Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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gorien überhaupt keine Rechte im subjektiven Sinn 
(Gerber, Laband, Seydel, Zorn). „Die Vorrechte 
der Einheimischen vor den Fremden“, sagt Laband, 
„sind lediglich die Negation der Belastungen oder 
Beschränkungen, denen Fremde unterworfen sind, 
haben aber keinen positiven Inhalt und zerfließen 
sofort in nichts, wenn der Staat Fremde den 
Einheimischen gleich behandelt. Die Freiheits- 
rechte oder Grundrechte sind Normen für die 
Staatsgewalt, welche dieselbe sich selbst gibt, sie 
bilden Schranken für die Machtbefugnisse der 
Behörden, sie sichern dem einzelnen seine natür- 
liche Handlungsfreiheit in bestimmtem Umfang, 
aber sie begründen nicht subjektive Rechte der 
Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie 
haben kein Objekt.“ Nach Zorn sind die die 
Grundrechte feststellenden Sätze der Verfassungs- 
urkunden weiter nichts als „allgemeine Redens- 
arten“, die so lang vielleicht für wissenschaftliche 
Betrachtung, „wenigstens nach der politischen und 
historischen Seite hin“, „einigen Wert“ haben 
mochten, als die Bewegungen auf Herstellung 
und Einrichtung konstitutioneller Verfassungen in 
Deutschland im Vordergrund des öffentlichen Inter- 
esses standen. Nach Seydel und Gerber, welch 
letzterer für diese ganze Richtung bahnbrechend ge- 
wesen ist, besagen sie nur, daß, wenn die Gesetz- 
gebung die Freiheit in den von ihnen bezeichneten 
Gebieten beschränken wolle, sie auf dem Weg der 
Verfassungsänderung „verfahren“ müsse. Aller- 
dings beläßt ihnen Gerber die Wirkung, daß sie 
unter Voraussetzung eines bestimmten Tatbestands 
für den einzelnen eine Berechtigung (subjektives 
Recht) erzeugen, z. B. auf Zurücknahme einer 
Verfügung. 
Diesen Anschauungen gegenüber versicht eine 
Reihe von Schriftstellern (Meyer, Rönne, Schulze, 
Tezner u. a.) den Charakter der Grundrechte als 
unmittelbarer, aus den verfassungsrechtlichen Be- 
stimmungen herfließender vollkommener Rechte der 
einzelnen. Dem können wir nur zustimmen. Wären 
die Grundrechtsartikel der Verfassungsurkunden 
nichts anderes als „Monologe der Gesetzgeber“, 
so wäre damit unsere ganze neuere Entwicklung 
zum konstitutionellen Staat zum großen Teil 
negiert. Diese Entwicklung steuerte ja gerade 
darauf los, die persönliche Freiheitssphäre der 
Staatsangehörigen gegen die möglichen Ubergriffe 
der Staatsgewalt abzugrenzen und die sittlich- 
natürlichen Grenzen der Staatsgewalt in positiv- 
rechtliche Schranken umzuwandeln. Man wird den 
Verfassungsartikeln auch rein formell nicht den 
Charakter von Gesetzesnormen abstreiten können. 
Und selbst die Staatsomnipotenz in aller Form 
zugegeben, zugegeben, daß auch von diesen ver- 
fassungsmäßig gewährleisteten Rechten nichts an- 
deres gilt, als „was überhaupt von allen Rechten 
gilt, auch von sämtlichen Berechtigungen des Pri- 
vatrechts, daß sie nämlich nur bestehen, solang eine 
höhere staatliche Macht sie duldet“ (Laband), so 
haben doch eben die Verfassungen die Berechti- 
Staatsangehörigkeit ufw. 
  
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gungen sanktioniert, diese bestehen deshalb bis auf 
weiteres zu Recht, zumal es unbestritten ist, daß 
auch subjektives Recht aus legibus imperfectis 
hervorgehen kann. Ob man dann das durch die 
Verfassungen und die sie ausbauenden Gesetze 
gewährleistete „Dürfen“ bzw. das Recht, von dem 
Staat ein Unterlassen verlangen zu können, tech- 
nisch ein subjektives Recht oder einen Anspruch 
(ogl. § 194 B.G. B.) nennen kann oder nicht, ist 
als theoretischer Streit unerheblich. Hat eine den 
Staat vertretende Behörde einen Staatsange- 
hörigen in einem Grundrecht verletzt, so ist dieser 
es, der durch seinen Antrag das Zurücktreten der 
Behörde hinter die ihr gezogenen Schranken ver- 
langen kann. Wenigstens bei ausgebildeter Ver- 
waltungsgerichtsbarkeit und der dadurch herbeige- 
führten technischen Vervollkommnung des Schutzes 
im Gebiet des öffentlichen Rechts, welchen dieselbe 
„jedem Akt der Betätigung der dem einzelnen aus- 
drücklich zuerkannten oder belassenen Willensfrei- 
heit gewährt, läßt sich die Behauptung nicht mehr 
aufrecht erhalten, daß in jenen Fällen, wo eine 
positive Norm dem einzelnen das Recht der Be- 
tätigung seiner Willensfreiheit in bestimmten Rich- 
tungen gewährleistet, doch nicht mehr als Schran- 
kenziehung für die Organe der Staatsgewalt 
vorliege“ (Tezner). 
Wie sich die Staatsangehörigkeit zur Reichs- 
angehörigkeit verhält, so verhält sich das Staats- 
bürgerrecht zum Reichsbürgerrecht. Ebensowenig 
wie jene geteilte oder doppelte Eigenschaften sind, 
ebensowenig sind diese geteilte oder doppelte Rechte; 
ebenso wie die Staatsangehörigkeit das primäre 
Verhältnis ist, welches ohne weiteres die Reichs- 
angehörigkeit nach sich zieht, so verhält es sich mit 
den beiden Rechten. Der Inhalt des Reichs- 
bürgerrechts besteht eben in den gewöhnlichen 
staatsbürgerlichen Rechten innerhalb der dem Reich 
zustehenden Kompetenz; „es ist nichts anderes als 
das Staatsbürgerrecht in denjenigen Beziehungen, 
in denen das Reich an die Stelle der Einzelstaaten 
getreten ist" (Laband). Aber gerade auf dem Ge- 
biet der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten 
ist die Kompetenz der Landesgesetzgebung durch die 
Reichsgesetzgebung in ganz bedeutendem Maß ver- 
ringert und eingeengt, in mehreren Beziehungen 
sogar vollständig verdrängt worden. In dieser 
Beziehung bestimmt der bereits erwähnte Art. 3 
der Reichsverfassung als Wirkung des für ganz 
Deutschland bestehenden Indigenats, daß der An- 
gehörige eines jeden Bundesstaats in jedem andern 
Bundesstaat als Inländer zu behandeln und dem- 
gemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, 
zu öffentlichen Amtern, zur Erwerbung von Grund- 
stücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts 
und zum Genuß aller sonstigen bürgerlichen Rechte 
unter denselben Voraussetzungen wie der Ein- 
heimische zuzulassen . sei. Kein Deutscher dürfe 
in der Ausübung dieser Befugnis durch die Ob- 
rigkeit seiner Heimat oder durch die Obrigkeit 
eines andern Bundesstaats beschränkt werden. Und
	        
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