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Mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit tritt
zugleich der Verlust der Reichsangehörigkeit ein
(8 1 des angeführten Gesetzes).
Was oben über den Erwerb durch Gebiets-
abtretung und vertragsmäßig gewährtes Options=
recht gesagt ist, gilt entsprechend auch für den Ver-
lust der Staatsangehörigkeit.
3. Die nächsten Folgen der vorstehend
stizzierten Gesetzgebung für die Zugehörig-
keit des einzelnen Individuums zu
einem bestimmten Staat sind sehr unüber-
sichtlich. Da die Gesetzgebungen der verschiedenen
Staaten sich in vielen Punkten widersprechen, so
entstehen mancherlei Unklarheiten und im inter-
nationalen Verkehr nicht unerhebliche Unzuträg-
lichkeiten. Aus dem Vorgetragenen ergibt sich
schon, daß jemand gleichzeitig das Staatsbürger-
recht in verschiedenen Staaten besitzen kann, was
mit den noch zu behandelnden, aus dem Stoats-
bürgerrecht entspringenden Pflichten des Staats-
angehörigen gegen den Staat, dem er angehört,
regelmäßig nicht verträglich erscheint, insbesondere
soweit noch die Wehrpflicht sich geltend macht.
Diese Unzuträglichkeiten erstrecken sich dann auch
auf das einzelne Individuum. Für dieses aber
ergeben sich aus der zwiespaltigen Gesetzgebung
auch noch weitere Mißstände. Es ist nämlich auch
nicht ausgeschlossen, daß jemand seine Staats-
angehörigkeit verliert, ohne eine andere erworben
zu haben. In einem solchen Fall entbehrt er jeg-
lichen staatlichen Schutzes, ohne deswegen seiner
Pflichten gegen den früheren Heimatsstaat immer
gänzlich enthoben zu sein; beansprucht doch z. B.
das Deutsche Reich in einem solchen Fall bei
dauernder Rückkehr nach Deutschland die Leistung
der Wehrpflicht, und zwar auch im Frieden bis
zum vollendeten 31. Lebensjahr. Unter solchen
Umständen erscheint der Wunsch nach besserer, wo
möglich internationaler Reglung nur zu gerecht-
fertigt. Für Deutschland speziell kommt noch ein
hohes nationales Interesse hinzu. Infolge der
Bestimmung des Gesetzes vom 1. Juni 1870,
nämlich daß die Staats= und Reichsangehörigkeit
schon durch bloßen ununterbrochenen zehnjährigen
Aufenthalt im Ausland verloren wird, erleidet nach
der Statistik das Deutsche Reich einen Verlust von
rund drei Viertel aller auswandernden Deutschen.
Seit Jahren hat daher der deutsche Reichstag
alljährlich durch eine Resolution die Aufforderung
an die verbündeten Regierungen gerichtet, einen
Gesetzentwurf vorzulegen, nach welchem der Ver-
lust der Staatsangehörigkeit erschwert und die
Wiedererwerbung erleichtert werde. Die Vor-
legung eines solchen Entwurfs ist zugesagt, die
Vorarbeiten dazu aber sind noch nicht abgeschlossen.
Die vorstehenden Bedenken gegen gleichzeitige
Zugehörigkeit zu mehreren Staaten fallen selbst-
verständlich fort, soweit es sich um die Staats-
angehörigkeit in mehreren deutschen Staaten han-
delt. „Da die wesentlichsten politischen Interessen
für alle dieselben sind, so kann die gleichzeitige Zu-
Staatsangehörigkeit ufw.
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gehörigkeit zu mehreren deutschen Staaten keine
erhebliche Kollision der Pflichten der Treue und
des Gehorsams begründen“ (Laband). Der Wechsel
der Staatsangehörigkeit innerhalb des Deutschen
Reichs ist ohne Einfluß auf die Reichsangehörig-
keit. Solange der einzelne nicht aus dem Kreis
der zum Reich gehörigen Staaten ausscheidet, bleibt
seine Reichsangehörigkeit unverändert.
Staats= und Beichsbürgerrecht.
1. Rechtliche Natur. Uber die rechtliche
Natur des Staatsbürgerrechts gehen die staats-
wissenschaftlichen Anschauungen weit auseinander
und stehen sich mit seltener Schärfe gegenüber.
Wie bereits bemerkt, bedeutet nach der üblichen
Darstellungsweise Staatsbürgerrecht begriff-
lich nichts anderes als den Rechtsinhalt der Staats-
angehörigkeit, als den Inbegriff von öffentlich-
rechtlichen Befugnissen und Pflichten, welche jedem
Staatsangehörigen schon wegen dieser seiner Eigen-
schaft gebühren, weil sie mit ihr als deren Wir-
kungen durch Verfassung und Gesetz verknüpft sind.
Hierher werden dann in verschiedener Klassifi-
zierung gezählt nicht nur die sog. politischen Rechte
oder die staatsbürgerlichen Rechte im engern Sinn,
d. h. diejenigen Rechte, welche den Staatsange-
hörigen eine aktive Beteiligung am staatlichen
Leben, sondern auch die bloß „bürgerlichen“,
welche ihnen Vorrechte vor den Fremden gewähren,
sowie die sog. Freiheitsrechte oder Grundrechte,
welche die Grenzen der Staatsgewalt gegenüber
dem unabhängigen Dasein der Staatsangehörigen
abstecken und den letzteren in gewissen Richtungen
die Freiheit von den Einwirkungen der Staats-
gewalt sichern. Auf diesem Standpunkt steht
offenbar die Reichsverfassung, indem sie in Art. 3
neben gewissen derartigen Rechten ganz allgemein
den Genuß „aller sonstigen bürgerlichen Rechte“
als Wirkungen eines gemeinsamen Indigenats
verheißt. Eine andere Ansicht dagegen spezialisiert
das Staatsbürgerrecht als einen Begriff inner-
halb der Staatsangehörigkeit, nach welchem zwar
diese letztere die notwendige Voraussetzung des
Staatsbürgerrechts ist, dieses aber nur die Be-
rechtigung zur verfassungsmäßigen Anteilnahme
am staatlichen Leben, zur Ausübung der besondern
sog. politischen Rechte enthält. Für diese werden
dann neben der allgemeinen Staatsangehörigkeit
noch besondere Erfordernisse aufgestellt, wie z. B.
männliches Geschlecht, ein gewisses reiferes Alter,
Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte.
Man hat hiernach die Staatsbürger dieser
letzteren Art auch wohl als aktive Vollbürger den
übrigen Staatsbürgern als Passivbürgern gegen-
übergestellt. Es bedeutet diese Meinungsverschieden-
heit aber wegen der Begründung, welche für die
letztgedachte Ansicht vorgetragen wird, mehr als
eine bloße Einteilung im Staatsbürgerrecht im
weiteren und im engeren Sinn; denn nach der
letzteren Ansicht, welche die sog. bürgerlichen und
die Grundrechte aus dem Begriff des Staats-
bürgerrechts hinausweist, sind diese beiden Kate-
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