 
zulässig, es bleibt aber jedem Reichstagsmitglied 
unbenommen, den Gegenstand in den regelmäßigen 
Formen der Geschäftsordnung (Interpellation oder 
besonderer Antrag) weiter zu verfolgen. 
Petitionsrecht. 
  
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In übereinstimmender Weise ist das Petitions- 
verfahren der Volksvertretungen in den Einzel- 
staaten des Deutschen Reichs geordnet, Bayern, 
Baden und die anhaltischen Fürstentümer aus- 
genommen, in welchen nicht den einzelnen Stände- 
kammern, sondern nur dem Gesamtlandtag das 
Petitionsrecht gewährt ist. Die bayrische Ver- 
fassung bestimmt in Tit. VII, § 19: Die Stände 
haben das Recht, in Beziehung auf alle zu ihrem 
Wirkungskreis gehörigen Gegenstände dem König 
ihre gemeinsamen Wünsche und Anträge in ge- 
eigneter Form vorzubringen. § 20: Jeder Abge- 
ordnete hat das Recht, in Beziehung auf die zum 
Wirkungskreis der Ständeversammlung gehörigen 
Gegenstände seine Wünsche und Anträge in seiner 
Kammer vorzubringen, welche darüber, ob die- 
selben in nähere Uberlegung gezogen werden sollen, 
durch Mehrheit der Stimmen erkennt und sie im 
bejahenden Fall an den betreffenden Ausschuß 
zur Prüfung und Würdigung bringt. Die von 
einer Kammer über solche Anträge gefaßten Be- 
schlüsse müssen der andern Kammer mitgeteilt und 
können erst nach deren Beistimmung dem König 
vorgelegt werden. § 21: Jeder einzelne Staats- 
bürger sowie jede Gemeinde kann Beschwerden 
über Verletzung der konstitutionellen Rechte an 
die Ständeversammlung, und zwar an jede 
der beiden Kammern, bringen, welche sie durch 
den hierüber bestehenden Ausschuß prüft und ge- 
eignetenfalls in Beratung nimmt. Erkennt die 
Kammer durch Stimmenmehrheit die Beschwerde 
für begründet an, so teilt sie ihren diesfalls an 
den König zu erstattenden Antrag der andern 
Kammer mit, welcher, wenn diese demselben bei- 
stimmt, in einer gemeinsamen Vorstellung dem 
König übergeben wird. § 28: Ein Gegenstand, 
über welchen die beiden Kammern sich nicht ver- 
einigen, kann in derselben Sitzung nicht wieder 
zur Beratung gebracht werden. § 29: Die könig- 
liche Entschließung auf die Anträge der Reichs- 
stände erfolgt nicht einzeln, sondern auf alle ver- 
handelten Gegenstände zugleich bei dem Schluß 
der Versammlung. Der Geschäftsgang des Land- 
tags ist durch Gesetz vom 25. Juli 1850 in ähn- 
licher Weise wie für den Reichstag geregelt; nur 
müssen die Kommissionen vor der Berichterstat- 
tung die betreffenden Staatsminister oder Kom- 
missare hören. Berichte und Gutachten, welche 
über Anträge und Beschwerden abzugeben sind, 
sind behufs Beratung schriftlich zu erstatten. Die 
württembergische Verfassung hat den dort 
bestehenden, ständig tagenden Ausschüssen ein 
Petitionsrecht übertragen. Die sächsische Ver- 
fassung hat das Beschwerderecht gegen die oberste 
Staatsbehörde sowie gegen Verfügungen von 
Ministerialdepartements über die Anwendung der 
Gesetze in der Landesverwaltung und Rechtspflege 
jeder Kammer gewährt, insofern sich deshalb nicht 
beide Kammern zu vereinigen vermögen. In 
Hessen ist jeder Kammer gestattet, die höchste 
Regierung von der beabsichtigten Petition oder
	        
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