1401
gingen sogar so weit, daß sie den Einzelstaaten
in einem Bundesstaat die Eigenschaft als Staat
absprachen und sie nur noch als Selbstverwaltungs-
körper behandelten. Die Schwierigkeit der Be-
griffsbestimmung des Bundesstaats liegt in der
Überspannung des Inhalts des Staatsbegriffs.
Bei der Existenz mehrerer Bundesstaaten geht es
nicht an, mit Seydel den Bundesstaatsbegriff zu
leugnen, es ist vielmehr in die Prüfung der Frage
einzutreten, ob die absolute Staatssouveränität
ein Essentiale des Staatsbegriffs ist. Denn ein
Begriff kann nicht richtig sein, der den tatsächlichen
Verhältnissen widerspricht. Während der Staaten-
bund die Unabhängigkeit der verbündeten Staaten
unangetastet lassen kann und eines den Einzel-
staaten übergeordneten Organs zur Verfolgung
der Bundeszwecke nicht bedarf, gehört zum Wesen
des Bundesstaats eine derart enge und staatsrecht-
liche Verbindung der Einzelstaaten, daß das durch
sie geschaffene Bundesorgan in Ausübung der ihm
von ihnen übertragenen Macht nicht nur den Bun-
desstaat nach außen einheitlich vertritt, sondern
eine Herrschaft auch über die verbundenen Staaten
ausübt, so daß nach Jellineks Ausdruck die Einzel-
staaten zugleich in ihrer Gesamtheit herrschen oder
mitherrschen und als einzelne auf bestimmten Ge-
bieten untertan sind. Daraus ergibt sich, daß der
Bundesstaat Souveränität hat, die er aber nur
haben kann, wenn die Einzelstaaten an ihrer Sou-
veränität Einbuße erlitten haben. Infolge seiner
Souveränität handelt der Bundesstaat, wie mit
Wirkung gegen das Ausland, so auch mit Wirkung
für die Einzelstaaten und die Bundesangehörigen.
Deshalb hören aber die verbündeten Staaten nicht
auf, Staaten zu sein. Der Umfang der Sou-
veränität des Bundesstaats hängt von dem Inhalt
des Begründungsaktes ab, er kann weiter oder be-
schränkter sein, für den Souveränitätsbegriff ge-
nügt, daß das Recht zur Kriegserklärung und zum
Friedensschluß sowie die Vertretung des Bundes
nach außen von der Gewalt der Einzelstaaten un-
abhängig ist. Aus ihm ergibt sich dann aber weiter,
daß der Austritt eines Einzelstaats aus dem Bun-
desstaat sowie die Auflösung des Bundesverhält-
nisses durch die einzelnen Gliedstaaten nicht anders
möglich ist als durch Staatsstreich oder Revolution.
Staatenbund und Bundesstaat entstehen durch
Staatsverträge. Wenn Jellinek die Entstehung
der Bundesstaaten auf eine historische Tat im
Gegensatz zu der Begründung durch Staatsver-
träge zurückführt, so unterstellt er die Gründungs-
vorgänge der bestehenden Bundesstaaten einer
völkerrechtlichen Auffassung, die nicht als zutreffend
anerkannt werden kann. Das Deutsche Reich z. B.
ist durch die Verträge der einzelstaatlichen Re-
gierungen und deren Genehmigung seitens der
Volksvertretungen entstanden. Erst auf Grund
der Verträge war die Umgestaltung der Verfassung
des Norddeutschen Bundes zur Reichsverfassung
möglich. Dem Staatenbund wie dem Bundes-
staat ist die dauernde unlösliche Verbindung der
Staatenverbindungen.
1402
Einzelstaaten zur Erreichung gemeinsamer Zwecke
eigen. Diese bedingen bei beiden den Umfang der
vom Bund auszuübenden Macht. Während nun
aber beim Staatenbund die Abänderung der Zweck-
bestimmung nur im Weg der Anderung der
Gründungsverträge herbeizuführen ist, erfolgt
dieselbe im Bundesstaat durch die bei der Grün-
dung vorgesehene Beschlußfassung der Bundes-
organe (Kompetenzkompetenz). Doch ist die Bil-
dung des Mehrheitswillens kein zwingendes Unter-
scheidungsmerkmal zwischen beiden Bundesformen,
da auch beim Staatenbund durch den Gründungs-
vertrag dem Widerspruch des Einzelstaats die
Macht der Verhinderung von Abänderungen
entzogen sein kann. Der Bundesstaat erfordert
eine höchste, den Gesamtwillen aller Gliedstaaten
nach außen und innen vertretende Gewalt, welche
auch den Gliedstaaten selbständig gegenübertritt
und berechtigt ist, über die gemeinsamen Macht-
mittel unmittelbar zu verfügen sowie die Ange-
hörigen der Einzelstaaten in ihrem Verhältnis zur
Bundesgewalt unmittelbar zu verpflichten. Die
Gesetzgebungsgewalt ist im Bundesstaat eine dop-
pelte: die des Bundes und die der Bundesstaaten;
die Zuständigkeit beider ist in der Bundesver-
fassung bestimmt, und zwar entweder dahin, daß
Bundesrecht Landesrecht bricht, auch wenn der
Bund seine Kompetenz überschreitet, oder in der
Weise, daß die Gesetzgebungsgewalt der Bundes-
regierungen regelmäßig zuständig und durch be-
ondere Schutzvorschriften gegen Kompetenzüber-
schreitungen des Bundes gesichert ist. Der Bund
etzt für die Ausübung seiner gesetzgebenden Gewalt
eigne Organe voraus, die von dem Willen der
Bundesregierungen unabhängig sind. Dem Staa-
tenbund fehlt regelmäßig die eigne Gesetzgebung
und das Gesetzgebungsorgan; die Gesetzgebungs-
gewalt steht ausschließlich den verbündeten Staaten
zu, welche inhaltlich übereinstimmende, aber ma-
teriell selbständige Gesetze erlassen, über welche sich
die Regierungen durch die als Bundesorgane an-
zusehenden Kongresse der von ihnen entsendeten
Gesandten verständigt haben. — Während das
Staatsangehörigkeitsverhältnis im Staatenbund
ein einfaches zu sein pflegt, das des Staatsbürgers
zu seinem Staat, ist es im Bundesstaat immer
ein doppeltes, das des Staatsbürgers zu seinem
Staat und das des Bundesangehörigen zum Bun-
desstaat. Bei Staatenbund und Bundesstaat steht
die Vertretung nach außen nicht den Einzelstaaten
zu, die Vertretung bei den verbündeten Staaten
untereinander kann bei beiden durch einzelstaat-
liche Gesandte zugelassen sein. Staatenbund und
Bundesstaat können monarchische und republi-
kanische Staatswesen in sich aufnehmen.
Die modernen Bundesstaaten zerfallen in zwei
Gruppen: germanische Bünde: Deutschland und
die schweizerische Eidgenossenschaft; angelsächsische
Bünde: Vereinigte Staaten von Amerika. Die
zeitlich erste Stelle unter den modernen Bünden
nehmen die Vereinigten Staaten von Amerika