Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1397 
des 18. Jahrh. wurden solche Vereinigungen regel- 
mäßig nur in Verbindung mit kriegerischen Unter- 
nehmungen geschlossen. Sie hatten völkerrecht- 
lichen, nicht staatsrechtlichen Charakter. Entscheidend 
für ihren Inhalt war der Eingehungsvertrag. 
Wegen ihres von vornherein nur vorübergehenden 
Zwecks entbehrten diese Vereinigungen einer festen 
Organisation. Staaten stehen vielfach auch in 
einer bald innigeren bald loseren Verkehrsgemein= 
schaft, welche durch die geographische Lage und die 
wirtschaftlichen Interessen bestimmt wird. Nach 
deren Einwirkung auf diegegenseitigen Beziehungen 
reden wir von Staatensystemen und stellen 
beispielsweise das europäische dem amerikanischen 
oder ostasiatischen, das mitteleuropäische dem ost- 
europäischen Staatensystem gegenüber. Die Unter- 
scheidung der Staatensysteme beruht auf sozialen 
Verhältnissen, sie fallen daher nicht unter den Be- 
griff der Staatenverbindungen, die rechtlicher Natur 
und auf Vereinigungen beschränkt sind, deren 
Grundlage Staatsverträge bilden. Aus dem wach- 
senden Verkehrsbedürfnis heraus hat die Verkehrs- 
gemeinschaft der Völker seit dem 19. Jahrh. zu 
Verträgen einzelner Staaten geführt, durch die sich 
diese verpflichteten, im Interesse ihrer Angehörigen 
ihre Einrichtungen dem vertragschließenden Staat 
dienstbar zu machen. So entstanden die zur Be- 
friedigung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen 
abgeschlossenen Handels-, Schiffahrts-, Eisenbahn-, 
Konsular-, Friedens= und Freundschaftsverträge 
sowie die zur Besorgung einer einzelnen gemein- 
samen Angelegenheit abgeschlossenen Konventionen 
und die auf die gegenseitige Hilfeleistung in Zivil- 
und Strassachen gerichteten Auslieferungs= und 
Rechtshilfeverträge. Einzelne dieser Verträge haben 
zu internationalen Organisationen geführt, die als 
unauflöslich anzusehen sind, wie der Weltpostverein, 
der internationale Telegraphen-, Eisenbahnfracht- 
verein, die Brüsseler Zuckerkonvention. Bei andern 
Verträgen ist ihr Inhalt wenigstens Gemeingut 
der zivilisierten Nationen geworden. In dem 
weiten Sinn der Einbeziehung der durch diese 
Verträge hervorgerufenen Vereinigungen in ihren 
Begriff wird jedoch die Bezeichnung Staatenver= 
bindung regelmäßig nicht gebraucht; ihre technische 
Verwendung ist auf dauernde Vereinigungen poli- 
tischer Ratur beschränkt. Politischer Natur sind 
aber nur die Vereinigungen einzelner Staaten, 
welche auf die Verwirklichung ihrer Hoheitsrechte 
gerichtet sind. Aus diesem Ziel ergibt sich, daß 
die Vereinigung jeden der vereinigten Staaten nicht 
nur in einer einzelnen seiner Betätigungen, son- 
dern in einer Summe derselben ergreift und diese 
dem gemeinsamen Zweck dauernd dienstbar macht. 
Wegen ihrer nur zeitlichen Dauer scheiden die 
sog. Allianzen aus den Staatenverbindungen aus, 
auch wenn sie, wie der Dreibund, dem Machtzweck 
der verbündeten Reiche dienen. 
Die dauernde Verbindung einzelner Staaten 
steht im Gegensatz zum Einheitsstaat mit seiner 
unbeschränkten Geltung der Gewalt der Staats- 
Staatenverbindungen. 
  
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regierung über das auf dem Staatsgebiet wohnende 
Volk. Die Theorie vom Staat hat sich am Ein- 
heitsstaat entwickelt; aber der Einheitsstaat bildet 
nicht die Regel im Völkerleben. Das Deutsche 
Reich, die schweizerische Eidgenossenschaft, Oster- 
reich-Ungarn, das ottomanische Reich, der gesamte 
Orient, die Vereinigten Staaten von Amerika, 
der Australische Bund, die Südafrikanische Union, 
Argentinien und Brasilien sind Staatenverbin- 
dungen. Anscheinend wäst die Neigung zu solchen, 
weil die Vereinigung kleinerer Staaten unter Auf- 
rechterhaltung eines mehr oder minder großen 
Maßes freier Bewegung ihre selbständige Existenz 
gegen von außen drohende Gefahren durch die 
Macht der verbündeten größeren Staaten sichert. 
Die Staatenverbindungen erheischen deshalb be- 
sondere Beachtung. Ihre Entwicklung wird auch 
auf den theoretisch umstrittenen Begriff des Staats 
umbildend einwirken. 
Die dauernde Verbindung einzelner Staaten 
kann fester oder loser sein. Die loseste Vereinigung 
ist die Personalunion, die vorliegt, wenn 
infolge Übereinstimmung der Erbfolgeordnungen 
mehrerer Staaten dieselbe Person deren Herrscher 
wird. Die einzelnen Staaten bleiben dann selb- 
ständig nebeneinander bestehen, nur ihr Oberhaupt 
ist ihnen gemeinsam, und ihre Verbindung wird 
wieder gelöst, wenn die Erbfolgeordnungen aus- 
einanderfallen. Personalunionen sind zwischen zwei 
Wahlmonarchien, zwischen einer Wahl= und einer 
erblichen Monarchie oder zwischen zwei erblichen 
Monarchien mit entweder kognatisch oder agnatisch 
verschiedener Thronfolgeordnung für die persona- 
liter unierten Länder oder bei gleicher Thronfolge- 
ordnung mit dem Recht der Ablehnung der Suk- 
zession in einem der unierten Länder möglich. Der 
Vergangenheit angehörige Beispiele sind Hannover 
und Britannien, Holland und Luxemburg. Der 
gemeinsame Herrscher bleibt als Herrscher des 
einen oder des andern Staats eine staatsrechtlich 
verschiedene Persönlichkeit. Doch hat für die durch 
den gemeinsamen Herrscher verbundenen Staaten 
dessen Stellung die wichtige Bedeutung, daß sie 
Kriege unter ihnen ausschließt. Bei bleibender 
Interessengemeinschaft kann die Personalunion zu 
engerer Verbindung und selbst zum Einheitsstaat 
führen. Zur Verhinderung dieser Wirkung ist 
mehrfach der Erwerb einer fremden Krone durch 
die Staatsverfassung (Preußen, Bayern, Sachsen, 
Belgien) oder durch Staatsverträge nur beschränkt 
zugelossen. Die Verfassung des Deutschen Reichs 
schließt nicht aus, daß der Herrscher eines deutschen 
Staats zugleich Herrscher eines auswärtigen Staats 
ist. — Eine nur scheinbare Staatenverbindung ist 
die Verbindung von Haupt= und Nebenland, wie 
sie zwischen England und Kanada sowie Australien 
besteht. Die Nebenländer werden im Interesse des 
Mutterlands verwaltet und streben deshalb danach, 
sich von diesem loszulösen, während das Mutter- 
land, um die Verbindung aufrechtzuerhalten, den 
Kolonien eine möglichst weitgehende Selbstver-
	        
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