1425
Die Organisation der in den Bundesstaaten
tätigen Staatsanwaltschaften ist in dem Gerichts-
verfassungsgesetz nur fragmentarisch geregelt und
im wesentlichen dem Landesrecht überlassen. Bei
jedem Gericht soll eine Staatsanwaltschaft bestehen.
Sie ist den ordentlichen Gerichten angegliedert.
Die Bestimmung des Amtstitels ist den Bundes-
staaten überlassen. In den meisten führen die
ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den
Oberlandesgerichten den Titel „Oberstaatsanwalt“,
bei den Landgerichten „Erster Staatsanwalt“.
Die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft
richtet sich nach der der Gerichte, denen sie zuge-
teilt sind. In Eilfällen muß jedoch auch ein an
sich unzuständiger Staatsanwalt die in seinem
Bezirk notwendig werdenden Amtshandlungen
vornehmen. Die Aussicht und Leitung der bundes-
staatlichen Staatsanwaltschaft obliegt der Landes-
justizverwaltung und den vorgesetzten staatsanwalt-
schaftlichen Behörden ob. Die Staatsanwalischaft
hat sich deren Anweisungen zu fügen. Besteht eine
Staatsanwaltschaft aus mehreren Beamten, so ist
sie nicht etwa als kollegiale Behörde wie z. B. das
Landgericht aufzufassen, sondern der erste Beamte
ist Träger des Amts. Dem französischen Recht ent-
sprechend gilt die Staatsanwaltschaft eines Ober-
landesgerichts- oder Landgerichtsbezirks als ein-
heitlich und unteilbar. Deshalb kann jeder Staats-
anwalt eines Bezirks die Verrichtungen seines Amts
bei jedem Gericht des Bezirks ausüben (sog. Devo-
lutions= und Substitutionsrecht). Bei den Amts-
und Schöffengerichten verrichten die Amtsanwälte
die staatsanwaltschaftlichen Funktionen.
Die Staatsanwaltschaft ist von den Gerichten
unabhängig. Sie darf keine richterlichen Geschäfte
verrichten und keine Dienstaufsicht über die Richter
ausüben. Die Beamten des Sicherheitspolizeidien-
stes sind Hilfsorgane der Staatsanwaltschaft und
haben den dienstlichen Anordnungen ihres direkt
vorgesetzten Staatsanwalts Folge zu leisten. Das
Reich hat aber den Landesgesetzen überlassen, die
betreffenden Kategorien der Beamten zu bezeichnen.
Die nicht einheitliche Organisation ist als ent-
schiedener Nachteil aufzufassen, und es wird eine
der Aufgaben der Zukunft sein, hierin eine all-
mähliche Anderung anzustreben. Das wichtigste
Gebiet staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit ist die
Strafverfolgung. Und es ist Sache der Organi-
sation, hier eine größere Straffheit durch Er-
weiterung staatsanwaltschaftlicher Befugnisse und
Herbeiführung der Unabhängigkeit von der Po-
lizeibehörde zu ermöglichen. Um eine erfolgreiche
und energische Verfolgung durchführen zu können,
ist das persönliche Eingreifen des Staatsanwalts
unbedingt nötig. Er muß rasch am Tatort sein,
die notwendigen Anordnungen selbst treffen und
die Vernehmungen machen können, er muß schnell
und entschlossen sein. Nimmt er die Verfolgung
von vornherein in die Hand, so wird sein perfön-
liches Interesse am Fall gesteigert. Sind ihm die
Hilfsorgane, die Kriminalpolizei und Gendarmerie
Staatsanwaltschaft.
1426
direkt unterstellt, so gewinnt die Verfolgung an
Schnelligkeit und Intensität. Und das ist bei den
mit den heutigen Verkehrsverhältnissen zusammen-
hängenden günstigen Fluchtmöglichkeiten von
außerordentlicher Wichtigkeit. Vorbildlich hierin
ist die Organisation der badischen Staatsanwalt-
schaft. Sie ist am Sitz des Landgerichts konzen-
triert. Dem Staatsanwalt sind ein oder mehrere
Amtsanwälte, welche die Befähigung zum Richter-
amt erlangt haben, als Gehilfen beigeordnet. In
den größeren Städten steht die Kriminalpolizei,
in den kleineren die Gendarmerie in ihrer dienst-
lichen Tätigkeit unmittelbar unter dem Ersten
Staatsanwalt. Sie ist auch im selben Dienstge-
bäude untergebracht, so daß sie jederzeit zur Ver-
fügung steht. Die Amtsanwälte (Assessoren) sind
3bis 5 Jahre als selbständige Gehilfen der Staats-
anwaltschaft angegliedert. Sie erhalten unter Lei-
tung und Aussicht der Staatsanwälte eine gute
Schulung. Sie sind nicht nur in amtsanwalt-
schaftlichen Sachen tätig, sondern bearbeiten für
die ihnen unmittelbar vorgesetzten Staatsanwälte
größere Straffälle. Ein öfterer Wechsel zwischen
richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit
ermöglicht eine gründliche Beherrschung des Straf-
und Zivilrechts. — In Bayern wurde 1910 eine
neue, den modernen Verhältnissen und Anschau-
ungen mehr angepaßte Dienstvorschrift für die
Staatsanwaltschaft (vom 29. Okt. 1910) erlassen.
Zum Tätigkeitskreis der Staatsanwaltschaft
gehören folgende Funktionen:
In der Strafrechtspflege ist die Staats-
anwaltschaft eine den Gerichten gleichgestellte Be-
hörde, deren Mitwirkung in allen Abschnitten des
Verfahrens unerläßlich ist. Ihr liegt ob die Er-
mittlung von Straftaten teils selbständig unter
Benutzung ihrer polizeilichen Hilfsbeamten, teils
unter Mitwirkung des Richters bei solchen Akten,
wo es sich um Verhaftung, Haussuchung u. dgl.
handelt; das Recht, Voruntersuchungen bei dem
zuständigen Gericht zu beantragen und darin jeder-
zeit einzugreifen; das Recht, die Anklage zu er-
heben und in der Hauptverhandlung zu vertreten;
die Ergreifung von Rechtsmitteln; die Strafvoll-
streckung.
Nach der deutschen Strafprozeßordnung hat die
Staatsanwaltschaft ebenso wie in Frankreich das
Anklagemonopol und übt dasselbe als Verwal-
tungsbehörde nach freiem Ermessen. Nur in wenigen
Fällen kann auch von anderer Seite eine Anklage
erhoben werden, nämlich a) von der Steuerbehörde,
wenn die Staatsanwaltschaft die Anklage ablehnt
(6464 der St. P.O.); b) wegen Beleidigung und
Körperverletzung von dem Privatkläger (§ 414).
Im übrigen hat derjenige, welcher die Erhebung
der öffentlichen Anklage beantragt, gegen den ab-
lehnenden Bescheid der Staatsanwaltschaft nur
das Recht der Beschwerde und äußerstenfalls das
Recht, eine gerichtliche Entscheidung darüber her-
beizuführen, ob die Staatsanwaltschaft die An-
klage zu erheben hat (8 170). In manchen Fällen