1383
und dem gesteigerten Aufwand, welchen die Be-
friedigung derselben erheischt, ist eine Konkurrenz
privater Lehranstalten mit den öffentlichen ohne-
hin nur in beschränktem Maß möglich. Daß der
Besuch der Staatsschulen als die beste Vorbereitung
zum Eintritt in den Staatsdienst gilt, auch wenn
kein zwingendes Gebot denselben fordert, gibt den-
selben einen weiten Vorsprung. Aber daraus folgt
nicht, daß der Staat das alleinige Recht zur Er-
teilung von Unterricht besitze. In Konsequenz des
früher Gesagten muß vielmehr auch auf diesem
Gebiet gefordert werden, daß der privaten Ini-
tiative und der freien Betätigung der erforderliche
Spielraum gelassen werde.
VI. Anterschied zwischen Staat und Ge-
meinde. Von den politischen Erörterungen der
letzten Abschnitte kehren wir zum Schluß noch zu
einer Frage der allgemeinen Staatslehre zurück.
Es liegt in der Natur der Sache, daß sich die Re-
flexion zuerst auf den Einheitsstaat gerichtet und
die Theorie sich an diesem entwickelt hat. Dem-
zufolge hat man ausdrücklich oder stillschweigend
das oberste Organ des Gemeinschaftslebens, von
dessen Vorhandensein früher (oben II) der staat-
liche Charakter eines Verbands abhängig gemacht
wurde, als ein schlechthin oberstes angesehen oder
geradezu die Souveränität als das auszeichnende
und entscheidende Merkmal des Staats bezeichnet.
Damit war zugleich die Möglichkeit einer be-
quemen und einleuchtenden Unterscheidung zwischen
Staat und Gemeinde gegeben. Auch die letztere
ist ein naturwüchsiges Gebilde, wie der Staat,
oder vielmehr, da örtliche Zusammengehörigkeit,
welche die Grundlage des Gemeindeverbands
liefert, zugleich der wirksamste Faktor in der Ent-
wicklung der Interessengemeinschaft und des Ge-
meinschaftslebens ist, welche den Staat ausmachen,
so besteht zunächst kein Unterschied zwischen Staat
und Gemeinde, und die Geschichte bezeugt, daß
tatsächlich beide nicht selten zusammengefallen sind.
Eine Differenzierung findet erst statt, wenn eine
Mehrheit von Gemeinden zu einem größeren
Ganzen unter gemeinsamer Obrigkeit zusammen-
wächst, und der Unterschied erweitert sich, wenn
die verschiedenen Gemeinden verschiedene Seiten
der gesellschaftlichen Betätigung repräsentieren und
der Staat somit nicht nur die größte politische
Gemeinschaft darstellt, sondern auch die Gesamt-
heit der innerhalb derselben vorhandenen wirt-
schaftlichen und geistigen Interessen zu vertreten
hat. Das richtige Verhältnis ist alsdann auch
hier, daß der Staat den Gemeinden, eben als
naturwüchsigen, nicht erst von ihm hervorgerufenen
Gebilden eine Sphäre eignen Lebens und selb-
ständiger Verwaltung, wenn auch unter staat-
licher Aufsicht, beläßt; daneben kann er sie als die
gegebenen örtlichen Organe zur Erfüllung spezifisch
staatlicher Aufgaben benutzen. In der einen wie
in der andern Richtung betätigt sich alsdann die
Gemeinde in Abhängigkeit vom Staat, während
der Staat selbst in dieser Betrachtung als unab-
Staat.
1384
hängig, somit als die höchste und souveräne Macht
erscheint. Ein Blick auf die Vereinigten Staaten
von Amerika, auf die schweizerische Eidgenossen-
schaft und auf das Deutsche Reich ergibt jedoch,
daß hier eine Ergänzung oder Richtigstellung ein-
zutreten hat. In allen diesen Fällen umfaßt ein
größerer Verband eine Mehrheit von Gliedern,
so zwar, daß die staatlichen Funktionen zu einem
Teil von dem ersteren, zu einem andern Teil
von den Gliedern ausgeübt werden. Für Deutsch-
land ist diese Verteilung durch die Reichsverfassung
festgelegt. Art. 4 zählt die Angelegenheiten auf,
welche der Beaufssichtigung seitens des Reichs und
der Gesetzgebung desselben unterliegen, bezüglich
deren somit Unabhängigkeit der Glieder nicht be-
steht. Nur blinder Parteifanatismus hat bisher
den deutschen Einzelstaaten den Charakter von
Staaten absprechen wollen, ist jedoch dabei ohne
Zustimmung geblieben. Was Nordamerika be-
trifft, so würde schon der mehr als hundertjährige
Sprachgebrauch gegen eine solche Deutung Ver-
wahrung einlegen. Man wird also anerkennen
müssen, daß die geschichtliche Entwicklung zum
Aufkommen von Gemeinwesen geführt hat, welche
Staaten sind, ohne dabei volle Souveränität zu
besitzen. In der Regel werden es Staaten sein,
welche diese Souveränität einmal, für längere oder
kürzere Zeit, besessen haben, dann aber, da sie in
eine Verbindung miteinander traten, einen Teil
derselben auf das größere und gemeinsame Ganze
übertrugen, so daß also auf den Gebieten, wo die
Oberhoheit dieses letzteren Platz greift, ihre eignen
obersten Organe nur in Abhängigkeit von dem-
selben tätig sind. Hiernach läßt sich der zuvor be-
zeichnete staatsrechtliche Unterschied zwischen Staat
und Gemeinde nicht festhalten, derselbe ist viel-
mehr darin zu erblicken, daß der Gemeinde die
Fähigkeit zum internationalen Verkehr fehlt,
während dieselbe dem Staat zukommt, und zwar
dem abhängigen Gliedstaat ebenso wie dem un-
abhängigen Bund oder Reich oder Oberstaat.
Literatur. Die ältere bei R. v. Mohl, Geschichte
u. Literatur der Staatswissenschaften (3 Bde, 1855
bis 1858); ders., Enzyklopädie der Staatswissen-
schaften (21872); Bluntschli, Lehre vom modernen
Staat (3 Bde, 1/I1 61885/86, III .1876); Born-
hak, Allg. Staatslehre (21909); Rofin, Grundzüge
einer allg. Staatslehre nach den polit. Reden u.
Schriftstücken des Fürsten Bismarck (Separatab-
druck aus: Annalen des Deutschen Reichs 1897);
Seydel, Vorträge aus dem allg. Staatsrecht, in
der Zeitschrift: Annalen des Deutschen Rechts
(1898); Rehm, Allg. Staatslehre, in Marquard-
sen-Seydels Handbuch des öffentl. Rechts, Einlei-
tungsband (1899); R. Schmidt, Allg. Staatslehre,
in Hand= u. Lehrbuch der Staatswissenschaften
(2 Bde, 1901/03); Jellinek, Das Recht des moder-
nen Staats (1: Allg. Staatslehre, 2 1905); Rehm,
Allg. Staatslehre (1907; Sammlung Göschen);
Melamed, Der S. im Wandel der Jahrtausende;
Studien zur Geschichte des Staatsgedankens (1910).
Vom katholischen Standpunkt behandeln die
Lehre vom S. in ihren rechtsphilosophischen oder