Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Staatsangehörigkeit zu einem deutschen Bundes- 
taa 
t. 
Die deutsche Reichsangehörigkeit wird 
mittelbar durch die Staatsangehörigkeit zu einem 
deutschen Bundesstaat und mit ihr zugleich er- 
worben (§ 1 des oben erwähnten Gesetzes). Es 
kann niemand Reichsangehöriger werden, ohne die 
Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat er- 
worben zu haben. Davon gibt es nur zwei Aus- 
nahmen: Einmal kann den Eingebornen der deut- 
schen Schutzgebiete oder solchen Ausländern, welche 
dort sich niedergelassen haben, von dem Reichs- 
kanzler oder von einem von ihm ermächtigten 
kaiserlichen Beamten mittels Naturalisation die 
Reichsangehörigkeit verliehen werden und sodann 
erwirbt ein im Reichsdienst angestellter Aus- 
länder die Staatsangehörigkeit in demjenigen 
Bundesstaat, in welchem er seinen dienstlichen 
Wohnsitz hat und damit zugleich die Reichsange- 
hörigkeit. Abgesehen hiervon ist also die Staats- 
angehörigkeit das primäre und die Reichsangehö- 
rigkeit kein selbständiges Rechtsverhältnis. Ebenso 
ist es für die Schweiz geregelt; die schweizerische 
Angehörigkeit wird durch die Angehörigkeit zu 
einem Kanton erworben. Umgekehrt ist nach 
dem Staatsrecht der Vereinigten Staaten von 
Amerika die Unionsangehörigkeit das prinzipielle 
Verhältnis. Mit der Bundesangehörigkeit erwirbt 
man die Zugehörigkeit zu dem Einzelstaat der 
Niederlassung. Nicht der Einzelstaat also, sondern 
die Union naturalisiert hier. 
2. Verlust. Wie in betreff des Erwerbs, so 
gehen die Gesetzgebungen auch in betreff des Ver- 
lustes der Staatsangehörigkeit weit auseinander 
unbeschadet gewisser Grundzüge. So finden sich 
als Gründe für den Verlust überall die Naturali- 
sation im Ausland und die Annahme eines öffent- 
lichen Amts im Ausland ohne Erlaubnis der zu- 
ständigen Stelle, welch letztere bald das Staats- 
oberhaupt, bald die gesetzgebende Körperschaft, 
bald eine Verwaltungsstelle ist. Bald wird der 
Verlust an die Übernahme jedes öffentlichen Amts 
im Ausland geknüpft, ausnahmsweise aber nur 
an die Annahme fremden Heeresdienstes; bald ist 
schon die Annahme einer fremden Pension oder 
einer Auszeichnung durch eine fremde Regierung 
ohne Genehmigung ausreichend. Den südameri- 
kanischen Republiken ist gemeinsam die Bestimmung, 
daß auch wegen betrüglichen Bankrotts die Staats- 
angehörigkeit verloren geht. Auch die Auswande- 
rung, d. h. der Auszug aus dem Land mit der 
ausdrücklich erklärten oder durch bezeichnete Hand- 
lungen — z. B. länger als zehnjährige ununter- 
brochene Abwesenheit im Ausland — zu erkennen 
gegebenen Absicht, nicht wieder zurückzukehren, 
wird mehrfach genannt. Der Verlust erstreckt sich 
in der Regel auf die Ehefrau und die noch unter 
väterlicher (elterlicher) Gewalt stehenden minder- 
jährigen Kinder, und zwar nicht bloß in den Fällen 
der Entlassung oder des Ausspruchs, sondern auch 
in denen der Auswanderung. 
Staatsangehörigkeit ufw. 
  
1412 
In Deutschland wird gemäß dem unter 1 
erwähnten Gesetz vom 1. Juni 1870 die Staats- 
angehörigkeit verloren durch Entlassung auf An- 
trag, durch Ausspruch der Behörde, durch zehn- 
jährigen Aufenthalt im Ausland, bei unehelichen 
Kindern durch eine den gesetzlichen Bestimmungen 
gemäß erfolgte Legitimation, wenn der Vater einem 
andern Staat angehört als die Mutter, bei einer 
Deutschen durch Verheiratung mit dem Ange- 
hörigen eines andern Bundesstaats oder mit einem 
Ausländer. Was die Entlassung auf Antrag an- 
langt, so wird sie jedem Staatsangehörigen er- 
teilt, welcher nachweist, daß er in einem andern 
Bundesstaat die Staatsangehörigkeit erworben. 
hat. In Ermanglung dieses Nachweises ist die 
Entklassung durch Rücksicht auf die Wehrpflicht 
beschränkt. Soweit diese Rücksicht nicht vorliegt, 
darf in Friedenszeiten die Entlassung nicht ver- 
weigert werden; für die Zeit eines Kriegs oder 
einer Kriegsgefahr ist dem Bundespräsidium der 
Erlaß besonderer Anordnung vorbehalten. Die 
Entlassung wird mit der Aushändigung einer 
darüber ausgestellten Urkunde wirksam, verliert 
aber ihre Wirksamkeit, wenn der Entlassene nicht 
binnen sechs Monaten seinen Wohnsitz außerhalb 
des Reichsgebiets verlegt oder die Staatsangehö- 
rigkeit in einem andern Bundesstaat erwirbt. — 
Deutsche, welche sich im Ausland aufhalten, 
können ihrer Staatsangehörigkeit durch einen Be- 
schluß der Zentralbehörde ihres Heimatsstaats ver- 
lustig erklärt werden, wenn sie im Fall eines 
Kriegs oder einer Kriegsgefahr einer Aufforde- 
rung zur Rückkehr binnen der bestimmten Frist 
keine Folge leisten. Dasselbe gilt, wenn ein 
Deutscher ohne Erlaubnis seiner Regierung in 
fremde Staatsdienste tritt und einer ausdrücklichen 
Aufforderung zum Austritt binnen der bestimmten 
Frist keine Folge leistet. — Ohne solchen Be- 
schluß verliert ein Deutscher, der das Reichsgebiet 
verläßt und sich zehn Jahre lang ununterbrochen 
im Ausland — als solches gelten in diesem Zu- 
sammenhang die deutschen Schutzgebiete nicht — 
aushält, seine Staatsangehörigkeit. Die Frist 
kann unterbrochen werden dadurch, daß sich der 
Deutsche in die Matrikel eines Reichskonsulats ein- 
tragen läßt. Der Verlust tritt natürlich nicht für 
diejenigen ein, die sich als Beamte des Reichs oder 
eines Bundesstaats oder in deren Auftrag im 
Ausland befinden. Auch für die ehemals reichs- 
unmittelbaren deutschen Standesherren tritt durch 
solchen Aufenthalt im Ausland, soweit es mit 
Deutschland im Frieden lebt, ein Verlust der 
Staatsangehörigkeit nicht ein. Jene Frist kann 
durch Staatsvertrag auf fünf Jahre verkürzt wer- 
den, falls der Deutsche in dem ausländischen Staat 
nach fünfjährigem ununterbrochenem Aufenthalt 
dort die Staatsangehörigkeit erworben hat. Solche 
Staatsverträge bestehen z. B. aus dem Jahr 1868 
zwischen den Vereinigten Staaten von Amerikaeiner= 
seits und dem Norddeutschen Bund und den süddeut- 
schen Staaten anderseits (die sog. Bancroftverträge).
	        
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