Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1405 
gründende Vertrag. Bei dem Staatenstaat be- 
halten die dem Oberstaat untergebenen Staaten 
ihre Selbständigkeit nach innen, haben ihm aber 
gegen Angriffe von außen Heeresfolge und außer- 
dem für ihre Verteidigung Tribut zu leisten. In 
dem Verhältnis des Oberstaats zum Unterstaat 
steht das osmannische Reich zu seinen christlichen 
und mohammedanischen Vassallenstaaten, das eng- 
lische Indien zu seinen seine Oberhoheit anerken- 
nenden Nachbarstaaten. Für das Abendland ist 
diese Kategorie der Staatenverbindung bedeu- 
tungslos. 
Literatur. Arndt in Birkmeyers Enzyklo- 
pädie (21905); Jellinek, Recht des modernen Staats 
(21905); Brie, Theorie der S. (1886); Rosin, 
Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre nach den 
polit. Reden u. Schriftstücken des Fürsten Bismarck 
(1897); Rehm, Allg. Staatslehre (1907, Samm- 
lung Göschen); Schmidt, Allg. Staatslehre (2 Bde, 
1901/03); Ebers, Die Lehre vom Staatenbund 
(1910); Laband, Staatsrecht des Deutschen Reichs 
(1901); v. Seydel, Vorträge aus dem allg. Staats- 
recht (19083). [Spahn.) 
Staatsamt s. d. Art. Amt, Beamte. 
Staatsangehörigkeit; Staatsbür- 
gerrecht. I. Allgemeines. Obgleich Staats- 
angehörigkeit und Staatsbürgerrecht grundlegende 
Begriffe für die staatsrechtliche Stellung der ein- 
zelnen Persönlichkeit sind, ist der Gebrauch dieser 
Ausdrücke durchaus kein genauer; sie werden häufig 
als gleichbedeutend gebraucht. Eine schärfere Unter- 
scheidung verbindet aber mit dem Wort Staats- 
angehörigkeit nur den Begriff der tatsächlichen 
Zugehörigkeit zu einem Staat, der Eigenschaft 
einer Person als Mitglied des den Staat bilden- 
den Volks im Gegensatz zum Staatsfremden, zum 
Ausländer. Die Staatsangehörigkeit kann also 
mit der Zugehörigkeit zu einer Nation zusammen- 
fallen, aber auch davon verschieden sein, je nach- 
dem sich eine Nation restlos zu der Einheit eines 
Staatsvolks zusammengefügt hat oder nicht. Das 
Wort Staatsbürgerrecht dagegen weist auf 
einen Rechtsbegriff hin. Es bedeutet den Inbegriff 
von Rechten und Pflichten, die, durch Verfassung 
und Gesetz unmittelbar begründet, dem Staatsange- 
hörigen in seinem Verhältnis zu dem Staat als 
solchem, als dem Inhaber aller Staatsgewalt, im 
Gegensatz zu ihm als Subjekt von Privatrechten, 
zustehen, so daß Staatsbürger die öffentlich-recht- 
liche Stellung des Staatsangehörigen bezeichnet. 
Insoweit demnach Staatsbürgerrecht nichts anderes 
bedeutet als den rechtlichen Inhalt der Staats- 
angehörigkeit, als den Inbegriff der Rechte und 
Pflichten, welche jedem Staatsangehörigen schon 
wegen dieser seiner Eigenschaft zukommen, hat sich 
die Gewohnheit gebildet, Staatsangehörigkeit und 
Staatsbürgerrecht für gleichbedeutend zu gebrau- 
chen. Wird man unter dem angegebenen Gesichts- 
punkt diesen Sprachgebrauch nun auch tolerieren 
können, so darf doch keinenfalls übersehen werden, 
daß sich aus dem Begriff der Staatsangehörigkeit 
allein nicht ohne weiteres Rechte, subjektive Be- 
  
Staatsamt — Staatsangehörigkeit ufw. 
  
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rechtigungen des Staatsangehörigen dem Staat 
als solchem gegenüber, ergeben, daß vielmehr die 
staatsbürgerlichen Rechte lediglich Wirkungen sind, 
welche das positive Staatsrecht des einzelnen 
Staats mehr oder minder mit der Staatsange- 
hörigkeit zu verknüpfen für gut findet. (Vgl. dazu 
noch Abschnitt II, 1.) Welche Grundsätze der Staat 
hierbei zu befolgen hat, wie weit er insbesondere 
bei Abgrenzung der gegenseitigen Rechte und 
Pflichten zwischen Staat und Staatsangehörigen 
die sog. natürlichen Rechte der Untertanen zu re- 
spektieren für verpflichtet erachtet werden muß, 
zeigt die Lehre vom Naturrecht und vom Staat 
und von den Grenzen der Staatsgewalt (val. dies. 
Art.). Hier haben wir es nur mit dem positiven 
Staatsrecht zu tun. Auf die Formulierung der 
hierher gehörigen Rechtsnormen haben die je- 
weiligen Anschauungen über den Staat, über die 
natürlichen Menschenrechte, über Zweck und Um- 
fang der Staatsgewalt, am letzten Ende der Kul- 
turzustand des betreffenden Volks entscheidenden 
Einfluß. Es bedarf daher keiner weiteren Erörte- 
rung darüber, daß Staatsangehörigkeit und 
Staatsbürgerrecht in den verschiedenen Staaten 
und zu verschiedenen Zeiten sowohl den Voraus- 
setzungen als dem rechtlichen Inhalt nach durchaus 
ungleichmäßig sich gestalten können und, wie die 
Geschichte lehrt, sich in der Tat auch sehr ungleich- 
mäßig entwickelt haben. Die überall aus den Ur- 
anfängen der Geschichte bezeugte Tatsache, daß 
der Fremde rechtlos war, läßt mit Recht darauf 
chließen, daß der Einheimische als solcher eine 
gewisse rechtliche Stellung einnehmen mußte. Es 
ist auch nicht an dem, daß, wie die landläufige 
Anschauung besagt, in der altorientalischen Despo- 
tie und Theokratie von der staatsbürgerlichen Stel- 
lung der Staatsangehörigen keine Rede gewesen 
sei. Die fortschreitende Kenntnis des altorientali- 
schen Rechts läßt vielmehr bereits jetzt mit einiger 
Sicherheit feststellen, daß auch in solchen Staaten 
durchgebildete Rechtsordnungen bestanden, die we- 
nigstens für einen Teil des Volks, wenn auch nicht 
für das gesamte Volk ohne Ausnahme, eine gewisse 
öffentlich-rechtliche Stellung schufen, also eine 
solche Rechtsstellung, die in einem gewissen Grad, 
soweit es sich nämlich nicht um die aktive Teil- 
nahme an Funktionen der Staatsgewalt handelt, 
mit unserem Staatsbürgerrecht vergleichbar war. 
Allerdings ist dabei festzuhalten, daß in jenen 
Zeiten der Herrscher als persönlicher Inhaber des 
Staats und der Staatsgewalt galt, dem gegenüber 
das Individuum an eine Geltendmachung und 
Durchsetzung seines staatsbürgerlichen Rechts nicht 
denken konnte. Jedenfalls aber behielten die Rechte 
ihre Geltung gegenüber den übrigen Staatsange- 
hörigen. Nach der gemeinen Meinung war sogar 
in dem antiken Staat der Griechen und Römer 
die öffentlich-rechtliche Stellung des Individuums 
eine minder gesicherte als in dem altorientalischen, 
da dort der Staatsangehörige vollständig im 
Staat aufging, nur um des letzteren willen existenz- 
—
	        
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