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Staatsangehörigkeit zu einem deutschen Bundes-
taa
t.
Die deutsche Reichsangehörigkeit wird
mittelbar durch die Staatsangehörigkeit zu einem
deutschen Bundesstaat und mit ihr zugleich er-
worben (§ 1 des oben erwähnten Gesetzes). Es
kann niemand Reichsangehöriger werden, ohne die
Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat er-
worben zu haben. Davon gibt es nur zwei Aus-
nahmen: Einmal kann den Eingebornen der deut-
schen Schutzgebiete oder solchen Ausländern, welche
dort sich niedergelassen haben, von dem Reichs-
kanzler oder von einem von ihm ermächtigten
kaiserlichen Beamten mittels Naturalisation die
Reichsangehörigkeit verliehen werden und sodann
erwirbt ein im Reichsdienst angestellter Aus-
länder die Staatsangehörigkeit in demjenigen
Bundesstaat, in welchem er seinen dienstlichen
Wohnsitz hat und damit zugleich die Reichsange-
hörigkeit. Abgesehen hiervon ist also die Staats-
angehörigkeit das primäre und die Reichsangehö-
rigkeit kein selbständiges Rechtsverhältnis. Ebenso
ist es für die Schweiz geregelt; die schweizerische
Angehörigkeit wird durch die Angehörigkeit zu
einem Kanton erworben. Umgekehrt ist nach
dem Staatsrecht der Vereinigten Staaten von
Amerika die Unionsangehörigkeit das prinzipielle
Verhältnis. Mit der Bundesangehörigkeit erwirbt
man die Zugehörigkeit zu dem Einzelstaat der
Niederlassung. Nicht der Einzelstaat also, sondern
die Union naturalisiert hier.
2. Verlust. Wie in betreff des Erwerbs, so
gehen die Gesetzgebungen auch in betreff des Ver-
lustes der Staatsangehörigkeit weit auseinander
unbeschadet gewisser Grundzüge. So finden sich
als Gründe für den Verlust überall die Naturali-
sation im Ausland und die Annahme eines öffent-
lichen Amts im Ausland ohne Erlaubnis der zu-
ständigen Stelle, welch letztere bald das Staats-
oberhaupt, bald die gesetzgebende Körperschaft,
bald eine Verwaltungsstelle ist. Bald wird der
Verlust an die Übernahme jedes öffentlichen Amts
im Ausland geknüpft, ausnahmsweise aber nur
an die Annahme fremden Heeresdienstes; bald ist
schon die Annahme einer fremden Pension oder
einer Auszeichnung durch eine fremde Regierung
ohne Genehmigung ausreichend. Den südameri-
kanischen Republiken ist gemeinsam die Bestimmung,
daß auch wegen betrüglichen Bankrotts die Staats-
angehörigkeit verloren geht. Auch die Auswande-
rung, d. h. der Auszug aus dem Land mit der
ausdrücklich erklärten oder durch bezeichnete Hand-
lungen — z. B. länger als zehnjährige ununter-
brochene Abwesenheit im Ausland — zu erkennen
gegebenen Absicht, nicht wieder zurückzukehren,
wird mehrfach genannt. Der Verlust erstreckt sich
in der Regel auf die Ehefrau und die noch unter
väterlicher (elterlicher) Gewalt stehenden minder-
jährigen Kinder, und zwar nicht bloß in den Fällen
der Entlassung oder des Ausspruchs, sondern auch
in denen der Auswanderung.
Staatsangehörigkeit ufw.
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In Deutschland wird gemäß dem unter 1
erwähnten Gesetz vom 1. Juni 1870 die Staats-
angehörigkeit verloren durch Entlassung auf An-
trag, durch Ausspruch der Behörde, durch zehn-
jährigen Aufenthalt im Ausland, bei unehelichen
Kindern durch eine den gesetzlichen Bestimmungen
gemäß erfolgte Legitimation, wenn der Vater einem
andern Staat angehört als die Mutter, bei einer
Deutschen durch Verheiratung mit dem Ange-
hörigen eines andern Bundesstaats oder mit einem
Ausländer. Was die Entlassung auf Antrag an-
langt, so wird sie jedem Staatsangehörigen er-
teilt, welcher nachweist, daß er in einem andern
Bundesstaat die Staatsangehörigkeit erworben.
hat. In Ermanglung dieses Nachweises ist die
Entklassung durch Rücksicht auf die Wehrpflicht
beschränkt. Soweit diese Rücksicht nicht vorliegt,
darf in Friedenszeiten die Entlassung nicht ver-
weigert werden; für die Zeit eines Kriegs oder
einer Kriegsgefahr ist dem Bundespräsidium der
Erlaß besonderer Anordnung vorbehalten. Die
Entlassung wird mit der Aushändigung einer
darüber ausgestellten Urkunde wirksam, verliert
aber ihre Wirksamkeit, wenn der Entlassene nicht
binnen sechs Monaten seinen Wohnsitz außerhalb
des Reichsgebiets verlegt oder die Staatsangehö-
rigkeit in einem andern Bundesstaat erwirbt. —
Deutsche, welche sich im Ausland aufhalten,
können ihrer Staatsangehörigkeit durch einen Be-
schluß der Zentralbehörde ihres Heimatsstaats ver-
lustig erklärt werden, wenn sie im Fall eines
Kriegs oder einer Kriegsgefahr einer Aufforde-
rung zur Rückkehr binnen der bestimmten Frist
keine Folge leisten. Dasselbe gilt, wenn ein
Deutscher ohne Erlaubnis seiner Regierung in
fremde Staatsdienste tritt und einer ausdrücklichen
Aufforderung zum Austritt binnen der bestimmten
Frist keine Folge leistet. — Ohne solchen Be-
schluß verliert ein Deutscher, der das Reichsgebiet
verläßt und sich zehn Jahre lang ununterbrochen
im Ausland — als solches gelten in diesem Zu-
sammenhang die deutschen Schutzgebiete nicht —
aushält, seine Staatsangehörigkeit. Die Frist
kann unterbrochen werden dadurch, daß sich der
Deutsche in die Matrikel eines Reichskonsulats ein-
tragen läßt. Der Verlust tritt natürlich nicht für
diejenigen ein, die sich als Beamte des Reichs oder
eines Bundesstaats oder in deren Auftrag im
Ausland befinden. Auch für die ehemals reichs-
unmittelbaren deutschen Standesherren tritt durch
solchen Aufenthalt im Ausland, soweit es mit
Deutschland im Frieden lebt, ein Verlust der
Staatsangehörigkeit nicht ein. Jene Frist kann
durch Staatsvertrag auf fünf Jahre verkürzt wer-
den, falls der Deutsche in dem ausländischen Staat
nach fünfjährigem ununterbrochenem Aufenthalt
dort die Staatsangehörigkeit erworben hat. Solche
Staatsverträge bestehen z. B. aus dem Jahr 1868
zwischen den Vereinigten Staaten von Amerikaeiner=
seits und dem Norddeutschen Bund und den süddeut-
schen Staaten anderseits (die sog. Bancroftverträge).