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Rechts der Existenz und des damit im engsten Zu-
sammenhang stehenden Rechts der Familie (vgl.
v. Hertling, Kleine Schriften zur Zeitgeschichte und
Politik (1897) 316 ff). Aber Gedanken dieser Art
sind der modernen Welt viel zu fremd geworden,
als daß sie einen maßgebenden Einfluß auf die
Gesetzgebung hätten gewinnen können. Auch wird,
wer im Besitz der Macht ist, in der Regel leichter
bereit sein, Wohltaten zu üben, als Pflichten an-
zuerkennen. Sodann aber läßt sich für einen fer-
neren Umfang sozialpolitischer Maßnahmen, für
die segensreiche, in Deutschland in umfassender
Weise ausgebildete Arbeiterversicherung ein Zu-
sammenhang mit dem Rechtsschutz nur durch eine
verwickelte, durch allerhand Zwischenglieder ver-
laufende Konstruktion herstellen, und sie erscheint
von vornherein viel mehr als eine staatliche Wohl-
fahrtseinrichtung großen Stils. In diesem Sinn
war sie auch vom Fürsten Bismarck gedacht.
In der, wie man annimmt, von ihm selbst her-
rührenden allgemeinen Begründung des ersten
Entwurfs eines Unfallversicherungsgesetzes vom
Jahr 1881 heißt es: „Daß der Staat sich in
höherem Maß als bisher seiner hilfsbedürftigen
Mitglieder annehme, ist nicht bloß eine Pflicht der
Humanität und des Christentums, von welchen
die staatlichen Einrichtungen durchdrungen sein
sollen, sondern auch eine Aufgabe staatserhalten-
der Politik, welche das Ziel zu verfolgen hat,
auch in den besitzlosen Klassen der Bevölkerung,
welche zugleich die zahlreichsten und am wenigsten
unterrichteten sind, die Anschauung zu pflegen,
daß der Staat nicht bloß eine notwendige, sondern
Staat.
auch eine wohltätige Einrichtung sei. Zu dem
Ende müssen sie durch erkennbare direkte Vorteile,
welche ihnen durch gesetzgeberische Maßregeln zu
teil werden, dahin geführt werden, den Staat nicht!
als eine lediglich zum Schutz der besser situierten,
Klassen der Gesellschaft erfundene, sondern als eine
auch ihren Bedürfnissen und Interessen dienende
Institution aufzufassen.“ Und dabei handle es
sich, wie hinzugefügt wird, „nicht um etwas ganz
Neues, sondern nur um eine Weiterentwicklung
der aus der christlichen Gesittung erwachsenen mo-
dernen Staatsidee, nach welcher dem Staat neben
der defensiven, auf den Schutz bestehender Rechte
abzielenden, auch die Aufgabe obliegt, durch zweck-
mäßige Einrichtungen und durch Verwendung der
zu seiner Verfügung stehenden Mittel der Gesamt-
heit das Wohlergehen aller seiner Mitglieder und
namentlich der schwachen und hilfsbedürftigen po-
sitiv zu fördern“ (Stenogr. Bericht 1881, III 228).
Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß
nicht das doktrinäre Bedürfnis einer solchen Weiter-
bildung, sondern die an erster Stelle angedeuteten
realpolitischen Erwägungen bestimmend waren.
In Übereinstimmung damit sagte Bismarck am
18. Mai 1889 im Reichstag: „Wenn wir 700000
kleine Rentner, die vom Reich ihre Renten be-
ziehen, haben gerade aus den Klassen, die sonst
nicht viel zu verlieren haben und bei einer Ver-
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änderung irrtümlich glauben, daß sie viel gewinnen
könnten, so halte ich das für einen außerordent-
lichen Vorteil.“ Das Interesse der besitzlosen
Klasse sollte mit den bestehenden staatlichen Ein-
richtungen verknüpft und dadurch die Macht und
Sicherheit des Staats gesteigert werden. Ubrigens
war der Bruch mit der früheren, durch die Frei-
handelsdoktrin und die einseitige Rechtsstaats-
theorie beeinflußten Politik nicht erst jetzt, sondern
chon bei Gelegenheit der Zollgesetzgebung vom
Jahr 1879 erfolgt. Aber welches auch die für
den ersten Reichskanzler bestimmenden Motive
waren, tatsächlich findet seit jener Zeit in Deutsch-
land die einseitige Rechtsstaatstheorie in der Pu-
blizistik wie im öffentlichen Leben keine ernsthaften
und konsequenten Vertreter mehr.
Kehren wir von dem historischen Exkurs zu
prinzipieller Erörterung zurück, so ergibt sich auf
dem oben eingenommenen Standpunkt das Fol-
gende. Ist der Staat in die sittliche Weltordnung
eingeschlossen, sollen sich die Menschen zum Staat
vereinigen und in staatlicher Vereinigung leben,
weil sie nur so die Menschheitszwecke ausreichend
und in wachsender Vervollkommnung fördern
können, so ist unstreitig der „Wohlfahrtszweck“
von Anfang an mit seinem Begriff verbunden.
Treffend sagt Aristoteles, der Staat entstehe um
des Lebens willen, aber er bestehe um des guten
Lebens willen, und es verschlägt dabei nichts, daß
der griechische Philosoph bei diesem Ausspruch
insbesondere an die sittliche Vervollkommnung der
Bürger denkt, die er dem Staat vindiziert. Ein
Gemeinschaftsleben fordert nicht nur Schranken,
innerhalb deren die einzelnen ihren selbstgesteckten
Zielen ungehindert nachgehen können, sondern
auch gemeinsame Betätigung im allgemeinen
Interesse und positive Förderung dessen, was allen
frommt. Gerade in primitiven Verhältnissen, bei
kleinen Gemeinwesen wird hierüber am wenigsten
ein Zweifel auftauchen. Das Roden der Wälder,
die Austrocknung der Sümpfe, das Eindämmen
der Flüsse werden überall als gemeinsame Auf-
gaben angesehen werden, deren Ausführung der
Oberleitung der Staatsautorität untersteht, ge-
radeso wie Ackerbau und Viehweide in der Weise
geregelt werden, wie es den gemeinsamen Inter-
essen am besten entspricht. Streit entsteht erst,
wenn einzelne Mächtige sich imstande glauben,
Aufgaben, welche aus der Entwicklung des Ge-
meinschaftslebens erwachsen, durch ungehemmte
eigne Tätigkeit und selbstverständlich auch zu
eignem Vorteil ebensogut erfüllen zu können, als
dies durch staatliche, auf das Gemeinwohl an-
gelegte Maßnahmen geschieht. Daß der Staat
mit den Mitteln der Gesamtheit Straßen und
Brücken zu bauen habe, findet bereitwillig Zu-
stimmung, ob er aber Bau und Betrieb der ge-
winnbringenden Eisenbahnen selbst in die Hand
nehmen oder der freien Vereinigung von Kapita-
listen überlassen solle, darüber bestand und besteht
teilweise noch Meinungsverschiedenheit. Darum
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