Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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civium inviolata maneat. Auch Spinozas 
Briefwechsel bietet einiges zur Erläuterung, z. B. 
Nr 50 (nach van Vlotens Zählung) an Jarig 
Jelles über Spinozas Unterschied von Hobbes 
(ogl. auch 30. 42. 43. 73. 76). — Während der 
ältere Tractatus theologico-politicus von den 
Staatsverfassungen nur die Demokratie behan- 
delt, die der Verfasser, in scharfem Gegensatz zu 
Hobbes. als die allein naturgemäße betrachtet (vgl. 
Tr. theol.-pol. 16, p. 558, ed. 1 van Vloten), 
bespricht er im Tractatus politicus ausführlich 
auch die Monarchie und die Aristokratie, letztere 
sogar mit besonderer Vorliebe, und der Abschnitt 
über die Demokratie bricht unvollendet mitten ab. 
Während ferner der theologisch-politische Traktat 
in erster Linie die Verteidigung der Denk= und 
Gewissensfreiheit zur Tendenz hat, berücksichtigt 
der politische Traktat zwar diese Frage; aber fast 
noch wichtiger erscheint es dem Verfasser, zu zeigen, 
wie bei den verschiedenen Staatsverfassungen 
Friede und Sicherheit des Staats gewährleistet 
werden kann (Tr. pol. 5, 2). Ein weiterer Unter- 
schied besteht darin, daß in der Staatslehre des 
Tractatus politicus das juristisch-konstruktive 
Element, welches im theologisch-politischen Traktat 
durch die Vertragstheorie gegeben ist, von flüch- 
tigen Erwähnungen (wie Tr. pol. 4, 9) abgesehen, 
gegenüber dem psychologisch politischen völlig 
zurücktritt. 
1. Recht und Staat. Während die im 
17. Jahrh. übliche Theorie des Naturrechts, wie 
sie z. B. bei Hugo Grotius erscheint, Naturrecht 
und Vernunftrecht gleichsetzt, ist für Spinozas 
Rechtskonstruktion die Trennung beider charakteri- 
stisch. Den oben entwickelten Grundanschauungen 
seines Systems gemäß ist Naturrecht bei ihm 
das vorstaatliche, im Staat nur in modifizierter 
Gestalt verbleibende Recht, das einem Wesen als 
einem Glied der allumfassenden Natur eignet; Ver- 
nunftrecht dagegen ist das Recht der Vernunft- 
organisation des Staats (Tr. pol. 3, 7). 
Vom Naturrecht spricht Spinoza zunächst 
im kollektiven Sinn als dem Recht der alles um- 
fassenden Natur. Wegen der spinozistischen Gleich- 
stellung von Gott und Natur ist dieses Naturrecht 
mit dem unbeschränkten Recht Gottes identisch 
und daher unbeschränkt wie jenes. Auch durch den 
göttlichen Willen erfährt dieses Naturrecht keine 
Einschränkung; denn wenn Spinoza auch sagt, 
daß Gott „frei“ wirke, so bedeutet diese Freiheit 
bei ihm doch nur, daß er ohne Zwang von außen 
nach den ewigen und notwendigen Gesetzen seines 
Wesens wirke; und eine der Natur voraufgehende 
ideale Norm läßt Spinoza, der kein Sollen, son- 
dern nur ein Müssen kennt, nicht zu. Darum geht 
nach ihm das Recht der Natur soweit wie ihre 
Macht. — Dieser Satz wird nun auch von der Ge- 
samtnatur auf das Naturrecht des Individuums 
übertragen. Denn die Kollektivmacht der Natur 
ist nichts anderes als die Summe der allen ein- 
zelnen Individuen zustehende Macht. Darum geht 
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl. 
Spinoza. 
  
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auch bei jedem Individuum sein Naturrecht soweit 
wie seine Macht, wie sein durch seine Natur be- 
stimmtes Vermögen. Das Naturrecht (ius na- 
turae) sind die Gesetze der Natur eines jeden 
Individuums, durch welche dieses von Natur zu 
einer gewissen Daseins-- und Wirkungsweise be- 
stimmt ist. So hat der Vogel ein Recht zum 
Fliegen, der Fisch ein Recht zum Schwimmen, ein 
jedes Wesen zur freien Wesensentfaltung (Tr. 
theol.-pol. 16). 
Das gilt auch vom Menschen. Wäre dieser ein 
bloßes Vernunftwesen, so wäre sein Natur- 
recht ein Vernunftrecht. Aber das Herrschende im 
Menschen sind im allgemeinen seine Affekte, 
sein Begehren. Vom absoluten Standpunkt aus 
betrachtet reicht darum das natürliche Recht des 
Menschen so weit, als sein Begehren geht, oder 
genauer, als er sein Begehren zu verwirklichen die 
Macht hat. Haß und Reid, gewaltsamer Streit 
und heimliche Überlistung sind die natürlichen 
Folgen der nicht von der Vernunft allein geleiteten, 
den Leidenschaften unterworsenen Natur und sind 
daher naturrechtlich keineswegs verboten, sind vom 
Naturstandpunkt aus kein Unrecht. Gegen diesen 
Satz könne man die Religion nicht ins Feld führen; 
denn da Spinoza eine der Natur als ideale sitt- 
liche Norm voraufgehende göttliche Vernunft nicht 
anerkennt, so besteht die Religion, deren wesent- 
lichen Inhalt er in der Gerechtigkeit und der Liebe 
der Menschen zueinander sieht, nach ihm nicht 
schon im natürlichen Zustand des Menschen; die 
Feststellung von Recht und Unrecht, von sittlichen 
Geboten und damit die Begründung der Religion 
soll vielmehr erst ein Erzeugnis der im Staat sich 
vollziehenden, speziell das Wohl des Menschen ins 
Auge fassenden Vernunftreglung sein. Das Na- 
turrecht dagegen sei bestimmt durch das Gesetz der 
Natur, welches nicht speziell dem Menschen, son- 
dern der Ordnung der Allnatur (ordini uni- 
versac naturae: Tr. theol.-pol. 16, p. 562) 
angepaßt ist. Vom Standpunkt der Allnatur aus 
gibt es in der Entwicklung der natürlichen Leiden- 
schaften daher nichts Unrechtes. Wenn uns dies 
absurd erscheinen sollte, so erwidert Spinoza, daß 
alles vermeintlich Absurde in der Natur nur unter 
dem engen menschlichen Gesichtswinkel als absurd 
sich darstelle, vom allumfassenden Standpunkt aus 
aber den Charakter des Übels verliere (Tr. theol.- 
pol. 16, p. 554; Tr. pol. 2, 8). 
Streit und Kampf sind aber in dem nicht aus- 
schließlich von der Vernunft geleiteten natürlichen 
Zustand des Menschen nicht nur durch kein Recht 
verboten, sondern sie sind hier auch notwendig. 
Denn nur in dem vernünftigen Denken stimmen 
die Menschen überein, ihre Leidenschaften und Be- 
gierden dagegen sind individuell verschieden und 
müssen sie entzweien (Tr. theol.-pol. 16, p. 554). 
Kann doch selbst der einzelne nur durch die Ver- 
nunft Übereinstimmung in sein Leben bringen, 
während die Leidenschaften ihn bald hierhin, bald 
dorthin werfen (Eth. 4, 33/35). Darum sind im 
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