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gorien überhaupt keine Rechte im subjektiven Sinn
(Gerber, Laband, Seydel, Zorn). „Die Vorrechte
der Einheimischen vor den Fremden“, sagt Laband,
„sind lediglich die Negation der Belastungen oder
Beschränkungen, denen Fremde unterworfen sind,
haben aber keinen positiven Inhalt und zerfließen
sofort in nichts, wenn der Staat Fremde den
Einheimischen gleich behandelt. Die Freiheits-
rechte oder Grundrechte sind Normen für die
Staatsgewalt, welche dieselbe sich selbst gibt, sie
bilden Schranken für die Machtbefugnisse der
Behörden, sie sichern dem einzelnen seine natür-
liche Handlungsfreiheit in bestimmtem Umfang,
aber sie begründen nicht subjektive Rechte der
Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie
haben kein Objekt.“ Nach Zorn sind die die
Grundrechte feststellenden Sätze der Verfassungs-
urkunden weiter nichts als „allgemeine Redens-
arten“, die so lang vielleicht für wissenschaftliche
Betrachtung, „wenigstens nach der politischen und
historischen Seite hin“, „einigen Wert“ haben
mochten, als die Bewegungen auf Herstellung
und Einrichtung konstitutioneller Verfassungen in
Deutschland im Vordergrund des öffentlichen Inter-
esses standen. Nach Seydel und Gerber, welch
letzterer für diese ganze Richtung bahnbrechend ge-
wesen ist, besagen sie nur, daß, wenn die Gesetz-
gebung die Freiheit in den von ihnen bezeichneten
Gebieten beschränken wolle, sie auf dem Weg der
Verfassungsänderung „verfahren“ müsse. Aller-
dings beläßt ihnen Gerber die Wirkung, daß sie
unter Voraussetzung eines bestimmten Tatbestands
für den einzelnen eine Berechtigung (subjektives
Recht) erzeugen, z. B. auf Zurücknahme einer
Verfügung.
Diesen Anschauungen gegenüber versicht eine
Reihe von Schriftstellern (Meyer, Rönne, Schulze,
Tezner u. a.) den Charakter der Grundrechte als
unmittelbarer, aus den verfassungsrechtlichen Be-
stimmungen herfließender vollkommener Rechte der
einzelnen. Dem können wir nur zustimmen. Wären
die Grundrechtsartikel der Verfassungsurkunden
nichts anderes als „Monologe der Gesetzgeber“,
so wäre damit unsere ganze neuere Entwicklung
zum konstitutionellen Staat zum großen Teil
negiert. Diese Entwicklung steuerte ja gerade
darauf los, die persönliche Freiheitssphäre der
Staatsangehörigen gegen die möglichen Ubergriffe
der Staatsgewalt abzugrenzen und die sittlich-
natürlichen Grenzen der Staatsgewalt in positiv-
rechtliche Schranken umzuwandeln. Man wird den
Verfassungsartikeln auch rein formell nicht den
Charakter von Gesetzesnormen abstreiten können.
Und selbst die Staatsomnipotenz in aller Form
zugegeben, zugegeben, daß auch von diesen ver-
fassungsmäßig gewährleisteten Rechten nichts an-
deres gilt, als „was überhaupt von allen Rechten
gilt, auch von sämtlichen Berechtigungen des Pri-
vatrechts, daß sie nämlich nur bestehen, solang eine
höhere staatliche Macht sie duldet“ (Laband), so
haben doch eben die Verfassungen die Berechti-
Staatsangehörigkeit ufw.
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gungen sanktioniert, diese bestehen deshalb bis auf
weiteres zu Recht, zumal es unbestritten ist, daß
auch subjektives Recht aus legibus imperfectis
hervorgehen kann. Ob man dann das durch die
Verfassungen und die sie ausbauenden Gesetze
gewährleistete „Dürfen“ bzw. das Recht, von dem
Staat ein Unterlassen verlangen zu können, tech-
nisch ein subjektives Recht oder einen Anspruch
(ogl. § 194 B.G. B.) nennen kann oder nicht, ist
als theoretischer Streit unerheblich. Hat eine den
Staat vertretende Behörde einen Staatsange-
hörigen in einem Grundrecht verletzt, so ist dieser
es, der durch seinen Antrag das Zurücktreten der
Behörde hinter die ihr gezogenen Schranken ver-
langen kann. Wenigstens bei ausgebildeter Ver-
waltungsgerichtsbarkeit und der dadurch herbeige-
führten technischen Vervollkommnung des Schutzes
im Gebiet des öffentlichen Rechts, welchen dieselbe
„jedem Akt der Betätigung der dem einzelnen aus-
drücklich zuerkannten oder belassenen Willensfrei-
heit gewährt, läßt sich die Behauptung nicht mehr
aufrecht erhalten, daß in jenen Fällen, wo eine
positive Norm dem einzelnen das Recht der Be-
tätigung seiner Willensfreiheit in bestimmten Rich-
tungen gewährleistet, doch nicht mehr als Schran-
kenziehung für die Organe der Staatsgewalt
vorliege“ (Tezner).
Wie sich die Staatsangehörigkeit zur Reichs-
angehörigkeit verhält, so verhält sich das Staats-
bürgerrecht zum Reichsbürgerrecht. Ebensowenig
wie jene geteilte oder doppelte Eigenschaften sind,
ebensowenig sind diese geteilte oder doppelte Rechte;
ebenso wie die Staatsangehörigkeit das primäre
Verhältnis ist, welches ohne weiteres die Reichs-
angehörigkeit nach sich zieht, so verhält es sich mit
den beiden Rechten. Der Inhalt des Reichs-
bürgerrechts besteht eben in den gewöhnlichen
staatsbürgerlichen Rechten innerhalb der dem Reich
zustehenden Kompetenz; „es ist nichts anderes als
das Staatsbürgerrecht in denjenigen Beziehungen,
in denen das Reich an die Stelle der Einzelstaaten
getreten ist" (Laband). Aber gerade auf dem Ge-
biet der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten
ist die Kompetenz der Landesgesetzgebung durch die
Reichsgesetzgebung in ganz bedeutendem Maß ver-
ringert und eingeengt, in mehreren Beziehungen
sogar vollständig verdrängt worden. In dieser
Beziehung bestimmt der bereits erwähnte Art. 3
der Reichsverfassung als Wirkung des für ganz
Deutschland bestehenden Indigenats, daß der An-
gehörige eines jeden Bundesstaats in jedem andern
Bundesstaat als Inländer zu behandeln und dem-
gemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb,
zu öffentlichen Amtern, zur Erwerbung von Grund-
stücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts
und zum Genuß aller sonstigen bürgerlichen Rechte
unter denselben Voraussetzungen wie der Ein-
heimische zuzulassen . sei. Kein Deutscher dürfe
in der Ausübung dieser Befugnis durch die Ob-
rigkeit seiner Heimat oder durch die Obrigkeit
eines andern Bundesstaats beschränkt werden. Und