Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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der Art. 4 daselbst bezeichnet als Gegenstände, 
welche der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des 
Reichs unterliegen: die Bestimmungen über Frei- 
zügigkeit, Heimats= und Niederlassungsverhält- 
nisse, Staatsbürgerrecht ... und über den Ge- 
werbebetrieb, soweit diese Gegenstände nicht schon 
durch Art. 8 erledigt seien, abgesehen von ge- 
wissen Einschränkungen Bayern gegenüber; ferner 
über das Vereinswesen. Soweit über diese An- 
gelegenheiten reichsgesetzliche Vorschriften erlassen 
sind und nichts Gegenteiliges aus ihnen sich er- 
gibt, verlieren die Vorschriften der Einzelstaaten 
— wie dies auch im Gebiet des Privatrechts der 
Fall ist — ihre Geltung, ohne daß deshalb das 
Staatsbürgerrecht beseitigt würde, wie dies noch 
ganz besonders unter II. des Schlußprotokolls zu 
dem Vertrag vom 23. Nov. 1870 betr. den Bei- 
tritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bun- 
des zum Ausdruck gelangt ist. Dessen Fortdauer 
in den Einzelstaaten ist z. B. gerade an den poli- 
tischen Rechten ganz besonders leicht erkennbar. 
Zwar ist keines der sog. Grundrechte in einem 
Artikel der Reichsverfassung näher deklariert wor- 
den, und zwar absichtlich nicht; dafür aber sind 
manche Reichsgesetze grundrechtlichen Inhalts vor- 
handen, so daß wenigstens insoweit von „all- 
gemeinen Redensarten“ nicht gesprochen werden 
ann. 
2. Einzelne staats- und reichsbürger- 
liche Rechte. Nach dem Vorgesagten ist das 
Staats= bzw. Reichsbürgerrecht allerdings kein ein- 
heitlicher Rechtsbegriff; es ist ein Sammelname 
für die mannigfachen Rechte, welche der Staats- 
bzw. Reichsangehörige gegenüber dem Staat bzw. 
Reich als solchem hat. Diese Rechte liegen syste- 
matisch weit auseinander. Sie darlegen wollen, 
hieße die ganze Rechtsordnung in die Erörterung 
ziehen. Namentlich ist die Darstellung der sog. 
bürgerlichen Rechte untunlich; sie ergeben sich aus 
zahllosen Einzelbestimmungen des Reichs= und 
Landesrechts. Im folgenden sollen daher nur 
einige der wichtigsten, und diese auch nur allge- 
mein, zum Teil im Anschluß an die preußische 
Verfassung, dargelegt werden; das Nähere muß 
den einschlägigen Spezialartikeln überlassen bleiben. 
Es mag dazu aber hier im voraus darauf hin- 
gewiesen werden, daß gerade aus den nachfolgen- 
den Feststellungen die völlige Unhaltbarkeit der 
oben angeführten Ansicht von der Inhaltlosigkeit 
und Wertlosigkeit der Rechte der Einheimischen 
sich ergibt. Mit nichten verliert z. B. das unter 
a bezeichnete Recht des freien Aufenthalts oder das 
unter b erwähnte der persönlichen Freiheit an po- 
sitivem Inhalt und Wert, wenn in Bezug auf 
sie die Fremden den Einheimischen gleichgestellt 
werden. 
a) Das ursprünglichste und natürlichste Recht 
der Staats= und Reichsangehörigen ist das Recht, 
sich innerhalb des Gebiets des Heimatsstaats und 
— seit dem Bundes-, später Reichsgesetz über die 
Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867 — des ganzen 
Staatsangehörigkeit usw. 
  
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Reichs aufhalten und niederlassen zu 
dürfen, wo sie ein Unterkommen finden. Der 
Staats= und Reichsbürger ist nicht bloß, wie der 
Fremde, geduldet und kann nicht wie dieser aus- 
gewiesen werden, auch nicht zur Strafe. Die ein- 
zige Ausnahme, die in dieser Beziehung jemals 
bestand, enthielt der § 1 des Reichsgesetzes betr. 
die Verhinderung der unbefugten Ausübung von 
Kirchenämtern vom 4. Mai 1874, aber wegen 
ihrer Ungeheuerlichkeit auch nur verschämt, indem 
er den Umweg vorzeichnete, daß ein Geistlicher, 
der durch gerichtliches Urteil aus seinem Amt ent- 
lassen worden war und dennoch das Amt ausübte, 
durch die Zentralstelle seines Heimatsstaats erst 
seiner Staatsangehörigkeit verlustig erklärt werden 
mußte, ehe er ausgewiesen werden konnte. — Mit 
dem Recht des Aufenthalts und der Niederlassung 
an jedem Ort ddes Reichs war konsequenterweise nach 
dem erwähnten Gesetz vom 1. Nov. 1867 die Frei- 
zügigkeit im ganzen Reich eingeführt. Aufenthalts- 
beschränkungen konnten daneben nur in bestimmten 
Fällen für zulässig erachtet werden: für bestrafte 
oder unter Polizeiaufsicht stehende Subjekte (839 
St.G.B., § 3 Ges. v. 1. Nov. 1867), aus Rück- 
sicht der Ortsarmenpflege (§9§ 4/7 Ges. v. 1. Nov. 
1867); früher auch noch gegen Angehörige des Je- 
suitenordens (§ 2 Ges. v. 4. Juli 1872), welche 
Beschränkung aber durch Gesetz vom 8. März 
1904 aufgehoben ist. 
b) Nicht minder wichtig ist das Recht der per- 
sönlichen Freiheit. Die Bedingungen und 
Formen, unter denen eine Beschränkung derselben, 
insbesondere eine Verhaftung oder polizeiliche Fest- 
nahme zulässig ist, müssen durch Geset festgelegt 
werden und sind durch Gesetz geregelt (St. P. O. und 
preuß. Ges. v. 12. Febr. 1850). Als vollkommen ge- 
währleistet war die persönliche Freiheit erst zu be- 
trachten infolge der Garantie der Unverletzlichkeit 
der Wohnung gegen willkürliches Eindringen staat- 
licher Organe oder, wo dies in höherem Interesse, 
z. B. zum Zweck der Verfolgung und Aufdeckung 
strafbarer Handlungen, doch als zulässig erachtet 
werden muß, unter den vom Gesetz bestimmten 
Voraussetzungen und Formen. — Auch insofern 
ist die persönliche Freiheit unter Schutz gestellt, 
als Strafen nur in Gemäßheit des bestehenden 
Gesetzes angedroht und verhängt werden dürfen, 
d. h. also als eine Handlung nur dann mit einer 
Strafe belegt werden kann, wenn diese Strafe ge- 
setzich bestimmt war, bevor die Handlung be- 
gangen wurde. Daneben sind gewisse Strafarten 
gänzlich beseitigt (bürgerlicher Tod und Ver- 
mögenseinziehung). Vor allem darf auch kein 
Reichsangehöriger zum Zweck der Verfolgung oder 
Bestrafung einem ausländischen Staat ausgeliefert 
werden (St.G.B. § 9); als Ausland gelten aber 
insoweit die deutschen Bundesstaaten untereinander 
nicht (Ges. v. 21. Juni 1869). Die freiwillige 
Auswanderung dagegen ist freigestellt und nur 
nach Maßgabe des Gesetzes in Bezug auf die 
Wehrpflicht beschränkt.
	        
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