Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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gingen sogar so weit, daß sie den Einzelstaaten 
in einem Bundesstaat die Eigenschaft als Staat 
absprachen und sie nur noch als Selbstverwaltungs- 
körper behandelten. Die Schwierigkeit der Be- 
griffsbestimmung des Bundesstaats liegt in der 
Überspannung des Inhalts des Staatsbegriffs. 
Bei der Existenz mehrerer Bundesstaaten geht es 
nicht an, mit Seydel den Bundesstaatsbegriff zu 
leugnen, es ist vielmehr in die Prüfung der Frage 
einzutreten, ob die absolute Staatssouveränität 
ein Essentiale des Staatsbegriffs ist. Denn ein 
Begriff kann nicht richtig sein, der den tatsächlichen 
Verhältnissen widerspricht. Während der Staaten- 
bund die Unabhängigkeit der verbündeten Staaten 
unangetastet lassen kann und eines den Einzel- 
staaten übergeordneten Organs zur Verfolgung 
der Bundeszwecke nicht bedarf, gehört zum Wesen 
des Bundesstaats eine derart enge und staatsrecht- 
liche Verbindung der Einzelstaaten, daß das durch 
sie geschaffene Bundesorgan in Ausübung der ihm 
von ihnen übertragenen Macht nicht nur den Bun- 
desstaat nach außen einheitlich vertritt, sondern 
eine Herrschaft auch über die verbundenen Staaten 
ausübt, so daß nach Jellineks Ausdruck die Einzel- 
staaten zugleich in ihrer Gesamtheit herrschen oder 
mitherrschen und als einzelne auf bestimmten Ge- 
bieten untertan sind. Daraus ergibt sich, daß der 
Bundesstaat Souveränität hat, die er aber nur 
haben kann, wenn die Einzelstaaten an ihrer Sou- 
veränität Einbuße erlitten haben. Infolge seiner 
Souveränität handelt der Bundesstaat, wie mit 
Wirkung gegen das Ausland, so auch mit Wirkung 
für die Einzelstaaten und die Bundesangehörigen. 
Deshalb hören aber die verbündeten Staaten nicht 
auf, Staaten zu sein. Der Umfang der Sou- 
veränität des Bundesstaats hängt von dem Inhalt 
des Begründungsaktes ab, er kann weiter oder be- 
schränkter sein, für den Souveränitätsbegriff ge- 
nügt, daß das Recht zur Kriegserklärung und zum 
Friedensschluß sowie die Vertretung des Bundes 
nach außen von der Gewalt der Einzelstaaten un- 
abhängig ist. Aus ihm ergibt sich dann aber weiter, 
daß der Austritt eines Einzelstaats aus dem Bun- 
desstaat sowie die Auflösung des Bundesverhält- 
nisses durch die einzelnen Gliedstaaten nicht anders 
möglich ist als durch Staatsstreich oder Revolution. 
Staatenbund und Bundesstaat entstehen durch 
Staatsverträge. Wenn Jellinek die Entstehung 
der Bundesstaaten auf eine historische Tat im 
Gegensatz zu der Begründung durch Staatsver- 
träge zurückführt, so unterstellt er die Gründungs- 
vorgänge der bestehenden Bundesstaaten einer 
völkerrechtlichen Auffassung, die nicht als zutreffend 
anerkannt werden kann. Das Deutsche Reich z. B. 
ist durch die Verträge der einzelstaatlichen Re- 
gierungen und deren Genehmigung seitens der 
Volksvertretungen entstanden. Erst auf Grund 
der Verträge war die Umgestaltung der Verfassung 
des Norddeutschen Bundes zur Reichsverfassung 
möglich. Dem Staatenbund wie dem Bundes- 
staat ist die dauernde unlösliche Verbindung der 
Staatenverbindungen. 
  
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Einzelstaaten zur Erreichung gemeinsamer Zwecke 
eigen. Diese bedingen bei beiden den Umfang der 
vom Bund auszuübenden Macht. Während nun 
aber beim Staatenbund die Abänderung der Zweck- 
bestimmung nur im Weg der Anderung der 
Gründungsverträge herbeizuführen ist, erfolgt 
dieselbe im Bundesstaat durch die bei der Grün- 
dung vorgesehene Beschlußfassung der Bundes- 
organe (Kompetenzkompetenz). Doch ist die Bil- 
dung des Mehrheitswillens kein zwingendes Unter- 
scheidungsmerkmal zwischen beiden Bundesformen, 
da auch beim Staatenbund durch den Gründungs- 
vertrag dem Widerspruch des Einzelstaats die 
Macht der Verhinderung von Abänderungen 
entzogen sein kann. Der Bundesstaat erfordert 
eine höchste, den Gesamtwillen aller Gliedstaaten 
nach außen und innen vertretende Gewalt, welche 
auch den Gliedstaaten selbständig gegenübertritt 
und berechtigt ist, über die gemeinsamen Macht- 
mittel unmittelbar zu verfügen sowie die Ange- 
hörigen der Einzelstaaten in ihrem Verhältnis zur 
Bundesgewalt unmittelbar zu verpflichten. Die 
Gesetzgebungsgewalt ist im Bundesstaat eine dop- 
pelte: die des Bundes und die der Bundesstaaten; 
die Zuständigkeit beider ist in der Bundesver- 
fassung bestimmt, und zwar entweder dahin, daß 
Bundesrecht Landesrecht bricht, auch wenn der 
Bund seine Kompetenz überschreitet, oder in der 
Weise, daß die Gesetzgebungsgewalt der Bundes- 
regierungen regelmäßig zuständig und durch be- 
ondere Schutzvorschriften gegen Kompetenzüber- 
schreitungen des Bundes gesichert ist. Der Bund 
etzt für die Ausübung seiner gesetzgebenden Gewalt 
eigne Organe voraus, die von dem Willen der 
Bundesregierungen unabhängig sind. Dem Staa- 
tenbund fehlt regelmäßig die eigne Gesetzgebung 
und das Gesetzgebungsorgan; die Gesetzgebungs- 
gewalt steht ausschließlich den verbündeten Staaten 
zu, welche inhaltlich übereinstimmende, aber ma- 
teriell selbständige Gesetze erlassen, über welche sich 
die Regierungen durch die als Bundesorgane an- 
zusehenden Kongresse der von ihnen entsendeten 
Gesandten verständigt haben. — Während das 
Staatsangehörigkeitsverhältnis im Staatenbund 
ein einfaches zu sein pflegt, das des Staatsbürgers 
zu seinem Staat, ist es im Bundesstaat immer 
ein doppeltes, das des Staatsbürgers zu seinem 
Staat und das des Bundesangehörigen zum Bun- 
desstaat. Bei Staatenbund und Bundesstaat steht 
die Vertretung nach außen nicht den Einzelstaaten 
zu, die Vertretung bei den verbündeten Staaten 
untereinander kann bei beiden durch einzelstaat- 
liche Gesandte zugelassen sein. Staatenbund und 
Bundesstaat können monarchische und republi- 
kanische Staatswesen in sich aufnehmen. 
Die modernen Bundesstaaten zerfallen in zwei 
Gruppen: germanische Bünde: Deutschland und 
die schweizerische Eidgenossenschaft; angelsächsische 
Bünde: Vereinigte Staaten von Amerika. Die 
zeitlich erste Stelle unter den modernen Bünden 
nehmen die Vereinigten Staaten von Amerika 
 
	        
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